Verzaubert und verführt
Wir betreten einen stillen, sanft beleuchteten Raum. Bühnen-Rauch tritt hervor und Harfenmusik ertönt. Das Erwachen einer in schwarz gekleideten Prinzessin, die im Goth-Style das Publikum in ein unbekanntes Märchen entführt. Agnes Bakucz Canário zeigt am 10. Mai die Premiere von Sadis-Rose, her Litany, the Sacrifice. Ein Tanzstück, das in die verträumte Welt von Unsicherheit und spiritueller Hingabe zieht.
Philippa Godsalve spielt Harfe und wird von elektronischer Musik begleitet und zeitweise von Donner und Wolfsheulen abgelöst. Musikalisch ist dieses Stück sehr vielfältig: Die Performerin singt in mehreren Sprachen und zeigt mit Leichtigkeit, wie Blickkontakt und langsame Bewegungen das Publikum verzaubern und verführen können.
Ich fühle mich wie eine Passantin, die zufällig Zeugin eines Erlebnisparcours der Performerin wird. Verschiedene Elemente, wie das An- und Auskleiden des pompösen Kostümes, sowie die E-Zigarette, die geraucht und mit dem Publikum geteilt wird, erzeugen eine humorvolle Interaktion und Atmosphäre.
Das Stück folgt keiner klaren Struktur und lässt viel narrativen Interpretationsraum. Es befasst sich hauptsächlich mit Atmosphären von Weiblichkeit und Geselligkeit, ohne dabei bestimmte Stereotype zu provozieren. Der Körper wird hier zwar als sexuelles Subjekt gelesen, aber nicht objektiviert.Das liegt zumal an der Choreografie, in welcher Agnes durch die Raumlandschaft wandert, sich durch das Publikum windet und auf, durch Spotlights beleuchteten, temporären Bühnen ‘Platz einnimmt’. Dieser Prozess wird in der Kritisch Feministischen Theorie auch Claiming Space genannt und bezieht sich auf das Sichtbar Sein sowie das nicht-weg-drängen, sondern im Gegenteil: Platz für sich und andere zu schaffen. Das An- und Ausschalten sowie die Positionierung der Scheinwerfer werden von Agnes selbst übernommen.
Die Verspieltheit, mit der die mystische Atmosphäre durchbrochen wird, spiegelt sich auch in der Raumnutzung wider. Das Verstecken der Performerin hinter dem Vorhang und ein sich abseilendes Mikrofon reagieren auf die verschiedenen Ebenen, in denen sich das Publikum im Raum positionieren kann. Zweckentfremdete Ballett-Barren oder Aufbewahrungssysteme für elektronisches Equipment erinnern an die pragmatische Nutzung eines Tanzstudios. Stehend, sitzend oder lehnend bilden sich automatisch kleine Menschentrauben, die zu so etwas wie kollektiven Zuschauer-Inseln werden. Durch die verschiedenen Ebenen wird zur Bewegung und aktiven Mitverfolgung der Performance eingeladen und zu einer kollektiven Auseinandersetzung sowie Mitgestalten der Gesamtsituation angeregt.
Agnes Bakucz Canário: Sadis-Rose, her Litany, the Sacrifice
10.+ 11. Mai 2024, TQW Studios
Performance, Konzept: Agnes Bakucz Canário. Musik, Harfe, Komposition: Philippa Godsalve, Agnes Bakucz Canário; Licht, Bühnenbild: Agnes Bakucz Canário; Kostüm: Isabelle Edi