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Hirokazu Kore-eda: „La Vérité“, Komödie

C. Deneuve, J. Binoche: Mutter und Tochter. © Laurent Champoussin

Mit dem Drama „Shoplifters“ hat der japanische Filmregisseur Hirokazu Kore-eda bei den Filmfestspielen von Cannes 2018 die Goldene Palme gewonnen. Mit „La Vérité – Leben und lügen lassen“, einem Film in französischer Sprache, wurden ein Jahr später die Filmfestspiele von Venedig eröffnet. Der erwartete Goldene Löwe ist ihm versagt geblieben. Der durch und durch französische Film, charmant und niveauvoll und, trotz der angesprochenen familiären Konflikte, humorvoll und schwerelos, ist ab 6. März im Kino zu sehen.

Die liebe Familie: Ethan Hawke, Hank;  Juliette Binoche, Lumir; Catherine  Deneuve, Fabienne und  Clémentine Grenier als Enkelin Charlotte © Filmladen Filmverleih Leicht wäre es, zu jubeln, dass Catherine Deneuve als alternde Schauspielerin Fabienne den Film trägt. Klar, die Deneuve ist perfekt und in ihrer Rolle vergnüglich zu beobachten, doch ihr nahezu ebenbürtig ist ein Kind: Clémentine Grenier spielt, mit Witz und vollkommen unbekümmert, Fabiennes Enkelin Charlotte. Ihre Eltern, Lumir, Fabiennes Tochter, und Hank, ihr amerikanischer Ehemann, werden von Juliette Binoche und Ethan Hawke dargestellt. Eine Familie also von durchwegs großartigen Darsteller*innen. Da kann eigentlich nichts schief gehen. Geht es auch nicht, vor allem weil die durch einen Film im Film verschachtelte Handlung nicht langweilig werden kann. Im Gegenteil, der Rollenwechsel verlangt höchste Aufmerksamkeit, spielt doch Deneuve auch eine Tochter und vielleicht, so scheint es zumindest, auch sich selbst. Catherine Deneuve, hinreißend als die berühmte Schauspielerin Fabienne. © Filmladen FilmverleihWenn Kore-eda zu Beginn des Films die Deneuve in einer Interviewsituation zeigt, in der sie den Fragensteller kalt abserviert, ist sie (noch) nicht Fabienne sondern Catherine.

Die Familie ist zusammengekommen, weil Fabienne, die berühmte Filmschauspielerin, ihre Memoiren veröffentlichen wird. Nicht nur die Tochter, Lumir, die als erfolgreiche Drehbuchautorin in New York lebt, wundert sich, dass sie in den Erinnerungen der Mutter gar nicht vorkommt, auch Freunde und Mitarbeiter sind enttäuscht, weil sie von Fabienne nicht erwähnt werden. Fabienne hatte und hat für nichts und niemanden Augen als für ihre Rollen und ihre Person, und dass Memoiren immer geschönt sind, Lücken haben, und teilweise erlogen sind, weiß man ohnehin. Tochter Lumir: Juliette Binoche © Laurent ChampoussinSchließlich ist das Gedächtnis kein verlässliches Archiv. Schlimmer ist, dass das Mutter-Tochter-Verhältnis angespannt und von wenig Empathie getragen ist. Ohne Konflikte läuft auch  Lumirs Ehe nicht, Hank, ihr Partner, ist Schauspieler, doch auf den großen Erfolg wartet er noch. Vermutlich vergeblich. Nur die junge Charlotte hüpft fröhlich durch den Garten und die Geschichten, die Großmutter Fabienne ihr auftischt. Viel Zeit hat Grand-mère auch jetzt nicht für das Enkelkind. Sie bereitet sich auf ihre (letzte?) Rolle in einem Science-Fiction-Film vor. Darin wird sie die 60järhige Tochter einer ewig jungen Frau spielen. Auch ein ziemlich schwieriges Verhältnis, zwischen der nicht alternden Mutter und der alten Tochter. Da wird auch den Zuschauerinnen ein wenig schwindlig. Ende gut, alles gut: Binoche, Deneuve, Hawke, Grenier. © Filmladen FilmverleihIn einer ergreifenden Szene zwischen Mutter und Tochter ahnt man, dass der egozentrischen Fabienne, die als Tochter ihrer Mutter das verkehrte, kaum verkraftbare Verhältnis vorwirft, allerhand bewusst wird, unter anderem auch, dass sie ihre Tochter wirklich liebt. Lumir lässt sie nicht im Stich, begleitet sie zu den schwierigen Dreharbeiten und hält sie bei Laune, die sie selbst gar nicht hat. Clémentine Grenier ist Enkelin Charlotte, die einzige, die keine Schwierigkeiten mit Fabienne (Deneuve) hat. © Laurent Champoussin Immer näher kommen einander Mutter und Tochter, die Mutter kann endlich die Maske abziehen und der Tochter jene Wärme zeigen, die Lumir so lange vermisst hat. Fabienne tischt keine Lügen mehr auf, sondern öffnet für kurze Zeit eine Tür, durch die Lumir eine andere Seite ihrer Mutter sehen kann. Die Dreharbeiten sind abgeschlossen und es bleibt pure Fröhlichkeit. À la française natürlich, mit Essen, Trinken, Tanzen und Singen. Filmplakat © Filmladen Filmverleih

Die Lektüre des Drehbuchs lässt eine der kitschigen Familien-Schnulzen vermuten, wie sie Hollywood zuhauf produziert, doch hat Regisseur Kore-eda mit leichter Hand, spritzigen Dialogen und sanfter Ironie eine hinreißende Komödie auf die Leinwand gezaubert, die alle Merkmale des französischen savoir-vivre hat. Catherine Deneuve lässt immer wieder durchblicken, dass in Fabienne auch ein wenig von ihr selbst steckt, gibt jedoch auch den anderen Darsteller*innen ihren Raum, den sie überzeugend nutzen. Ein richtiges Filmvergnügen, wie es selten zu erleben ist.

Hirokazu Kore-eda: „La Vérité – Leben und lügen lassen“. Drehbuch, Regie und Schnitt: Kore-eda. Kamera: Éric Gautier (AFC). Mit: Catherine Deneuve, Juliette Binoche, Ethan Hawke, Clémentine Grenier und anderen. Filmladen Filmverleih. Im Kino ab 6. März 2020.