Edward Clug: „Peer Gynt“ – alternative Besetzung
Mit Denys Cherevychko in der Titelrolle und Nina Poláková als Solveig feierte „Peer Gynt“, das bilderreiche Ballett von Edward Clug, eine zweite Premiere. In der dichten Vorstellung war kein Husten und Räuspern zu hören, auch den vor allem bei den Ensemblenummern fälligen Zwischenapplaus wagte das angespannte Publikum nicht, so konzentriert folgte es den Protagonist*innen von Station zu Station auf Peers Reise rund um die Welt.
Wenn er sich am Abend des Lebens, müde und reuig vor Solveigs Hütte wiederfindet, muss er erkennen, dass er einem Wahn nachgerannt ist und sich selbst dabei verloren hat. „Du bist kein Kaiser, du bist eine Zwiebel“, lauter Häute nur, kein Kern, sinniert er, während er eine echte Zwiebel schält. Choreograf Clug hält sich so ziemlich an Henrik Ibsens Versgedicht, doch wird im Ballett selten gesprochen, also sitzt Peer gegen Ende auf dem Holzpflock, schält vielleicht irgendetwas, das kann man ja nicht so genau sehen, und denkt stumm. Wer Ibsens Bühnenwerk nicht mehr gespeichert hat, genießt zwar die eindrucksvollen Bilder, ob bei den Trollen oder im Irrenhaus, verliert aber ziemlich den Handlungsfaden.
Denys Cherevychko ist ein völlig anderer Peer Gynt als Jakob Feyferlik (Premierenbesetzung am 21.1.2018) und so wollte es Regisseur und Choreograf Clug auch. Cherevychko zeigt auch als junger Bursch inmitten der Dorfgemeinschaft schnell die raue, rücksichtslose, gierige Seite von Peer. Mit Kraft und Ehrgeiz jagt er den Weißen Hirsch (Zsolt Török ist das Phantom, jung, geschmeidig und akrobatisch zugleich); von sich selbst überzeugt, erzählt er der Mutter die Geschichte so plausibel, dass sie selbst auch den Hirsch zu sehen meint. Gegen diesen Kraftprotz, der von Männern und Frauen geliebt und zugleich gehasst wird, hat auch der Schmied (Alexis Forabosco) mit seinem Beil keine Chance.
Später, in Marokko, hat Peer sich zum smarten Teppichhändler ausgewachsen, der die Puppen tanzen lässt. Doch genau da beginnt sein Absturz: Anitra, die Tochter des Beduinenhäuptlings (schlangenartig verführerisch: Céline Janou Weder), lässt sich reich beschenken, holt ihre Brüder und verschwindet samt Tepppichen und Tand. Peer bleibt, ausgezogen bis auf die Haut, zurück und landet im Irrenhaus.
Nina Poláková tanzt Solveig, eine treu liebende Penelope. Anfangs noch jung, nahezu übermütig, auch wenn Peer, der Jäger, das Wild immer gleich verlässt, kaum hat er es erlegt. Im Lauf der Jahre erkennt sie, dass sie ihn nicht halten kann, lässt ihn mit liebevollen Grüßen ziehen, ganz in Ibsens Sinn. So ein geduldiges weibliches Opfer wünscht sich wohl nicht nur Henrik Ibsen, der Dichter des „Peer Gynt“, sondern jeder Mann. Für Frauen ist diese Rolle kein Vorbild. Doch die beiden Pas des deux, die Clug dem Paar schenkt, sind in der Interpretation von Poláková / Cherevychko die reine Wonne. Auf dem Dorfplatz, bei den Trollen, im Irrenhaus wird eher gestampft als getanzt.
Tanzend aber verführt auch die Frau in Grün den jungen Peer. Nikisha Fogo ist eine energische, vitale, die durch ihr Janusgesicht auch das Publikum schaudern lässt. Ingrid, die Braut, wird von Eszter Ledán getanzt. Lange Zeit war die Halbsolistin verletzt, jetzt darf die zierliche Ballerina das Publikum wieder begeistern. Sie ist eine süße, unschuldige Braut, die Peers räuberisches Gebaren nicht wirklich genießen kann, weiß sie doch gar nicht, was und wie ihr geschieht. Im Irrenhaus, unter dem selber nicht ganz dichten Arzt Begriffenfeldt (András Lukács), tut sich ein Quartett besonders hervor. Die beiden Tänzer der Premiere (Leonardo Basilio, Scott McKenzie) und die Rollendebütantinnen Sveva Gargiulo, Gala Jovanovic haben sichtlich Freude an ihren Rollen. Als verrückt eingestuft zu werden, macht auch frei. Grausamkeit und Unsinnigkeit können gleichzeitig freigelassen werden.
Vielschichtig und zwiespältig ist nicht nur Peer, sondern auch seine Begleiter, der weiße Hirsch und ein Mann in schwarzer Soutane, im Programmheft „der Tod“ genannt. Andrey Kaydanovskiy mimt ihn seit der Premiere undurchsichtig und kaum fassbar, mal gemein und verrucht, dann wieder hilfreich und empathisch. Wenn im Kampf der Trolle gegen Peer der Chor im Hintergrund den Text aus Ibsens Bühnengedicht singt, flüstert und brüllt er sogar den Text, den der gepiesackte Peer wimmert und die Trolle, eine wahre Höllenbrut, johlen. Vielschichtig eben, dieser Tänzer und seine Rollen.
Einen wesentlichen Anteil am Erfolg dieses Tanztheaters hat auch das Team von Clug: Marko Japelj hat das wunderbar ohne Umbaupausen ineinanderfließende Bühnenbild gebaut; Leo Kulaš ist für die fantastischen Kostüme verantwortlich und Tomaž Premzl leuchtet das Geschehen aus. Auch Die Musik von Edward Grieg, einfühlsam dirigiert von Simon Hewett, ausgewählt von Clug selbst, weckt die Gefühle (was der Aktion auf der Bühne nicht so recht gelingen will). Kammermusikstücke, in denen die Streicher des Volksopernorchesters brillieren, Teile aus den berühmten Suiten Griegs und seinem Klavierwerk, großartig interpretiert von Shino Takizawa, erklingen als wär’s ein einziges Stück.
Maribor, wo Clug Ballettchef am dortigen Nationaltheater ist, ist nicht gar so weit von Wien entfernt, so konnte der Choreograf selbst, mit seinem Assistenten Miloš Isilović, sein erstes abendfüllendes Werk einstudieren. Der tosende Applaus am Ende, wenn Solveig und Peer endlich innig vereint ins Nirwana eingehen, gibt Ballettdirektor Manuel Legris, der Clug nach Wien eingeladen hat, recht. Gerade Gäste, die mit Tanz und Ballett wenig anzufangen wissen, werden an diesem üppigen, teils romantischen, teils mit Ironie aufgeblätterten Bilderbogen viel Freude haben.
Edward Clug: „Peer Gynt“, Ballett in zwei Akten, 4. Aufführung mit zahlreichen Rollendebüts, 27. Jänner 2018, Wiener Staatsballett in der Staatsoper.
Noch zwei Vorstellungen in dieser Saison: 30. Jänner (Cherevychko, Poláková), 1. Februar 2018 (Premierenbesetzung).