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Noé Soulier im Tanzquartier

Removing © Chiara Valle Vallomini

Der junge französische Tänzer, Choreograf und Philosoph Noé Soulier zeigt im Tanzquartier Köper in Bewegung, Gesten, Handlungen, Aktionen – immer nur im Ansatz. Keine Geste, kein Ablauf wird zu Ende geführt. „Removing“ ist eine Aneinanderreihung von Sequenzen abgebrochener, gestoppter Bewegung. Spannung entsteht, weil gewohnte Folgen gebrochen werden, Erwartung nicht erfüllt wird.

Bewegungen können weggeräumt, gestoppt, verlagert, beseitigt oder erneut ausgeführt werden. Mit Bewegungen aus dem Kampfsport und dem Alltag, die nur als Impuls ausgeführt werden aber nicht vervollständigt, möchte Noé Soulier den Tanz jeglicher Botschaft entledigen und ihn auf die reine Motorik reduzieren. „Diese“, so sagt er in einem Interview, „wird zum Instrument der Empathie.“
Das ist die Theorie.

In der Praxis sehe ich sechs Tänzer_innen, ausgezeichnete Tänzer_innen, die zum Sprung ansetzen, aber nicht springen, zum Schlag ausholen, aber ihr Gegenüber nicht berühren, die versuchen zu greifen, aber nichts erfassen. Jeder Bewegungsablauf wird abgebrochen, seines ursprünglichen Sinns und Zwecks beraubt. Das ist anfangs sehr spannend, denn auch mein Körper (oder ist es das Gehirn?) hat viele Bewegungen abgespeichert, setzt automatisch fort, was die Tänzer_innen begonnen haben.
Soulier aber nimmt die Gewissheit, enttäuscht die instinktive Erwartung: Der angesetzte Sprung kommt nie zustande, der zum Hieb gehobene Arm, sinkt tatenlos herab. Die Tänzer (Soulier selbst, Jose Paulo Dos Santos, Norbert Pape, Nans Pierson) und Tänzerinnen (Yumiko Funaya, Anna Massoni) arbeiten mit ungeahnter Energie und Präzision, bewegen sich in den kämpferischen Sequenzen rasend schnell ohne einander zu berühren.
Nach 20 Minuten ist die Theorie klar, es folgen Solis auf Duos, ganz selten sind alle sechs auf der Bühne, das ergibt durch vertikale und horizontale Achsen eine schöne Architektur. Ich weiß aber schon, dass ich nicht sehen werde, was ich zu sehen erwarte und erwarte daher, das Unerwartete. Langsam kommt Monotonie auf, zumal der größte Teil der Performance in völliger Stille ausgeführt wird, nur manchmal höre ich die sich erwärmenden Scheinwerfer knacksen. Yumiko Funay springt nicht. © Y Chiara Valle Valloomini

„Removing“ hat keinen Anfang und kein Ende, es mangelt an Struktur und Höhepunkten, die Tänzer_innen kommen und gehen, die einzelnen Abschnitte sind ohne Zusammenhang oder Notwendigkeit aneinander gereiht. Der Sinn des angesetzten Sprünge, begonnenen Gesten, enthüllt sich mir nicht. Immer mehr werden die Tänzer_innen in meinen Augen zu fern gesteuerten Marionetten. Nach zwei schönen Duos (eines nur in der Vertikalen auf dem Boden, ausnahmsweise  begleitet von Sturm und Donnergrollen) in Zeitlupe kommen alle Mitwirkenden wieder aus dem Dunklen auf die Bühne, die Serie der nicht ausgeführten Bewegungen beginnt wieder, es hat sich nichts entwickelt, nichts geändert. Die Theorie bleibt grau.

Noé Soulier: „Removing“, 4. 12. Tanzquartier. Zweite Vorstellung am 5.12. 2015.