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Kleider machen Leute und sagen mehr als Worte

Autor Daniel Kalt mit Buch-Illustrationen von N. Ober © ORF / Kulturmontag

Wie Politiker und Politikerinnen – diese sind naturgegeben die interessanteren Subjekte, was das Vestimentäre betrifft – mit ihrem Outfit umgehen, hat der Chefredakteur des Magazins Schaufenster der Tageszeitung Die Presse, untersucht und beschrieben. In „Staat tragen“ erzählt er über „das Verhältnis von Mode und Politik“, und was es da zu erfahren gibt, ist erhellend und manchmal auch recht amüsant. 

Zur Auflockerung dienen die Illustrationen von Nina Ober. © BuchillustrationSchon vor gut 170 Jahren hat der Schweizer Dichter und Politiker Gottfried Keller (1819–1890) die Geschichte vom brotlosen Schneidergesellen Wenzel Strapinski erzählt, der aufgrund seines noblen Outfits für einen polnischen Grafen gehalten wird. Der erste Eindruck, den man von einem Menschen gewinnt, wird von der Bekleidung oder auch Verkleidung beeinflusst. Mit der zweiten Haut kann Eindruck gemacht oder auch geschunden werden. Eine Pelzmütze und ein elegantes Cape machen einen Grafen, Turnschuhe und Jeans einen Schneidergesellen auf Wanderschaft. Keine Aufregung bitte, dass Kellers Wenzel noch keine Jeans und auch keine weißen Turnschuhe gekannt hat, ist schon klar. Die weißen Turnschuhe gehören Joschka Fischer, der sie 1985 bei seiner Angelobung zum hessischen Umweltminister angehabt hat. Heute stehen diese Treter des ersten grünen Ministers der BRD im Schuhmuseum in Offenbach und gelten auch heute noch, fast vierzig Jahre nach der grünen Provokation, als Hauptattraktion. 36 Jahre nach der grünen Provokation in der BRD ließen weiße Sneakers auch in Österreich die Wellen in so mancher Redaktion hochgehen. Wer will, kann die beiden Damen benennen. Nina Ober hat sie für Daniel Kalts Text auf Papier gebannt. © Buchillustration.Sneakers, so muss man wissen, sind keine Turnschuhe, sondern sportlich aussehende Schuhe für den Alltag, und sie haben ihren Preis. Als der von den Grünen vorgeschlagene Arzt Wolfgang Mückstein 2021 als neuer Gesundheitsminister angelobt worden ist, blickte nicht nur der Bundespräsident, sondern die österreichische Öffentlichkeit auf seine weißen Sneakers. Manche lächelten und fanden seine Arbeitsschuhe in der Ordination sympathisch, andere hatten Schaum vor dem Mund und rügten den Neominister als „coole Socke“, die nicht in ein Ministeramt gehöre. Mückstein zur Aufregung: „Verbiegen werde ich mich nicht“, überdies habe er keine Zeit zum Umziehen gehabt. Nicht zu verbiegen ist der praktische Arzt tatsächlich. Nach kaum einem Jahr legt er das Ministeramt wieder zurück und kann in Ruhe seine Sneakers tragen, seine Patient:innen finden ihn sicher seriös genug.  Kurzzeitminister Wolfgang Mückstein. Seine weißen Sneaker sorgten für Aufregung.  © Stefanie Freynschlag / wikipedia gemenfrei Zurück zu Daniel Kalt, der mir den Begriff „vestimentär“ beigebracht hat, ein Adjektiv, das ich kurzerhand zum Substantiv erhoben habe. Viele Begriffe hat man ja nicht zur Verfügung, wenn über Kleidung gesprochen werden soll. In jeder Publikation über die Bedeutung von Kleidung geht es um die „vestimentäre Kommunikation“. Inzwischen liebe ich diesen Ausdruck, obwohl mich selbst diese Art des Kommunizierens kaum interessiert. Ein Kartoffelsack genügte mir auch, dann fiele das Auswählen und Nachdenken, was will ich, was soll ich anziehen und welches Oben passt zum Unten, weg. Frauen haben es da wesentlich schwerer als Männer, die meist nur über Socken und Krawatten, die ohnehin längst abgeschafft gehören, nachdenken müssen, wenn überhaupt gedacht wird. Oft wird ja das genommen, was die Gattin verpflichtet ist aus dem Kasten herauszuholen. Wie man mir mitteilt, müssen manche dieser Ehefrauen ihren werten Gatten auch die Koffer für die Dienstreise packen. Weiter will ich mich nicht auslassen, denn es geht ja um die Forschungs- und Rechercheergebnisse von Daniel Kalt. Puppentheater, aus den Buchillustrationen von der ORF-Grafik für den Kulturmontag gebastelt. © ORFsie Das aber ist eine Schwierigkeit, denn eigentlich sollte man Werke von Menschen, denen man nahesteht oder von denen man gar abhängig ist, nicht beurteilen. Denn es kann nichts Ehrliches herauskommen bei so einem Unterfangen. Und welche Autorin steht einem Autor nicht nahe? Also bleibt es vorwiegend bei freundlichen Ankündigungen, und das sofort, möglichst, bevor man das Werk noch gesehen oder, im konkreten Fall, gelesen hat. 
