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Freundliche Begrüßung des Neue Jahres
Alles ist neu am ersten Tag diese Neuen Jahres. 14 von 15 gespielten Werken sind zum ersten Mal in einem Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker zu hören. Der Dirigent Franz Welser-Möst allerdings ist nicht neu, er steht zum dritten Mal mit dem Rücken zum Publikum, den Blick auf die aktive Kamera gerichtet. Und nicht nur Knaben sondern auch Mädchen können singen, keine weltbewegende Neuigkeit. Neu ist nur, dass sie singen dürfen, während die Wiener Philharmoniker (das ist der Name des Orchesters) spielen. Aber sonst? Alles beim Alten.
Friedlich plätschert die Walzermusik dahin, vornehmlich von Notenblättern der Familie Strauss, fröhlich hüpft die Polka, vor allem wenn sie eine Zeppelpolka ist, dazu ließe sich auch fein springen, doch bei der Polka française op. 123 von Josef Strauss mit Namen Angelica wird nicht getanzt, sondern der Gattin des Dirigenten, die im Publikum sitzt, gedacht. Eine Geste des Dirigenten, statt üblicher Neujahrsfröhlichkeit. Was mir fehlt an diesem langen Vormittag ist ein kleines Aha-Erlebnis, ein Wiedererkennungseffekt. Im Prinzip klingen ja alle Walzer gleich, also der von Johann ist schon von dem von Josef zu unterscheiden, doch so richtig erkennen und sich freuen (einen alten Bekannten zu treffen) kann man sie erst, wenn man etwa den „Kaiserwalzer“ oder die „Frühlingsstimmen“ seit der Kindheit immer wieder gehört hat. Oder den „Schlittschuhläufer-Walzer“ und danach „Sirenenzauber“ von Emil Waldteufel – pardon, c’est une erreur, ich meine, das ist ein Irrweg, ein fataler Irrtum. Der Komponist Charles Émile Lévy Waldteufel gehört nicht zur Familie, ist gar kein Österreicher, sondern Franzose und zwei Jahre nach dem jüngsten Strauss-Sohn, Josef, in Straßburg geboren. Seine Werke tragen im Original so elegante Titel wie „Les Patineurs“ oder „Les Sirènes“. Er hätte sie, wie die Österreicher, auch selbst dirigieren können, denn Waldteufel war auch Pianist und Dirigent, was im 19. Jahrhundert keine Ausnahme war. Und, um der Wahrheit Ehre zu geben, und den Waldteufel vielleicht auch wieder einmal ins Neujahrskonzert zu dirigieren, auch der berühmteste Strauss Sohn, der Schani, blieb nicht bis an sein Ende Österreicher, sondern wechselte, der Liebe wegen, wie mir scheint, nach Sachsen-Coburg-Gotha und ließ seinen rot-weiß-roten Pass auf dem Tisch liegen, den Angelika, Ehefrau Numero 2, mutwillig verlassen hat weil ihr der Direktor des Theaters an der Wien liebenswerter erschienen ist. Schließlich war Angelika Strauss, geborene Dittrich, Schauspielerin. Ein Musikus war der Karriere da nicht wirklich dienlich. Der Walzerkönig, wie er in Wien genannt wird – im Elsaß war Charles Émile der König –, war schnell getröstet und verzichtete um der Liebe willen …, das ist bereits gesagt. Und ich sammle alle meine Gedanken und nicht immer korrekten Erinnerungen wieder ein und widme mich dem eigentlichen Thema dieses ersten Textes an diesem ersten Tag des ganz neuen Jahres: dem Tanz. Wenn jede Bewegung Tanz ist, dann tanzt ja auch ein Dirigent, doch Franz Welser-Möst ist zu sehr um seine elegante Haltung bemüht, um als Tänzer zu gelten. Wenn die großen Ballettdirigenten mit dem Staatsopernorchester einig sind, dann kann man sie aus der Loge heraus in eindrucksvollen Szenen samt dem Dirigierstaberl unten im Graben mit den Tänzer:innen oben mittanzen sehen. Aber das geht ja beim