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Hofesh Shechter: „Grand Finale“, St. Pölten

Die Kapelle spielt zum "Grand Finale". © Rahi Rezvani

Und die Kapelle spielt bis zum Schluss. Im Festspielhaus St. Pölten war „Grand Finale“, die jüngste Choreografie des Choreografen Hofesh Shechter zu erleben. In düsterem, nebligem Ambiente beschreibt die Arbeit den Zustand der Welt mit all ihren Konflikten, Kriegen und Dramen in kraftvollen Bildern. Und gibt am Ende trotzdem Mut.

Hofesh Shechter, Tänzer, Choreograf, Komponist. © Hugo GlendinningNoch unsichtbare Streicher spielen Tschaikowski, nur schwaches Licht durchdringt den Nebel. Riesige Monolithen stehen verteilt wie Schatten auf der Bühne, vor einem fällt ein Mann zu Boden. Elektronischer Sound überlagert die harmonische, Musik, neun weitere TänzerInnen laufen auf die Bühne, stoppen abrupt.

So beginnt ein Reigen episodenhaft angelegter Szenen, die im ersten Teil des Abends mit brachialer Gewalt und ohne jede Rücksicht auf dünnhäutige Naturen ein Bild vom Zustand der Menschheit auf die Bühne stellen, das in dieser Konzentration bedrückt. Alle zehn TänzerInnen tragen Hemd und Hose in gedeckten Grautönen. Wir sehen Szenen wie aus einem Bürgerkrieg mit Kampf, Tod und Solidarität, sie  tanzen mit ihren Toten, sie zerren sie vom Schlachtfeld, sie wiegen sie zärtlich im Sitzen, bewegen die leblosen Arme, sie lassen ihre Toten hochleben, sie  tanzen stumme Schreie mit aufgerissenen Mündern. Sie tanzen irisch und arabisch, dann auch einen Rave, ekstatisches Treiben zwischen hohen Mauern. Und sie leben immer wieder Solidarität, Mitgefühl, Menschlichkeit und Liebe. Eine, wenn die Metaphorik nicht so bitter wäre, poetische Szene ist ein Walzer („Lippen schweigen“ aus „Die lustige Witwe“ von Franz Lehár, Hitlers Lieblings-Operette). "Grand Finale": Tanzen mit den Toten. © Rahi RezvaniSeifenblasen regnen vom Himmel und sie tanzen mit ihren Toten, wiegen und schwingen sie, legen die Leichen auf einen Haufen.

Sie starren ins Publikum und nehmen uns so, spürbar, in die Verantwortung. Wir sind nicht nur Zuschauer.

Acht dunkelgraue fahrbare Mauersegmente tanzten mit. Das Bühnenbild von Tom Scutt erlaubt durch seine Variabilität die (Um-) Gestaltung des Raumes durch die TänzerInnen selbst. Massive Statik und deren Veränderbarkeit durch uns selbst. Der renommierte irische Lichtdesigner Tom Visser gestaltet mit großer Sensibilität mit den ausschließlich von oben in den Nebel strahlenden Scheinwerfern Räume und Stimmungen, düster, konzentriert, fokussiert.

Mitgefühl und Zärtlichkeit, auch für die Toten. © Rahi RezvaniDer in Israel geborene Choreograf Hofesh Shechter, auch studierter Pianist und Perkussionist, ehemaliges Mitglied der Batsheva Dance Compagnie, ist seit 2008 Leiter der seinen Namen tragenden Company in London. Als er zwei Jahre alt war, verließ seine Mutter die Familie und hinterließ damit eine traumatische Verlust-Erfahrung, die auch in „Grand Finale“ zu spüren ist.

Für diese Arbeit komponierte Shechter in Zusammenarbeit mit Nell Catchpole und Yaron Engler eine Musik, deren aggressive Rhythmik und partiell immense Lautstärke die Bestuhlung vibrieren ließ, deren sphärische Flächigkeit die Live-BEkstatisches Treiben zwischen hohen Mauern: © Rahi Rezvaniand begleitete, um diese immer wieder auch allein klingen zu lassen.

Gleich der kleinen Kapelle auf der Titanic in Fracks gekleidete, im Kreis sitzende Musiker begleiten in ständig wechselnder Position auf der Bühne die Bilder des Untergangs. Während der Pause, kundgemacht durch einen auf einem Stuhl sitzenden Toten, dem ein „Pause“-Schild um den Hals hängt, wechselt die Band vor den samtenen Vorhang und spielt vergnügliche Weisen, lädt zum Mitsingen und -Pfeifen ein. Die Menge tut fröhlich mit. Plötzlich, mittendrin: Bumm! Aufgewacht!

Stumme Schreie. ©  Rahi RezvaniTeil zwei beginnt lichter, heiterer. Die Kostümierung ist nun bunter, diverser. Die Mauern an den Rand verbannt, tanzen sie ausgelassen den Balkan, zitieren arabische Elemente und asiatische Kampfkunst. Das Morden und die Toten jedoch sind allgegenwärtig.

Das „Grand Finale“: Die TänzerInnen drängen sich, die Rücken uns zugewandt, in einem engen Verlies. Blackout. Ein Mann kniet allein vor der Mauer. Blackout. Ein Paar küsst sich, die anderen schauen sitzend zu, und die Band zitiert das Intro von „All you need is love“. Blackout. Die Company drängt sich erneut zwischen den Mauern, die Band spielt „Andante Cantabile“ und die Mauer öffnet sich im langsam verlöschenden Licht.

Die Gewalt der Bilder, die Wucht und die Schönheit der Musik, das Leichte in der Schwere, die Brutalität und ungeheure Zärtlichkeit, die tänzerische Meisterschaft der Company, ihre Virtuosität, Synchronizität und Präsenz und die humanistische Botschaft dieser Arbeit begeistern und berühren tief.

Hofesh Shechter: „Grand Finale“; Choreografie und Musik: Hofesh Shechter; Tanz: Hofesh Shechter Company; Bühne und Kostüme: Tom Scutt; Lichtdesign: Tom Visser; Live-Musik: James Adams, Chris Allan, Rebekah Allan, Sabio Janiak, Lucy French. 31. Jänner 2019, Festspielhaus St. Pölten.