Pablo Larraín: „Ema“, Tanzdrama
Feuer, Furor, Sex und Tanz, vor allem Tanz. In seinem 8. Film erzählt der chilenische Regisseur Pablo Larraín von der Tänzerin Ema, die etwas Unerhörtes tut, sie gibt ihren Adoptivsohn zurück ans Jugendamt. Das katapultiert sie aus dem Beruf als Lehrerin, aus der Tanzgruppe, aus der Gesellschaft. Ema und ihre Schwestern im Tanz wissen sich zu helfen. Ein fulminanter, faszinierender Film, mit hinreißenden Bildern von Sergio Armstrong.
Ema ist Tänzerin in der Compagnie ihres Mannes, des Choreografen Gastón (Gael García Bernal), gemeinsam sorgen sie für den 6jährigen Adoptivsohn Polo. Das heißt, Ema sorgt für Polo, Gastón sorgt sich um die Kunst. Doch auch Ema hat eine Leidenschaft: das Feuer. Und damit steckt sie auch den kleinen Polo an, doch der zündelt wahllos, fackelt das Haus ab, in dem Emas Schwester fast verbrennt. Mit den Narben im Gesicht wird sie leben müssen. Daraufhin gibt Ema auf, sie kann Polo nicht mehr bändigen, gibt ihn dem Jugendamt zurück.
Nach den heftigen Vorwürfen, die Gastón ihr macht, trennt sie sich auch von ihm, verlässt die Compagnie, ihren Job als Lehrerin verliert die „schlechte Mutter“ ebenso. Ema ist frei, von ehelichen Banden und mütterlichen Verpflichtungen und widmet sich dem Tanz, dem Feuer und dem Sex. Bei Tag tanzt sie mit ihren Freundinnen auf Straßen und Plätzen, bei Nacht zieht sie mit dem Flammenwerfer durch die menschenleeren Ecken von Valparaíso, um leerstehende Gebäude in Brand zu setzen. Den Brand im Körper löscht sie im Bett, ob Feuerwehrmann oder Notarin, alle werden von Ema verführt und verschlungen.
Als buntes Kaleidoskop reiht Larraíne die Szenen aneinander, rasant geschnitten, eher Metapher als kontinuierliche Handlung, werden die Bilder von Mariana Di Girolamo mit Eis im Angesicht und Feuer im Herzen zusammengehalten. Die Chilenin Di Girolamo ist 1990 in eine Theaterfamilie hineingeboren. Der Großvater ist Dramatiker, die Tante Filmschauspielerin. Ihre Karriere hat sie mit 23 in Musikvideos und Fernsehserien begonnen. Als Ema verkörpert sie einen selbstbewussten Frauentyp, der eher die Solidarität der „Schwestern“ benötigt als die Anbetung der Männer. Sieht anfangs Emas wirres Tun und Lassen spontan und zufällig aus, so hat sie in Wahrheit einen ziemlich genauen Plan, wie sie ihr Leben gestalten will.
„Ema“ erinnert mich an Céline Sciammas wunderbaren Film „Portrait de la jeune fille en feu / Porträt einer jungen Frau in Flammen“ mit Adèle Haenel und Noémi Merlant, der 2019 neben vielen anderen Preisen bei den Filmfestspielen in Cannes dreimal ausgezeichnet worden ist. Geht es in Sciammas Film um ein tatsächlich gemaltes Bild einer jungen Frau im Feuer und auch um die weiblichen Hauptfiguren, das Modell Héloise und die Malerin Marianne, so ist bei Larraíne die Hauptfigur selbst, die brennt und Brände verursacht. Auch Ema steht in Flammen, allerdings sind es nicht die Flammen der Liebe, die lodern, sondern die der Wut, und damit das auch zu sehen ist, zieht sie mit dem Flammenwerfer durch die Stadt und tanzt sich mit ihren Freundinnen zum harten Beat von Reggaeton die Wut aus dem Leib, bewegt sich mit ihnen mit verführerischem Hüftschwung auf dem Tresen der Bar. Reggaeton und die Choreografie ziehen sich belebend durch den gesamten Film. Auch Sciamma hat für die Frauen in ihrem Film eine Choreografie geschaffen, eine Choreografie der Blicke, der Gesten und der Dialoge.
Wenn eine junge Frau in Flammen steht, ob aus Liebe oder aus Wut, haben Männer keine Bedeutung mehr.
Mit „Ema“ hat Pablo Larraín einen mitreißenden Film gedreht, in dem mit exzellenten Tanzszenen das Porträt einer neuen Frauengeneration gezeichnet wird und über Freiheit und Mutterschaft nachgedacht wird. Auch diese Themen verbinden die romantische Liebesgeschichte von Céline Sciamma mit der wilden Erzählung Larraíns über eine leidenschafttliche junge Frau, die scheinbar die Kontrolle über sich verliert. Kongenial hat Larraíns Kameramann Sergio Armstrong das Konzept in flirrende Bilder übersetzt. Die große Leinwand im Kino ist Pflicht, die Bider richtig zu genießen.
„Ema“, Regie: Pablo Larraín; Drehbuch: Guillermo Calderón, Larraín, Alejandro Moreno; Musik: Nicolas Jaar; Kamera: Sergio Armstrong; Schnitt: Sebastián Sepúlveda. Choreografie: José Vidal.
Mit Mariana Di Girolamo; Gael García Bernal; Paola Giannini, Santiago Cabrera und Cristián Suárez als Polo. Filmverleih: Filmladen. Nach einem Jahr Quarantäne ist der mitreißende Film ab Mai 2021 endlich im Kino.