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The Loose Collective – The Music of Sound

The Loose Collective probt Heimatgefühl. © Wolfgang Silveri

Ohne Chef oder Chefin arbeitet das Loose Collectiv an seinen Produktionen. Die neueste, „The Music of Sound“ hat im Tanzquartier Premiere und kreist um das Thema „Heimat“. Dazu haben die Mitglieder der lockeren Gruppe eigene Erfahrungen gesammelt. Tänzerinnen und Tänzer sind in unterschiedlichen Ecken der Welt geboren.

Heimat – ein vielschichtiger Begriff, romantisch, verkitscht und auch missbraucht. Heimat, das muss kein konkreter Ort sein, Heimat ist nicht immer das Vaterland und in der Muttersprache muss man nicht beheimatet sein. Doch wann immer von Heimat mit all ihren Komposita, von Heimatfilm über Heimatmuseum bis zu Heimatpflege, die Rede ist, gehen Emotionen hoch. Das haben auch die Mitglieder der Tanz- und Performancegruppe The Loose Collective erfahren, als sie begannen sich dem Begriff zu nähern. Mit einer Montage aus Text und Musik, Tanz und Bildern, Gesang und Foley-Effekten (imitierte Geräusche) können sie möglicherweise eine Antwort auf die Frage, was dann das sei, das Heimatgefühl und ob wir sie bedingungslos lieben müssen, die Heimat, geben.

„The Music of Sound“ nennt The Loose Collective die Performance im Tanzquartier. Wer da gleich einen Filmtitel im Kopf und „Edelweiß“ (jüngst von Lady Gaga bei der Oscar Verleihung 2015 geträllert) im Ohr hat, liegt nicht ganz falsch. Natürlich haben auch alle im lockeren Kollektiv Beheimateten den grasgrünen und rosenroten Film gesehen, doch danach gleich wieder vergessen. Stattdessen haben sie in der Vorbereitungszeit heftigst diskutiert. Wo ist unsere Heimat? Warum ist jemand stolz auf sein Geburtsland? Ist Heimatliebe ein Tugend? Wie empfinden wir das nolens volens übernommene Erbe? Motivierend, peinlich, befremdlich oder beschämend? Die Antworten gehen nicht immer konform, haben doch die Teilnehmerinnen des Kollektivs ganz unterschiedliche Heimatländer. Gegründet wurde die basisdemokratische Gruppe von Alex Deutinger (A), Alexander Gottfarb (S), Marta Navaridas (ES), Anna Maria Novak (PL). Eine europäische Patchworkgemeinschaft. Deutinger, Kasebacher, Gottfarb: Heimatgesänge. © Wolfgang Silveri

So einfach ist das dann doch nicht. Marta Navaridas hat zwar einen spanischen Pass, betont aber gern, dass sie Baskin ist. Ein amtliches Dokument kann sie für ihre Heimat nicht vorweisen. Teresa Vittucci wird durch die Frage, wo sie sich den beheimatet fühlte, in Verwirrung / Troubles versetzt. Als Tochter amerikanischer Eltern, ist die Tänzerin / Schauspielerin in Wien geboren und aufgewachsen und hat in den USA studiert: „Wo immer ich bin, ich bin im falschen Land.“ Es gibt auch eine andere Heimat als die lokale. Vittucci ist an das Kollektiv angedockt, weil Anna Maria Novak, verheiratet mit Alexander Gottfarb, eben Mutter geworden ist und nicht mittanzt, was sie nicht gehindert hat mit hoch gewölbten Leib an den Proben teilzunehmen. Auf der Bühne ist jetzt Teresa zu sehen. Die Musiker, Guenther Berger (A) und Stephan Sperlich (A) brauchen keinen Ort, sie sind im Reich der Töne und Geräusche zu Hause. Die Österreicherin Hanna Hollmann (A), hat nur ein feines Lächeln als Antwort, ihre Biografie zeigt: Sie ist auf der Bühne zu Hause und in allen Metiers der bildenden Kunst. Im Loose Collective ist sie meist als Bühnen- und Kostümbildnerin tätig, doch für das aktuelle Stück wird sie ebenso die Technicolor-Bilder gestalten. Live wie die Töne werden auch die Bilder erzeugt. Hollmann stellt als sichtbar Mitwirkende Figuren und Landschaften en Miniatur zusammen, die die Kamera dann gezoomt auf die Leinwand sendet. Mit den bewegten Körpern, Tönen und Musik, Licht (Roman Streuselberger), Textsamples und Liedern entsteht eine bunte Montage, die zwar keine Antworten bereit stellt, doch das Publikum nicht kalt lassen soll. Welche Gefühle diese spezielle Musik des Klangs, der Anspielungen, Klischees und Erinnerungen wecken wird, kann nicht vorausgesagt werden.

