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Festwochen: „Mi gran obra“, David Espinosa

Großes Theater aus kleinem Koffer. © Judith Kaltenböck

Mein großes Werk (ein ehrgeiziges Projekt)“ nennt der katalanische Tänzer, Regisseur und Choreograf David Espinosa die knappe Stunde mit der Compagnie Hekinah Degul. Nicht zu hoch gegriffen, sind doch 300 Darstelle_innen, Zwei- und Vierbeiner, beteiligt. Sie alle haben samt Bühnenbild und Soundinstallation in einem Kabinenkoffer Platz. Die ganze Welt als Miniatur. Groß gedacht, klein gemacht. Eine geniale Idee. Eine erstaunliche Performance.

Ganz ernsthaft will Espinosa mit seinem Koffertheater (Menschen und Tiere, Berge und Meer, Gräber und Betten, Straßen und Plätze sind maßstabgetreu im Verhältnis 1:87 auf das weiße Bühnenviereck gebracht) auf die Schwierigkeiten, mit kleinem Budget eine große Produktion zu realisieren, hinweisen. Die Lösung ist faszinierend: Mit winzig kleinen Figürchen erzählt er große Geschichten. Geschichten von Sex and Crime, Liebe und Gewalt, Leben und Sterben. David Espinosa, Herr über Leben und Tod. © Judith Kaltenböck
Nur 20 Personen können im Halbkreis um den Tisch sitzen, auf dem sich die große Welt abspielt. Der Operngucker hilft auch die Sexszene in der Gruppe zu erkennen, den kleinen Hund Park und die aus feschen weiß gekleideten Herren bestehende Mariachi-Gruppe. Auch eine Militärmusik marschiert auf, in der Prozession trampelt ein vergleichsweise riesiger Elefant und die Priester sind überall.

Nachdem ich mich an den putzigen Figürchen satt gesehen habe, vergesse ich ganz, dass ich Theater aus der Spielzeugkiste sehe, schlage während der Porno-Szene schamhaft die Augen nieder, erschrecke über die vielen Toten nach Unfällen und Naturkatastrophen und bin entsetzt, dass am Ende die Leichen (der Sensenmann hält während der gesamten Aufführung überreichliche Ernte) mit dem Schaufelbagger weggeräumt werden. Der Tod erschüttert immer, auch wenn er aus Plastik ist. Tiefer sogar. Die lebendigen Darsteller stehen wieder auf und verbeugen sich im Applausregen. Die Figuren bleiben liegen, begraben unter der Erde. Nur der kleine Plastik-Regisseur verbeugt sich manierlich.

Der überlebensgroße Elefant als Störfaktor. © Judith Kaltenböck

Espinosa zeigt, dass mit auch kleines Theater auf großen Gedanken beruhen und diese im Publikum auslösen kann. Weil er sichtbar seine Figuren bewegt, zwar mit Liebe, doch unerbittlich leben und sterben lässt, erscheint er mir als die Welt regulierenden Gott. Kein angenehmer Gedanke, der all das minutiös inszenierte Putzige dieses ambitionierten Projekts überschattet.

Übrigens, wieviel Witz und Ironie in Espinosas Einfällen steckt zeigt schon der Name seiner kleinen großen Theatergruppe: Hekinah Degul. Gulliver hört die Wörter nach dem er gefesselt im Lande Liliput aufwacht. Angeblich bedeuten sie übersetzt „…was zum Teufel …“. Auch Jonathan Swift, der „Gullivers Reisen“ beschrieben hat, sagt zwischen den Zeilen mehr als die fantastische Oberfläche zugibt. Der Mensch ist zwar zur Vernunft fähig, doch verzichtet er meistens darauf und überlässt das Denken den Pferden (Houyhnhnms).

David Espinosa: „Mit gran obra (un proyecto ambicioso) / Mein großes Werk (ein ehrgeiziges Projekt). Uraufführung, Oktober 2012, Barcelona; Premiere im deutschsprachigen Raum im Rahmen der Wiener Festwochen im brut. 

Weitere Aufführungen: 30., 31.5.;1., 2.,6. 2016.