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"Die Wiener Stadtbahn". Sachbuch, reich bebildert

Kein Wohnhaus, kein Palais, "nur" das Fenster einer Station der Vorortelinie

Zum 100. Todestag des Architekten Otto Wagner (1841–1918) hat Alfred Fogarassy im Verlag Hatje Cantz den mit Fotos von Nora Schoeller geschmückten Band „Otto Wagner. Die Wiener Stadtbahn“ herausgebracht. Der großformatige Band, mit Texten renommierter Fachleute, aktuellen Fotografien und zahlreichen bisher nie publizierten historischen Aufnahmen und Plänen bietet einen tiefen Einblick in die Arbeits- und Gedankenwelt Wagners und lädt die Millionen Fahrgäste zum genauen Schauen ein.

Eine Brücke für die Grtellinie, heute fährt die U 6 darüber. Genug und genau schauen kann mit wirklich nicht zwischen Hütteldorf und Heiligenstadt, zwischen Karlsplatz und Nussdorf. Kuppel gekrönte Pavillons, geschwungene Brücken, Stationsgalerien, die wie Wandelhallen in einem teuren Kurbad aussehen, Fenster, die sich zur Stadt öffnen, Details an Ornamenten und verzierenden Accessoires und Akzente in Gold, Pilaster, Viadukte, resedagrüne Gitter (die beige gestrichen waren und offenbar einem Verbesserer unter den Pinsel gekommen sind. Man kennt sie nicht anders als grün.) mit Sonnenblumen und Stiegenaufgänge, die eines Palais würdig sind, die Bürgerin fühlt sich als Edelfräulein, der Bürger als Edelmann und die Herzen aller Architekturinteressierten schlagen höher. Bis ins kleinste Detail der Beleuchtung, Hinweisschilder, Farbgebung, alles war der vom Designer Wagner enterworfenen Corporate Identity unterworfen. Herrschaftlicher Stiegenaufgang für die Vorortelinie

Eröffnet ist das Netz der Wiener Stadtbahnen, das heute von der U-Bahn benützt wird, 1898. Damals fuhren die Züge mit der Dampflok gar nicht umweltfreundlich. 1925 hat die Stadt dann ihre Bahn elektrifiziert, von da an liebten sie Wienerinnen und Wiener, was man auch in den heute oft überfüllten U-Bahnzügen leidvoll zu spüren bekommt. Mit der Modernisierung und Umtaufe der Stadtbahn ist erst 1976 begonnen worden. Die Wiener Stadtbahn war zwar nicht die erste Untergrundbahn in Europa, aber immerhin noch 2 Jahre vor der Pariser Metro in Betrieb genommen worden. Wie tauglich ihr dreifaches NetzDas wuchtige Stationsgebäude "Gumpendorferstsraße (GD / U 6) wird 2018 /19 renoviert. – Gürtellinie GD, Wientallinie WD und die Donaukanallinie, die nur noch fragmentarisch erhalten ist und auch die Vorortlinie, außerhalb des Gürtels von Hütteldorf-Hacking bis zum Handelskai ihre Halbkreise fährt – noch immer ist, zeigt, dass U4 und U6 den Großteil ihres Wegs auf der alten Strecke von WD und GD zurücklegen. Dass jedes Jahr ein anderes Stationsgebäude samt Stiegenaufgang, mitunter auch die Gleisanlage, renoviert werden muss, darf niemanden wundern.

