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Osterfestival Tirol: „Verklärte Nacht“

Samantha van Wissen, Boštjan Antončič, © Anne Van Aerschot

Mit einem gefühlvollen Salto rückwärts hat sich die Choreografin Anne Teresa De Keersmaeker der Romantik in die Arme geworfen. Der 2014 entstandene Pas de deux „Verklärte Nacht“, war einer der Höhepunkte des Osterfestivals Tirol 2016. Cynthia Loemij und Boštjan Antončič haben in großen Halle des Innsbruck Congress (Dogana) zur Musik von Arnold Schönberg getanzt.

Schönbergs spätromantische Komposition, „Verklärte Nacht“, inspiriert von einem Gedicht von Richard Dehmel, ursprünglich als Streichsextett geschaffen, später vom Komponisten selbst für Streichorchester erweitert, hat es De Keersmaeker angetan. Schon 1995 hat sie eine Gruppenversion erarbeitet und gemeinsam mit Schönbergs „Erwartung“ auf die Bühne gebracht. Damals tanzten sechs Paare im nächtlichen Wald. Die aktuelle Choreografie ist, wie De Keersmaeker betont, keine Wiederaufnahme sondern eine komplett neue Choreografie für ein Paar und einen Mann, der jedoch nur ganz kurz im Prolog erscheint. Es ist eine Dreiecksgeschichte, ein Stück von einer Frau über eine Frau, für Frauen. Nicht nur um Leidenschaft und Liebe geht es,neben dem Begehren steht das Gebären. Die Frau, so dichtete Dehmel, trägt das Kind eines anderen im Leib, das wird sie bei einem Waldspaziergang dem Liebhaber gestehen. Sie weiß nicht, wie er reagieren wird. Der Andere war nur Samenspender, die Liebe zum Gegenwärtigen kam erst danach. Ein Dilemma zwischen Liebe und Mutterglück.

Samantha van Wissen, Boštjan Antončič, © Anne Van Aerschot

Ganz der Musik vertrauend, lässt De Keersmaeker die Tänzerin (in der Premierenbesetzung Samantha van Wissen, in Innsbruck Cynthia Loemij, beide erfahrene und langjährige Tänzerin in De Keersmaekers Compagnie Rosas) zuerst vorsichtig tastend im Lauf eines langen Solos immer expressiver und leidenschaftlicher werdend, agieren. Der Mann (Boštjan Antončič) steht lange Zeit mit dem Rücken zu Ihr, zuckt hie und da die kalte Schulter, weiß nicht genau wie er auf die Affekte, die seine Geliebte schütteln, reagieren soll.

Sie trägt ein einfaches Sommerkleidchen, das der Figur etwas Zerbrechliches, auch Verzweifeltes gibt. Oft hockt sie mit gespreizten Beinen auf dem Boden, zeichnet Kreise, schürzt den Rock. Sie wird Mutter, aber ist auch Geliebte. Schönbergs in den Harmonien stark an Richard Wagner erinnernde Musik, gibt die aufwühlende Erotik vor. Immer deutlicher fordert die Frau eine Reaktion des Mannes, mit gespanntem Körper bäumt sie sich auf, steht auf den Zehenspitzen, biegt sich weit nach hinten, als stünde sie am Rande eines Grabens, bereit zum Sprung. In den Abgrund hinunter oder zum Himmel hinauf.
Statt Studien, Forschungen und Analysen sehen wir Bewegung gewordene Emotionen, sehen wir Tanz, Ballett. „Schamlos romantisch“, gibt die Choreografin zu und wehrt sich dagegen „Romantik als altmodisch zu empfinden.“

Samantha van Wissen, Boštjan Antončič, © Anne Van AerschotImmer heftiger wirft sich die Geliebte in des Geliebten Arme, hängt sich an ihn, zeigt Bangen und Hoffen. Er hält sie Balance. Lässt er sie fallen? Bei Dehmel zeigt sich der Mann großmütig, wird das fremde Kind als sein eigenes annehmen. De Keersmaeker schließt nicht so eindeutig, nach dem die Gefühlsausbrüche abgeflaut sind, die Musik (in einer von Pierre Boulez dirigierten Aufnahme) verklingt, verlässt die Frau den Schauplatz. Der Mann bleibt, wohl erstaunt über seine Entscheidung, abwartend am Bühnenrand stehen.
Gemeinsam mit Luc Schaltin hat sich De Keersmaeker auch um die Lichtregie gekümmert. Im Halbdunkel der riesigen Halle beginnt der Abschied vom Kindsvater als Vorspiel, mit dem Anschwellen des musikalischen Rausches wird auch die Bühne heller, um immer wieder zwischen Hell und Dunkel zu schwanken.
Licht, Musik und Tanz verschmelzen zu einer Einheit, erzählen von Gefühlen und Gedanken, von Angst, Sehnsucht, Erotik und Mutterschaft. In einer fesselnden Dramaturgie, mit einer Leichtigkeit und ruhigen Innigkeit, die mir die Tränen in die Augen treibt.

Das Osterfestival Tirol hat noch ein Tanzereignis zum heurigen Generalmotto „Liebe“ zu bieten: Vim Vandekeybus / Ultima Vez: „Speak low if you speak love“, 27. März 2016, Innsbruck Congress (Dogan).

„Verklärte Nacht“, eine Produktion von Rosas, Choreografie von Anne Teresa De Keersmaeker, Musik von Arnold Schönberg, Verklärte Nacht, op. 4, New York Philharmonic unter Pierre Boulez. Im Rahmen des Osterfestivals Tirol, 19. März 2016, Innsbruck.
Auch das ImPulsTanz Festival ImPulsTanz Festival zeigt „Verklärte Nacht“ in der Choreografie von Anne Teresa De Keersmaeker: 24. und 25. Juli 2016, Volkstheater.