Mick Herron: „Spook Street“, Jackson-Lamb-Serie 4
Der vierte Band der Serie über die „Slow Horses“, die ausgemusterten Mitarbeiter des MI5, des britischen Inlandgeheimdienstes, beginnt mit einem Knall. In einer Shopping Mall explodiert eine Bombe und reißt die Teenager, die sich im Einkaufszentrum versammelt haben, in den Tod. Dass dieser unerklärliche Mord an Kindern mit Jackson Lamb und seiner Truppe der lahmen Gäule zu tun hat, ist lange nicht klar.
Die Männer und Frauen, einstige Topspion:innen, die einmal versagt haben, nicht immer durch eigene Schuld, kämpfen zwar auf dem Abstellgleis im Slough House am Rand von London mit ihren Problemen, funktionieren jedoch unter Jackson Lamb zugleich als schnelle Eingreiftruppe. Der verbitterte Zyniker Lamb, der keine Gelegenheit auslässt, um seine Mitarbeiter:innen zu kränken und beleidigen, hat es sich gleichzeitig zur Aufgabe gemacht, diese zu beschützen. So wirft er sich und sämtliche Gäule mit aller Kraft in die Bresche, als sein Mitarbeiter River Cartwright verschwindet. Beschützt werden muss auch David Cartwright, Rivers Großvater, der einst im Kalten Krieg ein hohes Tier des Mi5 war. Jetzt ist er alt, leidet an Demenz, die ihm nur noch manchen hellen Moment erlaubt. Etwa wenn ein Fremder mit Mordgelüsten vor seiner Tür steht und sich als sein Enkel ausgibt. David öffnet die Tür mit dem Gewehr im Anschlag, der falsche Enkel ist tot, der alte David muss fliehen und landet im Slough House. River, der Enkel, muss die Sünden des Großvaters büßen. Das Thema klingt nach Shakespeare: „Denn seht Ihr, die Sünden der Väter sollen an den Kindern heimgesucht werden: darum glaubt mir, ich bin besorgt für Euch“, sagt Lancelot im „Kaufmann von Venedig“ zu Shyloks Tochter, Jessica.
Wie in den bisher übersetzten drei Bänden spielt auch der Konkurrenzkampf im MI5 eine Rolle, und obwohl Lamb und alle Exspion:innen im Home Office (umgangssprachliche Bezeichnung für das Innenministerium) Hausverbot haben, pflegt nicht nur er enge Kontakte zu manchen der einander bekriegenden Mitarbeiter:innen des MI5.
Eine Hauptrolle in diesem 4. Band spielen auch die sogenannten Schläfer, Spione, die unerkannt ihren alltäglichen Geschäften nachgehen und warten, dass sie geweckt werden, um in Aktion zu treten. Dass nicht alle auf den Weckruf von außen warten, sondern auf eigene Verantwortung die Welt retten wollen, versetzt sämtliche Insassen von Slough House in Angst und Schrecken und bringt sie, also Jackson Lamb bringt sie alle, auf Trab. Und, wie in jedem Band der Jackson Lamb-Serie, bezahlen einige der den Leser:innen lieb gewordenen Figuren mit dem Leben. Doch das Reservoire an „Slow Horses“ im MI5 ist nahezu bodenlos, Ersatz ist immer bereit, wenn im Slough House eine Lücke entstanden ist.Nicht nur die anregende, oft auch verwirrende Handlung macht Herrons Krimis aus der Welt der Spione so lesenswert, sondern seine präzise und differenzierte Gestaltung der Charaktere und auch die Schilderung der Atmosphäre von London. Slough House, das es natürlich nicht wirklich gibt, ist jedoch genau zu orten. Herron kennt das Haus nahe der Metrostation Barabican, doch was oder wer sich hinter den Mauern verbirgt, weiß er nicht. Zudem spart der Autor nicht an Humor und auch beißendem Sarkasmus, was eine köstliche Mischung von Spannung und Amüsement ergibt, die auch in der Übersetzung durch Stefanie Schäfer gewahrt bleibt
Mick Herron: „Spook Street“, Ein Fall für Jackson Lamb, aus dem Englischen von Stefanie Schäfer, Diogenes, 2021. 464 Seiten. € 18,50. E-Book € 14,99.