Daher vertiefe ich mich in das amüsante Kapitel 03, über „Pleiten, Pech und Pannendienst“ und beschließe, es im nächsten Leben mit Angela Merkels vestimentärer Aussage zu halten. Dunkle Hose, buntes Sakko. Margaret Thatcher selbstverständlich mit der Tasche im Croco-Style.  © www.ctpost.com/ AP Photo/Martin CleaverDiese Frau ist wirklich klug und ist in ihrer langen Amtszeit in jedem Gruppenbild mit den vielen „faden Männern“ angenehm hervorgestochen. Zum Ende noch ein einprägsames Zitat, das Autor Kalt bei Margaret Thatcher gefunden hat, die ihre vestimentäre Kommunikation mit einer schwarzen Handtasche geführt hat. Ihr Markenzeichen musste die „eiserne Lady“ immer wieder verteidigen: "Ich bin der Boss, ich bin am Ruder. Ich habe die Macht und die Kontrolle", wird sie zitiert. Erwiesen ist die Aussage: “Of course, I am obstinate in defending our liberties and our law. That is why I carry a big handbag,” („Natürlich bin ich hartnäckig bei Verteidigung unserer Freiheit und unseres Rechts. Deshalb trage ich auch eine große Handtasche.“) Biografen sprechen von Thatchers Handbag, die sie oft gut sichtbar auf dem Tisch platziert hat, als „Zepter und Waffe“. Daher kommt auch das Verb to handbagging, wenn jemand seinen Willen durchsetzt. 
Übrigens, auch eine österreichische Politikerin war für ihre großräumigen Handtaschen, die sie ebenfalls gern auf dem Tisch abgestellt hat, berühmt: die Wirtschaftswissenschaftlerin und Politikerin Maria Schaumayer (1931–2013), eher als für ihre Handtaschen als erste (und bis heute einzige) Nationalbankpräsidentin berühmt. „Die Handtasche war die Punze, die mir Der Standard mit seiner Bildsprache aufgedrückt hat“, sagt sie 2006 im Gespräch „Anders gefragt“ mit ebendiesem Medium und verrät, dass sie ungefähr 16 Handtaschen zu Hause hat. „Und wissen Sie, Auch wenn es so aussieht, zum Ausschneiden sind Nina Obers Buchillustrationen nicht gedacht. © buchillustrationder Witz waren die großen Außentaschen, da konnte ich Akten unterbringen.“ Den Titelzusatz i. R. interpretierte sie neu: „in Reichweite“, wurde sie doch zweimal aus der Pension ins aktive Politikerinnen-Leben zurückgeholt. 
Jetzt reicht’s mit Erinnerungen und Ausritten, es geht um vestimentäre Kommunikation von Politikerinnen und auch Politikern, die sind aber nicht gar so ergiebig, außer sie lassen sich in der Badehose blicken, im In- und Aus- und Nachbarland, und da gibt es tatsächlich eine Menge zu erzählen. Schon die Einleitung bietet „ausreichend Gesprächsstoff“, wie der Autor ankündigt. Dann werden die vestimentären Strategien (vestire ist Latein und mit „sich kleiden“ zu übersetzen) in sieben Kapiteln aus unterschiedlichen Perspektiven ausführlich beleuchtet. Am Ende wird man inklusiv eines Hinweises auf die gelungenen Illustrationen von Nina Ober mit dem frommen Wunsch hinausbegleitet, sich doch nicht gleich aufzupudeln, wenn Berichterstatter:innen und Kommentator:innen sich über das Outfit von Politiker:innen auslassen. Die amerikanische Juristin Ruth Bader-Ginsbug pflegte die dunklen Roben durch gestickte Jabots aufzulockern. © dallasvoice.comSo unwichtig wie manche meinen, wissen wir nach der Lektüre, sind die Signale, die Bekleidung und Accessoires senden, nämlich gar nicht. Sie sprechen wahrer und vor allem direkter als lange Reden. Während das bildergeile Volk sich mit Genuss über die Ballkleider am Opernball und die Roben bei der Oscar-Verleihung informiert, will es nicht wissen, was die Um- und Verhüllungen der Politikerinnen und ihrer Kollegen aussagen. Das hat der Autor selbst erfahren, als er vom Rüschenkragen der Brigitte Bierlein, die im Februar 2018 als Übergangsbundeskanzlerin vorgestellt worden ist, so angetan war, dass er darüber einen Artikel verfasst hat. Immerhin erinnerte ihn der üppige Kragen an die Mode der verstorbenen US-Höchstrichterin Ruth Bader-Ginsburg (1933–2020), die den schwarzen Talar einer Richterin gern mit einem Spitzenjabot aufgeputzt hat. Wie Bierlein war auch Bader-Ginsburg Juristin. Daniel Kalt: "Staat tragen", Buchcover. © Kremayr & Scheriau Ein letztes Wort: Mitte der 1970er Jahre, als Leopold Gratz Wiens Bürgermeister war, alterierte sich dieser, als ein Kollege an einem brühheißen Sommertag im T-Shirt (damals noch Ruderleiberl) zur Pressekonferenz angetrabt ist. Ein Fall von Selbstüberschätzung eines Amtsträgers in der Arbeitszeit. Die Chefredaktion dachte damals anders und verordnete allen Mitarbeitern, fortan eine Krawatte in der Schublade zu haben. Die Kombination T-Shirt und Krawatte kann es jedoch nur im Kasperltheater geben, also war offensichtlich auch das nötige Hemd und, wennschon, dennschon, ein Sakko in der Redaktion aufzubewahren. Falls der Staatsträger (in dem Fall Stadtträger) nicht zur Arbeit ruft, sondern eine Einladung zu Kaffee und Guglhupf ausspricht. Ist doch, bei Licht besehen, „das schicklichste Kleidungsstück im politischen Leben nicht das gut geschnittene Jackett (oder die fesche Bluse samt Kragen, Anm. d. Redaktion), sondern die im moralischen Sinn weiße Weste.“ Dixit Daniel Kalt.

Daniel Kalt: Staat tragen. Über das Verhältnis von Politik und Mode, mit Illustrationen von Nina Ober, Kremayr & Scheriau, 2023. 216, Seiten, € 24,00. E-Book € 16.99