Bewundern muss man aber, durch das Blättern im schönen Bildband angeregt, die Details der Anlagen und Brücken, und auch die Ausblicke, die Otto Wagner in das Stadtleben gewährt. Denn die Stadtbahn steigt immer wieder aus den Tiefen empor, fährt über Brücken und durch Galerien und bietet am Gürtel, aber auch an der Vorortelinie und der Wienzeile nahezu eine partielle Stadtrundfahrt. Die Galerie Gumpendorferstrasse erinnert in ihrer Eleganz an die Wandelhalle eines Kurbades. Meine Lieblingsstrecke beginnt in der quirligen Station Westbahnhof und führt bis Nussdorf (GD/ U6). Erstens erreichte man damals, bevor gedankenlose Neuerer das System empfindlich zerstört haben, von jeder Station mit einer radial zum Gürtel führenden Straßenbahn die Innere Stadt und zweitens amüsierte ich mich als Kind am Fenster mit Blick auf den inneren Gürtel mit der Beobachtung des Lebens und Treibens in den Wohnungen. Besonders gemocht habe ich es, am Nachmittag des 24. Dezember mit der GD-Linie zu fahren: „Wo brennt schon der Christbaum?“ Um den Sprachpolizisten den Wind aus den geblähten Segeln zu nehmen: Natürlich wusste ich schon als Kind, dass die Kerzen und nicht die Bäume brennen. Doch das war der Sprachgebrauch zuhause: “Wann wird endlich der Christbaum angezündet.Romantisch wirkt das Brückerl über den Donaukanal bei der Urania. Ich hab gesehen, er brennt schon überall.“ Tempi passati? Ich kann es ja heuer wieder einmal probieren. Auf der Bank knien und durchs beschlagene Fenster linsen, werde ich nicht mehr, nicht nur weil es sich nicht mehr schickt als Erwachsene, sondern auch weil die U6 sogar am 24. Dezember von früh bis ziemlich spät mit Passagier*innen gut gefüllt ist. Nur die Wiener Linien meinen, dass der 24. Dezember kein Tag für Fahrten mit den Öffis ist, und verlängern die Intervalle ins Unerträgliche, obwohl doch alle Fahrgäste möglichst schnell in die warme Stube wollen.

Zurück zu Otto Wagner, der ja nicht nur die Stadtbahn samt ihren prächtigen Stationen gebaut hat, sondern auch Palais, Wohnhäuser und öffentliche Gebäude, die auf eigenen Kultur-Touren ergangen, und was die Stadtbahn betrifft, im reichlich mit Bildern ausgestatteten Band studiert und erlesen werden können. Der Pavillon für die Station Schönbrunn (WD / U4).

Mit Otto Wagner war erstmals ein Architekt in einer Domäne am Werk, die bis dahin ausschließlich von Ingenieuren besetzt war. Wie einmalig und richtungweisend sein Infrastrukturprojekt war und immer noch ist, haben nur manche zeitgenössischen Stadtplaner*innen nicht begriffen. Auch wenn die Stadtbahn nun U-Bahn heißt und die Waggons bequemer, leiser, geräumiger sind, darf ihr Jubiläum nicht vergessen werden: 120 Jahre ist sie heuer geworden. Nicht nur Wienerinnen und Wiener, auch die Besucher*innen treten zum Gratulieren an.

Buchcover © Hatje CatzBesser als der Herausgeber, Alfred Fogarassy, kann ich das Lob Otto Wagners auch nicht formulieren, deshalb zitiere ich: „Heute sind die Linien der Stadtbahn in das U-Bahn-und S-Bahn-Netz integriert. Wagners Verkehrsbauwerk ist somit ein selbstverständlicher Bestandteil des Wiener Alltagslebens – so selbstverständlich, dass man seine Einzigartigkeit immer wieder in Erinnerung rufen muss.“ Einzigartigkeit und Schönheit möchte ich sagen, ein Museum der Kunst, das lebt, weil es täglich von vielen Menschen benutzt, begangen, befahren wird.
Ein großartiges Geschenk, nicht nur für U-Bahn-Fahrer*innen.

Otto Wagner Die Wiener Stadtbahn",
Herausgeber: Alfred Fogarassy. Fotografien: Nora Schoeller.
Texte: Hermann Czech, Monika Faber, Johann Hödl, Joseph Koerner, Andreas Nierhaus und Georg Rigele. Gestaltung Martha Stutteregger.
Hatje Catz, 2017. 224 Seiten, 201 Abbildungen. € 49,40.
Sämtliche Fotos auf dieser Seite: © Nora Schoeller / Buchillustration Hatje Catz.