Wien Modern ’15 – Pop trifft Neue Musik
Es wird trivial. Oder poppig. Überkreuzt in jedem Fall. Die Trivial-Kultur sprengt mit lockerem Hüpfen die einst strengen Grenzen des Festivals für Neue Musik. Auch die Kompositionen für den Konzertsaal sind von der populären Musik unserer Zeit beeinflusst und in diesem November soll die Schnittstelle zwischen Neuer Musik und avancierter Popmusik aufgedeckt und beleuchtet werden.
Als Brücke dient die menschliche Stimme, sodass sich das Festival für „Musik der Gegenwart“ in diesem Jahr auf den Flügeln des Gesanges bewegt. Hat doch Gebrauch und Einsatz der Stimme im Lauf der vergangenen Dezennien einen merkbaren Wandel durchgemacht. Die menschliche Stimme dient nicht mehr allein dem Schöngesang und hat als als wichtige Ausdrucksmöglichkeit des Körpers auch den Bühnentanz erobert.
„Pop.Song.Voice“ trägt als Festival-Schien diesem Phänomen Rechnung. Mit ausgewählten Crossover-Projekten, die thematisch von der Adaption der «Albumkonstruktion» bis hin zur «Selbstinszenierung» reichen, wird über Gemeinsamkeiten und Unterschiedlichkeiten von zeitgenössischer Musik und Popmusik reflektiert.
Eine Chance für die jüngeren Generation der Komponist_innen. Für die nämlich ist diese Wechselbeziehungen zwischen Trivial / Kommerziell und Seriös / Wirtschaftlich unergiebig (um von dem unsäglichen U und E wegzukommen) ganz alltäglich.
Namen gefällig? Zum Beispiel Eva Reiter. Die österreichische Komponistin gibt mit einem Auftragswerk Einblick in die unterschiedlichen Möglichkeiten, Musik und Sprache miteinander zu verbinden. In Anklängen an Epochen der Musikgeschichte gleitet ihr Werk „The Lichtenberg Figures“ von der an die Tradition angelehnten Kunst gewohnter Textvertonung bis hin zu der jeder Bedeutung sich entziehenden Verwendung sprachlicher Fragmente als kompositorisches Material. Mit einem dreiteiligen Crossover-Projekt hinterfragt das junge Ensemble Nikel das Phänomen der «Selbstinszenierung» in der Popmusik.
Das portugiesische Ensemble Remix, spezialisiert auf Uraufführungen, rockt diesmal mit dem „Pink Velvet’s Trip“ zurück ins 20. Jh. Werke von vier Komponisten (David Horne, Vitor Rua, Fausto Romitelli, Wolfgang Mitterer) erinnern mit psychedelische Klängen und Underground-Musik an die Rock-Bands Pink Floyd und The Velvet Underground; den Bad Trip hat Romitelli komponiert. Damit niemand im Backlash hängen bleibt, erklingt zum Abschluss Wolfgang Mitterers energiegeladene Aufforderung „go next“.
Satirisches Musiktheater spielt sich im Rabenhof ab. Dimitré Dinev hat das Libretto geschrieben, in dem er expliziert, wie man mit sinnlosen Handlungen Karriere macht und auch noch Applaus einheimst. „Whatever Works“ braucht viele Stimmen und das Ensemble Phace für die Komposition von Arturo Fuentes und Manuela Kerer. Michael Scheidl inszeniert; Simeon Pironkoff dirigiert.
Und auch der Tanz hat wieder seinen Platz im Festival gefunden. In Bernhard Langs „Monadologie XVIII – Moving Architecture“ verzahnen sich Stimme, Instrumente (Ensemble Phace) und Bewegungen zu einem Gesamtkunstwerk, wofür Lang die Noten und die Tänzerin / Choreografin Silke Grabinger die Gesten in die Partitur geschrieben hat. Grabinger selbst, Barbara Vuzem, Matej Kubes und die Musiker_innen erarbeiten ihren Auftritt gemeinsam nach dieser doppelten Partitur. Die Stimme setzt Daisy Press ein.
Die Eröffnung des Festivals, am 5. November im Wiener Konzerthaus, ist ein verspäteter Geburtstagsgruß an den großen Musiker Pierre Boulez. Cornelius Meister dirigiert das ORF Radio-Symphonieorchester, Marisol Montalvo singt Texte des Lyrikers Stéphane Mallarmé in Pierre Boulez’ Komposition „Pli selon pli (Portrait de Mallarmé)“. „Falte auf Falte“ ist in den Jahren 1957-1962/1962 entstanden und bis 1989 immer wieder revidiert worden. Die Musikwelt hat heuer im Frühjahr den 90. Geburtstag des Komponisten und Dirigenten Boulez gefeiert.
Der reichlich vorhandene Rest dieses überaus verlockenden Festival-Angebots, also Bekenntnisse, Programmdetails, Spielorte und der Terminkalender, findet sich auf der komplexen Website von Wien Modern.
Wien Modern 2015, Festival für Musik der Gegenwart: „Pop.Song.Voice“, 5.–28. November
In gekürzter Form ist der Artikel im Kulturmagazin der Tageszeitung "Die Presse" vom Oktober 2015 erschienen.