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Mick Herron: „Slow Horses“, Kriminalroman

Autor Mick Herron © Alberto Venzago / Diogenes Verlag

Slow horses, die lahmen Pferde, sind abgehalfterte Agenten, die vom noblen Regent’s Park, wo die Superstars des Londoner Spionagebüros MI5 aus und ein gehen, ins Slough House versetzt worden sind, weil sie gravierende Fehler gemacht haben. Jeder der Untergebenen des grantigen, ungepflegten Jackson Lamb, ebenfalls strafversetzt, wartet auf eine Chance, sich zu beweisen und wieder ins Mutterhaus zurückkehren zu dürfen. Ein Thriller der besonderen Art, voll Spannung und Ironie.

In dieser heruntergekommenen Gegend steht das Slough House. (Barbican Station 1981, Eingang Aldersgate Street) © Ben Brooksbank / en.wikipedia.comSie sind Alkoholiker, Drogensüchtige, Spieler, haben ein wichtiges, geheimes Dokument in der U-Bahn liegen lassen oder sind von ihrem Konkurrenten mit falschen Informationen in die Irre geführt worden und haben eine Übung tief in den Sand gesetzt. Jetzt haben sie den palastartigen Stall verlassen und in das verkommene Slough House ziehen müssen, wo es mehr Langeweile als sinnvolle Arbeit gibt. In Regent’s Park wartet man, dass sie von selbst zurücktreten, auf Pensionsbenefizien verzichten und verschwinden. Sie warten auf ihre Chance, zu beweisen, was sie können und geben nicht auf.

Im ersten Teil des Romans werden die Personen, ihre Vorlieben und Schwächen dargestellt. Doch dann packt Jackson Lamb die Chance bei der Mähne und die Handlung nimmt Fahrt auf, die lahmen Pferde bieten ihre letzten Kräfte auf und galoppieren hinter dem jungen Mann her, der entführt worden ist und vor der Fernsehkamera enthauptet werden soll. Licht am Ende des Tunnels. Mick Herron, geboren 1963, ein Autor mit Humor. © Tim Barrow /www.theguardian.com

Slough House gibt es nicht, auch wenn die Gegenden Londons wo das böse Spiel abläuft, vor allem rund um die U-Bahn-Station Barbican und den Regent’s Park, genau beschrieben sind. Der Stall (und das ist Slough House tatsächlich, ein Stall) ist nach der Industriestadt Slough nahe London benannt, die durch ein Ondit unangenehme Berühmtheit erlangt hat: „So tot, dass du genauso gut in Slough sein könntest.“ Sein Slough Haus existiert zwar tatsächlich, Autor Herron hat es im Vorbeifahren oft gesehen, wer dort arbeitet oder wohnt, weiß er nicht. Dennoch sind die Beschreibungen eines London, das von Touristinnen eher kaum besucht wird, so genau, dass man den Jagd- und Irrwegen der Slow Horses und ihrer Widersacher, der geschniegelten MI5-Mitarbeiter, nachgehen könnte.

Auch auf der Jagd nach den Tätern verfolgt jeder dieser maroden Ehemaligen, seine / Ihre (es gibt auch Spioninnen und in Slough House sogar Liebespaare) eigenen Ziele. Und jedes Mal, wenn die zwei Gruppen, rassige Rennpferde und desolate Mähren und Gäule, aufeinandertreffen, lässt Herron seinen beißenden Humor sprühen und Blut und Gewalt sind verziehen und vergessen.

Die echte MI5-Zentrale: Thames House, von der Themse aus fotografiert.  © cnbrb, freelicenseAm Ende könnten die Lahmen alle als Helden dastehen, doch die Smarten ganz oben drängen sich vor und buchen den Erfolg für sich – die Leserinnen müssen keiner Enthauptung beiwohnen.

Was uns, die wir Slough House und seinen Bewohner*innen bereits verfallen sind – die Looser wachsen einem ans Herz, nicht weil sie sich für kurze Zeit als Winner fühlen, sondern weil sie sich immer wieder aufrappeln und weiterleben – , natürlich freut, denn wir können sicher sein, dass es weitere Abenteuer mit dem abscheulichen Jackson Lamb (auch dessen Herz klopft mitunter so laut, dass man erkennt: er hat eines) und seinen langsamen Pferden geben wird. Buchcover mit einer Fotografie von Martin Hållö Spencer. © Diogenes VerlagVier weitere Fälle für Jackson Lamb liegen bereits in den Londoner Buchhandlungen, der zweite in der Reihe, „Dead Lions“, wird für den Diogenes Verlag bereits ins Deutsche übertragen.

Nur die „slow horses“ sind lahm, die Geschichte über sie ist es ganz und gar nicht. Herron entzückt mit einem Spionagethriller voll Spannung und Ironie. Über den Klüngel der Spione, über den erschreckenden und sinnlosen Terror und die dünkelhafte Dummheit der Politiker (sowieso) ist es ziemlich leicht, eine Satire zu schreiben. Doch Herron vergisst nicht, auch Thrill und Suspense einzubauen, zart, was die Hoffnungen von Jackson Lamb und seiner Crew betrifft, harte, wenn es um die Konkurrenz und die Jagd nach den Tätern geht. Fazit: Rundum gelungen, very british indeed.

Mick Herron: „Slow Horses“, ein Fall für Jackson Lamb, aus dem Englischen von Stefanie Schäfer, Diogenes 2018. 472 S. € 24,70.