 The Loose Collective – Fröhlicher Ernst : © Wolfgang Silverie Während des Probenprozesses (die Diskussions- und Einigungsphase ist endlich beendet) werden noch kleine Zettel herumgeschoben, die Tänzerinnen und Performer liegen zweidimensional auf dem Studio-Boden. Papierchoreografie. Geduldig und ohne Widerspruch. Ein Kollektiv ist schwer auf einen Nenner zu bringen und das vor allem örtlich. Haben die einzelnen Mitglieder doch auch ein Eigenleben, arbeiten künstlerisch fernab von der lockeren Gruppe, wirken bei anderen Gruppen mit oder beenden gerade eine Ausbildung in Schweden, wie Collective-Member Thomas Kasebacher, der deshalb am Gespräch nicht beteiligt war . Das macht nicht gar so viel, denn wenn es um die Arbeit der Gruppe „The Loose Collective“ geht, sprechen ohnehin alle mit einer Stimme. Gesittet zwar – Demokratie heißt schließlich auch, ausreden lassen –, aber einmütig und solidarisch.

Demokratie schafft Kreativität. Demokratisch miteinander zu arbeiten ohne hierarchische Struktur, ohne Chef und Untergebene, in einer Gruppe von Künstlern und Künstlerinnen mit unterschiedlichen Talenten und Präferenzen, in der jeder und jede gleich wichtig ist und jede Stimme zählt, war die Idee der Gründer_innen. „The Loose Collective“ arbeitet seit 2009 gemeinsam. Die erste Produktion, das futuristische Tanzmusical „Here Comes the Crook“ – eine Neufassung des Original-Librettos der Musical Extravaganz „The Black Crook“ von 1866, des ersten Broadway-Hits der als groß angelegte Produktion auf die Bühne gebracht wurde – war nicht nur im Wiener Tanzquartier ein fulminanter Erfolg, auch im Wintertheater von Sochi amüsierte sich das Publikum über die besungene Zukunft, die bereits begonnen hat. Tourneen zu organisieren ist allerdings noch schwieriger als den lockeren Haufen zu einem Gesprächstermin einzufangen.

Lange Reifezeit. Der demokratische Prozess ist auch unter Künstlern und Künstlerinnen kein Schnellimbiss. 16 bis 18 Wochen dauert er, bis ein Projekt bühnenreif ist. Da kann es schon passieren, dass inzwischen ein Kind auf die Welt kommt. Doch die Freude an der Arbeit lässt alle Zores und Müdigkeit vergessen und das Prinzip des gemeinschaftlichen Entwickelns und Arbeiten funktioniert im verflixten 7. Jahr noch. „Es gibt zwei Regeln: Jede Stimme wird gehört, kein Vorschlag wird sofort abgelehnt, alles wird diskutiert, probiert. Später wissen wir oft gar nicht, von wem der Einfall stammt, wir erkennen unsere eigenen Ideen nicht mehr.“ Im Chor gesprochen und dazu gelacht: „Dann kann es passieren, dass wir selbst es sind, die unsere Einfälle wieder verwerfen.“ Damit kein Chaos entsteht und sich alle wohlfühlen, gibt es das mächtige Instrument des Vetos. „Das ist die zweite Regel, aber dieses Veto, das jeder / jede vorbringen darf, wird selten eingesetzt, denn es ist gefährlich.“ Ergänzung aus der Musik-Ecke: „Aber es gibt uns eine unerhörte Freiheit. Wir können alles, auch das Unmögliche, ausprobieren. Das erhöht das kreative Potenzial. Die Grundlage ist doch Respekt, Respekt vor den Anderen und auch Respekt vor der Gruppe.“ Wie es um den Respekt vor der Chimäre Heimat steht, muss man sich anschauen.

The Loose Collective: „The Music of Sound“, 12.– 14.11. 2015 Tanzquartier.

In gekürzter Fassung ist der Bericht auch im Kulturmagazin der Tageszeitung "Die Presse" vom 23.10.2015 erschienen.