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Webstuhl & Lochkarte, die hölzernen Eltern der KI

„(GEWÖLBE): Gespinst“: Papertheater ind gewebten Theateraufführung.

Wieder zu Hause gelandet sind die künstlerischen Mitarbeiter:innen des künstlerischen Kollektivs spitzwegerich. Auf der Suche nach einem Spielort für das zweite Kapitel im Projekt (GEHÄUSE) haben sie entdeckt, dass ihr Studio noch im 20. Jahrhundert der Handweberei von Jakob Himmelspach gedient hat. Dort hat er aus alten Textilien Fleckerlteppiche hergestellt. Keine Frage, dass die Aufführung von (GEHÄUSE) – G’spinst nur im Himmelspach stattfinden kann. Spitzwegerich arbeiten multitalentiert und multimedial. Puppen, Objekte, Musik, recherchierte und phantasierte Texte, Gesang und (diesmal kein) Tanz fließen zu einer ebenso vergnüglichen wie informativen „Hyper-Text- Performance“ zusammen.

Das echte Geschäftsschild der Weberei von Jakob Himmelspach.Womit beginnt ein G‘spinst, ein Gewebe, ein Teppich, ein Vorhang, einfach jedes „Textile Flachgewebe“ und auch ein Text? Mit Arbeit, klar, Arbeit am von Hand betriebenen Webstuhl. Den, das wissen wir, hat schon Penelope betrieben, um die lästigen Freier einzuwickeln und abzutransportieren. Längst hat sich der Handwebstuhl, ob senkrecht stehend oder waagrecht liegend, in den industrialisierten Ländern zu einem Hobbyobjekt gewandelt. Auch ein Text braucht einen Webapparat, der liegt im menschlichen Gehirn. Schuss und Kette, Idee und Ausführung, Neuronengeflecht und Handarbeit. Alles klar? Was das Gehirn produziert und die Hand festhält, ist gewebt, ein Gewebe, älter möglicherweise als die Textilien der ersten Menschen. Noch eine Erklärung: Der Begriff Text ist aus dem lateinischen Verb texere abgeleitet, und das heißt nichts anderes als weben, flechten. Für G’spinst hat übrigens Natascha Gangl den poetischen und aufklärenden Text gewoben, in Sprache, Musik, Gesang, Spiel und Sprech-Gesang übersetzt haben das Gewebe Manfred Engelmayr (Bulbul), Norma Espejel, Anna Hauf und Christian Schlechter. Manfred Engelmayr an der winzigen Drehorgel, die das Klappern des Webstuhls imitiert.Wie gesagt, ursprünglich war die Weberei ein Ort der Handarbeit, die Herstellung eines textilen Gewebes dauerte geraume Zeit, dementsprechend teuer war es, sich einzukleiden und auszustatten. Die erste Machine for weaving [by power] hat ein Pfarrer aus Lincoln erfunden. 1785 hat Edmund Cartwright für seinen Kraftstuhl (deutsche Übersetzung) das Patent Nummer 1470 erhalten. Die Maschine setzte sich durch, die Menschen verloren ihre Arbeit, Rebellion war die Folge, der Dramatiker Gerhart Hauptmann (1862–1946) schrieb „Die Weber“, in dem er den Weberaufstand von 1844 dramatisiert hat. Prompt hat der Berliner Polizeipräsident ein Aufführungsverbot erlassen. 1893 fand endlich die Uraufführung vor geladenen Gästen statt. 1980 ist das Sozialdrama vom Bayerischen Rundfunk zum vierten Mal verfilmt worden, Klaus Maria Brandauer hat die Rolle des Agitators Moritz Jäger, der den Aufruhr der armen Weber schürt, übernommen. Sängerin Anna Hauf. Der Wäschetrockner im Hintergrund ist kein Gerümpel, sondern ein Musikinstrument. Die erste Lochkarte hatte allerdings ein Seidenweber aus Lyon verwendet, es war ein gelochtes Holzbrettchen. Der Prototyp blieb in der Werkstatt, auch der Ingenieur Jacques de Vaucanson, der den programmierbaren Webstuhl weiterentwickelt hat, hat es nicht bis zur Serienfertigung gebracht. Erst der Bastler und Erfinder Joseph-Marie Jacquard hat das endgültige Modell hergestellt. Er hat nach der Französischen Revolution im Conservatoire des arts et métiers (als der Akademie für angewandte Kunst) die Reste der zerlegten Vaucanson-Maschine gefunden und den Webstuhl rekonstruiert. Schließlich kombinierte er dessen Steuerungstechnik mit Techniken der österreichischen Musterwebstühle und präsentierte 1845 den ersten selbst arbeitenden Webstuhl, die Lochkarte war noch immer aus Holz. Doch die löchrige Künstliche Intelligenz scharrt bereits am Start. 