Neujahrskonzert gar nicht, getanzt wird für die, die, auch wenn sie könnten, dürften oder gar sollten, keine Lust haben, sich unter die Glücklichen im Goldenen Saal zu mischen, also für alle, die entweder in Festtagskleidung oder im Pyjama vor dem Fernseher sitzen und heuer insofern gut bedient werden, weil ihnen keine Pferde ihren Auftritt stehlen konnten, sondern sogar einer dazu gekommen ist: drei Auftritte, statt zwei.Wie schon ausgeführt, braucht der ORF dringend einen neuen Walzer nach der Pummerin, der alte hat in zehn Jahren schon etwas Staub angesetzt, so lässt man heuer auch den Donauwalzer tanzen. Fünf Paare dürfen diesmal im herrlichen Stift Melk umhertoben, genauer: „in den beeindruckenden, teilweise nicht öffentlich zugänglichen, Innenräumlichkeiten des Stifts“, wie die ORF-Aussendung preist. Da war dann tatsächlich ein fröhliches Paar, das durch den Klausurgang gesaust ist. Eine Frau auf verbotenem Terrain, die Brüder hatten die Zelllentüren versperrt. Das prächtige barocke Stift, das auf dem Hügel oberhalb Melks thront, mit den Prunksälen und dem herrlich renovierten Gartenpavillon bietet ein ebenso passendes Ambiente wie das Rokoko-Schloss im weitlläufigen englischen Garten von Laxenburg. Zugleich aber sind diese Landschaften und Architekturen der Grund, warum über den Tanz nicht allzu viel zu sagen ist. Vor allem das, was es immer zu sagen gibt, wer auch immer die Choreografie kreiert. Diesmal war es Ashley Page. Treppauf, treppab, die Gänge entlang, hinter Säulen neckisch hervor geblinzelt, und dann eins, zwei, drei, eins, zwei, drei im Walzerschritt im großen Saal. Man darf da nicht zu viel erwarten an Überraschungen oder Neuerungen, schließlich muss auch dieses Ballett im Neujahrskonzert Zuseher:innen in der ganzen Welt gefallen. Um Innovation geht es dabei nicht. Dennoch, es waren schon aufregendere Kreationen zu sehen als diese sehr netten und braven beiden Walzer und das herzige Getändel eines Schmetterlings (die Erste Solotänzerin Maria Yakovleva) mit ihrem Jäger (der Erste Solotänzer Davide Dato). Die beiden wissen, wie Polka (Eduard : „Auf und davon“, Polka schnell, op. 73) gehüpft und gesprungen wird, und dass Mister Page am Ende dem Schmetterling erlaubt, den kecken Jäger einzufangen, ist eine kleine Pointe, die mir wohl gefallen mag. Hübsch und wenig aufregend sind auch die Kostüme von Emma Ryott, die wie Ashley Page nicht zum ersten Mal für das Ballett zum Neujahrstag gearbeitet hat. Der doppelte Anlass gebietet, an die eben mit 81 Jahren verstorbene Designerin Vivienne Westwood zu denken. 2014 hat sie mit ihrem Mann Andreas Kronthaler (* 1966) Kostüme im Schotten-Look für das Neujahrs-Ballett entworfen. Maria Yakovleva und Alexis Forabosco, Irina Tsymbal und Kirill Kourlaev, Ketevan Papava und Eno Peçi, Nina Poláková und Mihail Sosnovschi sowie Prisca Zeisel und Kamil Pavelka haben sich damals im Ballsaal des Stadtpalais Liechtenstein in der Wiener Innenstadt zum Walzer „Die Romantiker“ von Joseph Lanner gedreht. Der Choreograf war auch 2014 Ashley Page, die unkonventionellen Ballettkostüme, in denen sich sehr wohl wunderbar tanzen lässt, hatten auch ihm Mut zu unkonventionellen Bewegungen gemacht. Die Tänzer:innen hatten sichtlich viel Freude an der ungewohnten Kleidung, prunkvoll für den Walzer und aus echtem schottischem Tartan für die bravourös getanzte Polka „Pizzicati“ aus dem Ballett „Sylvia“ von Léo Delibes mit Yakovleva / Peçi; Tsymbal / Kourlaev). Tempi