Edward Clug: „Peer Gynt“, eine Tanzpremiere
Mit seinem, für das Ballettensemble des Nationaltheaters Maribor geschaffenen, Stück nach Henrik Ibsens Versdrama „Peer Gynt“ begeistert der Choreograf und Regisseur Edward Clug auch das Wiener Publikum. Dieses, Clugs erstes abendfüllendes Tanztheaterstück, ist ein großartiger Bilderbogen, der den norwegischen Helden auf seiner Jagd nach dem Glück und der Reise zu sich selbst zeigt. Jakob Feyferlik ist als Peer während des gesamten Abends auf der Bühne, um ein ganzes Leben zu durchtanzen. Ihm gebührt die Palme.
Clug hat sich intensiv mit dem Stoff, den Ibsen aus der nordischen Sagenwelt gewoben hat, beschäftigt und den dreistündigen Abend vollgepackt mit Metaphern und Symbolen, Zitaten und Assoziationen, aber auch Plattitüden.
Es geht also um Leben und Tod, Liebe, Gier, Übermut und Anmaßung. Worum sonst!
Ist Peer anfangs noch ein ganz sympathischer „Teufelslügenschmied“, wie ihn seine Mutter, die ihm immer wieder verzeihende Åse (Franziska Wagner-Hollinek), nennt, so wird er im Lauf des Lebens immer widerlicher. Rücksichtslos nimmt er sich, was er kriegen kann. Ob er nun, wie zu Beginn, den weißen Hirsch jagt oder die Braut raubt. Überhaupt, Frauen behandelt er als zur Verfügung stehende Objekte, nimmt sie und wirft sie wieder fort, wenn ihm die Nächste schöne Augen macht. Als charmanter Macho und frecher Aufschneider macht sich der junge Solotänzer Feyferlik recht gut. Die menschenverachtende, machtgierige Seite kann ich nicht finden.
Willig geht Ingrid, die unglückliche Braut (Ioanna Avraam), noch während der Hochzeit mit ihm; die Tochter des Bergkönigs, „Die Frau in Grün“ (Rebecca Horner) gebiert ihm ein Kind, und was mit den drei Sennerinnen (Zsófia Laczkó, Katharina Miffek, Julia Tcaciuc) passiert, bleibt im Dunkel. Dreißig Jahre später ist er in Marokko und findet in Anitra, der Tochter des Beduinenhäuptlings (Nikisha Fogo) seine Meisterin: Sie zieht ihn bis auf die Hose aus. Verarmt und allein, landet er im Irrenhaus, wo ihn die Internierten zum König der Narren krönen. Vielleicht doch nur ein Albtraum des von Ruhm und Macht Besessenen?
Zuhause wartet Solveig (Alice Firenze), die ihn unverbrüchlich liebt, seit er sie als Jüngling verführt hat. Bereits erblindet, sitzt sie als alte Frau auf dem Dach der Hütte und hält nach Peer Ausschau, um ihn endlich in die Arme zu schließen.
Alle Damen sind beeindruckend in ihrer Rollengestaltung. Franziska Wagner-Hollinek gelingt es perfekt, den Zwiespalt einer Mutter, die ihren Sohn zugleich verachtet und doch anbetet, darzustellen; Ioanna Avraam ist eine herbe, traurige Braut, halb gezogen, halb hingesunken, und Rebecca Horner wie auch Nikisha Fogo entzücken mit ihren Verführungskünsten, die eine als exzessiv tanzende Araberin, die andere als doppelgesichtige Trollprinzessin, lasziv und schlau. Immer wenn Peer meint, Herr der Situation zu sein, ist er eigentlich der Düpierte, der in seiner Hybris nicht merkt, was gespielt wird. So muss er schwindeln und aufschneiden und Geschichten erzählen, die er vermutlich gar nicht erlebt, sondern lediglich erträumt hat. Am Ende gelingt es ihm zwar noch, dem Tod von der Schaufel zu springen, respektive aus dem Sarg zu hüpfen, doch muss er erkennen, dass er eine Zwiebel ohne Kern ist. Während er die Knolle zerpflückt, erkennt er: Da ist nichts drinnen, lauter Schalen, kein Kern.
Das hört ja nicht auf! Immer Schicht noch um Schicht!
Kommt denn der Kern nun nicht endlich ans Licht?!
Bis zum Innersten Innern, – da schau’ mir einer! –
Bloß Häute, – nur immer kleiner und kleiner. – Die Natur ist witzig!*
Hilfe dabei leistet ihm der Tod, der zugleich Teufel, frommer Priester und alter Ego ist. Als schwarzer Mann in Lackschuhen begleitet Andrey Kaydanovskiy den gyntschen Lebenslauf mit undurchdringlicher Miene und teils aufmunternden, teils abwehrenden Gebärden. Ebenso undurchsichtig und geheimnisvoll ist der weiße Hirsch, der immer wieder auftaucht und am Ende seinen Kopfschmuck an die Hütte nagelt, in der Solveig ihren Peer in den Schlaf singt. Zsolt Török, mit Maske und Geweih, ist ein kräftiger Tänzer, der auch virtuos mit den beiden Krücken umgehen kann.
Freude macht auch der Auftritt des zornigen Schmieds, Aslak, der den jungen Peer Mores lehren will und damit eine ordentliche Rauferei auf dem Dorfplatz entfacht. Vladimir Shishov scheint sich mit seinem Beil sichtlich wohlzufühlen und ist eine der wenigen Figuren, die nicht Peers Träumen entstiegen zu sein scheint, sondern präsent und höchst lebendig.
Gut gelungen ist der beeindruckende Kinoabend auch durch die sorgsame Zusammenstellung verschiedener Kompositionen Edvard Griegs (nicht nur aus den beiden Peer Gynt Suiten). Das fein zusammenfließende Arrangement wird von Simon Hewett dirigiert, wobei besonders die Streicher in den kammermusikalischen Teilen und, natürlich und wie immer, Pianistin Shino Takizawa, puren Hörgenuss bieten.
Fein ineinander übergehen auch die einzelnen Stationen von Peers Reise auf dem ovalen die Bühne beherrschenden Steg (Bühnenbild: Marko Japelj), der von einer Höhle, zugleich Hütte und Tor in die Welt, zusammengehalten wird. Auch die Kostüme von Leo Kulaš beeindrucken, wobei vor allem die ausgestopften, scheinbar nackten Trolle beiderlei Geschlechts im Gedächtnis bleiben, doch auch die grünbezopften „Sennerinnen“, den Nornen gleich, können mir gefallen. So sind es vor allem die Gruppenszenen – Hochzeitstanz, Rauferei, stampfende Trolle, die Tobenden im Tollhaus –, die beeindrucken und haften bleiben.
Die heftig beklatschte Aufführung, bei der auch der Dirigent und das Orchester samt der Pianistin ihren verdienten Anteil erhalten haben, ist eher als wunderbarer Bilderstreifen denn als Ballett zu genießen.
*) Ein Zitat aus Ibsens Versdrama, in der Übersetzung von Christian Morgenstern.
Edward Clug: „Peer Gynt“ Ballett in zwei Akten zur Musik von Edvard Grieg. Premiere, 21. Jänner 2018. Wiener Staatsballett in der Staatsoper.
Weitere Vorstellungen in dieser Besetzung: 22., 24.1., 1.2. 2018
In alternativer Besetzung mit Denys Cherevychko als Peer und Nina Poláková als Solveig: 27., 30.Jänner 2018.