1 und Null. Ein Loch: Faden hebt sich, kein Loch: Faden senkt sich. Jedes Muster konnte gewebt werden, lange, so lange wie die Nadeln Löcher auf den aus den Karten zusammengefügten Streifen finden. Es ist soweit, die KI schlüpft aus dem Ei, ist ein dicker, gewebter, roter Wurm. Er gebiert ein Überraschungsei.Auch im Himmelspach werden Lochstreifen hergestellt, im Takt des Gesangs von Anna Hauf knipst Manfred Engelmayr mit der Zwickzange den Lochstreifen. Das Loch ist wichtig, eine Projektion an der Wand betont das, wie überhaupt die Wand in der engen Arbeitstube perfekt mitspielt. Papierene Hampelpuppen hängen daran. Erst wenn sie uns nicht mehr den Rücken zuwenden, einander die Hände reichen, sind die Mitwirkenden und Beteiligten zu erkennen. Natürlich muss auch die KI auftauchen, als sein riesiges Maul auf und zu klappender roter Wurm. Der legt über Auftrag ein Ei, obwohl er einen Text produzieren sollte. Doch er, der Wurm oder sie, die KI, hat nicht versagt, das Ei birgt eine Überraschung, sie hat tatsächlich einen Text im Stil von Natascha Gangl zustande gebracht, einen Hypertext, denn er ist zu einer Miniatur-Bühne verlinkt, die in jeder Szene ein neues Bühnenbild hervorbringt, und mit flachen Figürchen das Treffen der Autorin mit dem letzten Fleckerlteppich-Weber, Jakob Himmelspach, darstellt.Christian Schlechter webt seinen Text fast schon digital. Er füllt gefäbtes Waser in die Polster einer Verpackungsfolie. 0 und 1, voll und leer. Allmählich bildet sich ein Text.   Allerliebst und, noch mal überraschend, es ist Himmelspach, der sich als Großvater der KI ausgibt. Die Weber:innen haben gearbeitet, bis sie entlassen wurden, die Künstler:innen arbeiten, während wir zuschauen und uns freuen. Und wieder einmal kommt mir der Gedanke, dass Arbeit auch Freude machen kann, Freude machen muss. Sie sollte für alle mehr sein, als Mittel, das Urlaubsgeld zu erwarten. Und weil den Spitzwegerichen die die Arbeit auch Vergnügen ist, darf die Hoffnung nicht fahren gelassen werden, dass auch dieses zauberhafte, kluge Stück beizeiten eine Wiederholung erfährt.
Norma Espejel singt, spielt und rezitiert. G`spinst ist der zweite Teil des Projekts (GEHÄUSE), der erste, (GEHÄUSE): Eau-O führte spitzwegerich im März 2023 in eine ehemalige Parfümerie in Wien Hernals. Der dritte, (GEHÄUSE): Fragment 3, ist am 11. und 12.8.2023 im Festival Hin & Weg Litschau zu sehen. Und dann, und dann, fügen die spitzwegeriche die drei Fragmente zusammen und verarbeiten die gesamten (GEHÄUSE) ab 30. November 2023 im Werk X am Petersplatz mit Esprit, Fantasie und der Hände Arbeit zu einem Abend.
(GEHÄUSE) ist ein Projekt von spitzwegerich mit Flora Besenbäck, Simon Dietersdorfer, Manfred Engelmayr, Franziska Füchsl, Natascha Gangl, Anna Hauf, Max Höfler, Felix Huber, Asli Kislal, Birgit Kellner, Christian Schlechter, Emmy Steiner, Rebekah Wild.

spitzwegerich: (GEHÄUSE): G`spinst. Premiere im Himmelspach 8. Juni 2023
Konzept: spitzwegerich
Text: Natascha Gangl, Musik: Manfred Engelmayr, Outside Eye: Asli Kislal, Raum, Objekte: Birgit Kellner, Christian Schlechter, Rebekah Wild. Produktion, Licht: Felix Huber
Performance: Manfred Engelmayr, Norma Espejel, Anna Hauf, Christian Schlechter
Fotos: © Felix Huber