Passati. Ende der Gedenkminute. Erwähnt muss einmal auch Bildregisseur Michael Beyer werden, der seit 2010 für das Neujahrskonzert arbeitet. In Celle / Niedersachen geboren, studierte Michael Beyer an der Hamburger Musikhochschule Klavier, Musikpädagogik sowie im Studiengang Musiktheaterregie bei Götz Friedrich. Er kann’s also, und das zeigt er Jahr für Jahr, anfangs nur als Bildregisseur für die Ballettszenen, aber bald hatte er die gesamt Regie übernommen. Wie sein Vorgänger, Brian Large (* 1939, in London), hat auch Beyer bei so mancher Fernsehübertragung aus Bayreuth Regie geführt. Large war als Bildregisseur für die Neujahrskonzerte von 1991 bis 2009 und im Jahre 2011 verantwortlich. Beyer hat sich heuer von den ausgewählten Räumen in Melk hinreißen lassen, das Tanzensemble wurde zur Dekoration für die begeisternden Innenansichten des Stiftes und auch rund um das Wasserschloss von Laxenburg, mit Bootsfahrt und Degengeplänkel auf der Brücke und Coda in weiten, unmöblierten Sälen mit den großen Fenstern in den Park. Ashley Page hat sich für die vier Paare, die den Josef Strauss-Walzer „Perlen der Liebe“ in Bewegung gesetzt haben, herzige, amüsante Geschichten ausgedacht, in denen Damen und ihre Kavaliere ihre verborgenen Talente zeigen konnten.
In Melk zum Walzer „An der schönen blauen Donau“ (Johann Strauss, Sohn, op. 314) sind es dann sechs Paare, die mit ausholenden Sprüngen die Räume nützen, nicht alle sind geschmeidige Walzertänzer, doch Schwamm drüber, es ist das Neujahrskonzert und es wird in die ganze Welt ausgestrahlt, Botschafter und so weiter. Der Mensch braucht dauernd Neues, um nicht zu versumpern und er möchte, dass alles so bleibt, wie es immer war, damit er sich auskennt und wohlfühlt. In diesem Sinne hat doch das Neujahrskonzert mit drei Balletteinlagen für das TV-Publikum doch beides geboten. Da ich mehr an den Balletteinlagen interessiert bin, wars’ für mich wie immer, nur ein bissel weniger aufregend. Vielleicht sollte ich eine Neujahrskonzert-Fastenzeit einführen, nur noch jedes zweite Jahr schon am Vormittag des 1.1. das TV-Gerät anwerfen? Oder zu Ostern keine Eier pecken, im Fasching keine rote Nase aufsetzen? Geht auch nicht. Aber es darf gehofft werden, dass am 1.1. 2024 Aufregenderes zu hören und zu sehen ist. Der Dirigent steht bereits fest: Christian Thielemann. Die CD / DVD 2023 liegt ab 27. Jänner auf den Tischen der einschlägigen Märkte.
Neujahrskonzert 2023
Live-Übertragung aus dem Goldenen Saal im Wiener Musikverein: Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker 1. Jänner 2023.
Mit einer aufgezeichneten Tanzeinlage von Mitgliedern des Wiener Staatsballetts zur Polka schnell „Auf und davon“ von Eduard Strauss; dem Walzer „Perlen der Liebe“ von Josef Strauss und dem Walzer „an der schönen blauen Donau“ von Johann (Schani) Strauss.
Getanzt haben: Davide Dato, Sonia Dvořák, Olga Esina, Calogero Failla, Lourenço Ferreira, Marian Furnica, Hyo-Jung Kang, Aleksandra Liashenko, Marcos Menha, Ketevan Papava und Maria Yakovleva.
Choreografie: Ashley Page, Kostüme: Emma Ryott. Dirigent der Wiener Philharmoniker: Franz Welser-Möst. Wer die Live-Übertragung verpasst, hat noch Gelegenheiten, das Ereignis nachzusehen:
6. Jänner 2023: 10.10 Uhr, ORF 2 »matinee« – eingeleitet vom »Pausenfilm« (9.05 Uhr) und dem Making-of »Hinter den Kulissen des Neujahrskonzerts« (9.30 Uhr)
7. Jänner 2023: 20.15 Uhr, 3sat
Fotos: © ORF/Hubert Mican, Günther Pichlkostner