Alias Cie / Guilherme Botelho: ImPulsTanz
Mit zwei Stücken war Choreograf Guilherme Botelho mit seiner Compagnie Alias im Rahmen des ImPulsTanz Festivals im Akademietheater zu Gast. Botelho hat bereits 2011 mIt seiner Schweizer Compagnie und „Sideways Rain“ das Publikum im Tanzquartier verblüfft. Zusätzlich war diesmal auch das 2018 entstandene Pendant „Normal“ zu sehen. Das Publikum hat leicht verwirrt gewirkt, sich aber schließlich zu lautem Jubel entschlossen.
Botelho treibt das unaufhörliche Auf und Ab des Lebens um. Mit zwei Choreografien bringt er es auf die Bühne. Was die Tänzer:innen eine Stunde lang zeigen, ist ein Perpetuum mobile des Lebens. In „Sideways Rain“ bewegen sie sich waagrecht auf dem Boden, nur in wenigen kurzen Sequenzen richten sie sich auf, werden zum Homo errectus, den ich schnell wieder vergesse. Gleich kriechen, rutschen, rollen sie wieder als Vier- oder Achtbeiner über die lichtdurchflutete, aber leere Bühne. 15 Männer und Frauen hat Botelho angeregt, schwere körperliche Arbeit zu leisten. Die Rutschpartie verschwindet rechts von der Bühne, um gleich darauf, oft im neuen Kostüm, wieder aufzutauchen. Bald weiß man nicht mehr: Sind es 15 oder 1500? Am Ende jedoch bleiben sie alle aufrecht und spinnen die Bühne mit Fäden ein, es entsteht ein dichter Vorhang, manche laufen dahinter von einem Ende zum anderen, manche suchen vorn einen Ausweg. Vielleicht gibt es ihn.
Das gleiche Thema, den Zyklus des Lebens, behandelt Botelho auch in „Normal“, diesmal senkrecht mit sieben Tänzer:innen, die aufrecht stehen, umfallen, wieder aufstehen, umfallen, wieder aufstehen, eine Stunde lang. Die Energie, die von den Tänzer:innen ausgeht entwickelt einen Sog, Spannung entsteht, weil ich doch hoffe, dass irgendwann etwas passiert, dass sie nicht immer wieder mit dumpfen Ton synchron auf den Boden fallen, sondern sich erheben, sich widersetzen diesem immer gleich fließenden Strom des Lebens. In kurzen Augenblicken versucht das einer, doch er kann nicht, darf nicht, muss wieder fallen, um wieder aufzustehen.
Zusammengehalten von der strukturlosen, auf- und abschwellenden Minimalmusic des chilenischen Komponisten Murcof (Fernando Corona) üben beide Stücke einen unwiderstehlichen Sog aus, hypnotisieren geradezu und versetzen in Trance. Entspannt überlasse ich mich dem endlosen Auf und Ab, dem Verschwinden und Wiederauftauchen. Das wechselnde Licht tut sein Übriges.
Zwei geniale Kreationen, die durch die Gleichförmigkeit und auch die Energie der Tänzer:innen, die nicht müde werden, sich nicht schonen, faszinieren. Dass diese in der Schweiz als „Meisterwerke“ gefeierte Choreografien für manche etwas zu sehr von Kitsch durchwirkt und auch etwas platt wirken, mag an der Herkunft des Choreografen Guilherme Botelho liegen. Der Tänzer und Choreograf ist 1962 in Brasilien geboren und hat seine Tanzkarriere in São Paulo begonnen. 1982 ist er in das Ballettcorps des Grand Théâtre de Genève aufgenommen und hat in der Schweiz eine neue Heimat gefunden. Noch als Solotänzer hat er zu choreografieren begonnen und 1993 seine eigene Compagnie, Alias, gegründet. Mehrere Preise bestätigten seine Talente. Dass der Blick auf die Welt eines Lateinamerikaners ein anderer ist, als der meist kühler Abendländer:innen, wird in diesen beiden Stücken deutlich. Im Grunde ist dieses Perpetuum mobile der Körper eine romantische Angelegenheit, die das Publikum spaltet.
Alias Cie / Guilherme Botelho
„Sideways Rain“. Choreografie Guilherme Botelho. Bühnenbild: Botelho, Stefanie Liniger, Gilles Lambert. Licht: Jean-Philippe Roy. Musik: Murcof. Kostüm: Marion Schmid nach Julia Hansen. 20., 22. Juli 2021, Akademietheater im Rahmen des ImPulsTanz Festivals. „Normal“. Choreografie: Guilherme Botelho. Lichtdesign: Jean Philippe Roy. Musik: Fernando Corona – Murcof. Kostüm: Amandine Rutschmann.
Tänzerinnen und Tänzer: Arnaud Bachrach, Alexandre Bibio, Eve Bouchelot, Louis Bourel, Stefen Bruneau, Natalie Farkas, Veronica Garcia Ugrin, Alex Landa Aguireche, Johannes Lind, Erik Lobelius, Sophie Preidel, Linn Ragnarson, Tilly Sordat, Johanna Willig-Rosenstein, Kamil Zdankowski in „Sideways Raine“
Arnaud Bucharach, Eve Bouchelot, Louis Bourel, Erica Bravani, Veronica Garcia, Alex Landa-Aguireche, Johann Willig-Rosenstein in „Normal“.
Fotos: Yves Genoud, Gregory Batardon