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Festwochen: F. Chaignaud mit Marie-Pierre Brébant

François Chaignaud und Marie-Pierre Brébant mit der Bandura.

Der Tänzer, Sänger und Choreograf François Chaignaud und die Musikerin Marie-Pierre Brébant haben die musikalischen Werke der Universalgelehrten und Benediktiner Äbtissin der Hildegard von Bingen (1098–1179) durchleuchtet und erforscht und die Lieder der „Symphonia Harmoniae Caelestium Revelationum“ neu interpretiert. Ein eindringliches Erlebnis im Rahmen der Wiener Festwochen in den Gösserhallen, für mich bereits der Höhepunkt.

Schon während die Gäste eintrudeln, sitzen Chaignaud und Brébant eng zusammen an der Wand, intonieren leise Musik.  Illumination aus  Hildegards Liber divinorum operum Codex latinus um 1230 © gemenfreiDas Publikum sitzt ganz hinten auf bequemen Sitzgelegenheiten quasi am Boden. Wird man überhaupt etwas sehen, wenn die Entfernung so groß ist? Die Sorge ist unberechtigt, das offene Viereck der Zuschauerinnen (die Männer sind in der Minderzahl) umschließt eine Skulptur, romanisches Podest mit einer Treppe einem goldenen Thron für die Musikerin, einem Plateau, eine Art Brücke. Hier sitzen die beiden, wechseln den Platz, gehen rundherum, Chaignaud tanzt später darauf und auch auf dem Boden der großen Halle. Begonnen wird jedoch nahezu unbewegt und ganz leise, er summt und singt in tiefen Basstönen, Brébant spielt auf der Bandura, der Lautenzither aus der Ukraine, silbrige Töne. Sie sind jetzt beide ganz nah am Publikum, die in den ersten Reihen sitzen, können ihnen in die Augen schauen, später, Die Bandura, vermutlich aus der Türkei zugewandert.  © banduristka.orgwenn Chaignaud inmitten des Publikums tanzend umherspaziert, sieht er dem Publikum in die Augen. 

Die Lautenspielerin und der Tänzer sind schön anzuschauen (und wunderbar anzuhören). Ihre nackten Oberkörper und die Gliedmaßen sind bunt bemalt, mit Bildern, Zeichen und Texten. „O nobilissima viriditas (Oh edelstes Grün) lese ich über Chaignauds rechter Brust. Es ist der Beginn eines der geistlichen Lieder aus Hildegards Sammlung, übersetzt mit „Der Wohlklang der himmlischen Offenbarung“, in dem sie das Grün in der Natur besingt.

Der Himmel mag manchmal im silbernen Klang der Bandura Saiten sein, oder in Chaignauds Stimme, wenn er im hohen Sopran die Melismen singt. Doch die Präsenz der beiden Körper, die sich auch innig aneinanderschmiegen, streicheln, dann wieder scheinbar keine Notiz voneinander nehmen und die Süße der Töne, die aus dem tanzenden, liegenden, sich im erstarrten Salto biegenden Körper Chaignauds strömen, moduliert und dramatisiert, geben dem Konzert ein durchaus irdisches, auch erotisches Fluidum.

Dass geistliche Lieder im Mittelalter oft nur Sublimierung irdischer BegierMarie-Pierre Brébant und die beleuchtete Bandura, links: François Chaignaudde sind, hat schon Jordi Savall mit seinen Interpretationen klar gemacht. Chaignaud und Brébant haben mehrere Jahre an Hildegards musikalischem Werk gearbeitet, vor allem die hybriden Zeichen für die Notation (eine Mischung aus Neumen und modernem Notensystem) entziffert und sich zu eigen gemacht. Hildegards Musik ist vielfältiger und reicher als die Gregorianik, besticht mit größeren Tonumfängen und großen Intervallen. Chaignaud und Brébant machen ein unvergessliches, sinnliches Erlebnis daraus, wecken Bilder und Vorstellungen, lassen das Publikum träumen, erlauben zu schlafen oder den Fingern der Lautenspielerin auf ihrem beleuchteten Instrument zu folgen, Illuminations Hildegard von Bingen Liber divinorum operum Codex latinusum 1230 Lucquesden Bewegungen des Tänzers zuzusehen und vielleicht sogar für zwei Stunden an den Himmel zu glauben. Dass diese Aufführung mene Geduld nicht tstrapaziert hat, kann nur an ihrer Magie liegen, an dem Zauber, den François Chaignaud, diesmal gemeinsam mit Marie-Pierre Brébant, ausübt. 

Der Künstler und Historiker Chaignaud ist in Wien schon lang kein Unbekannter, ist er doch treuer Gast des ImPulsTanz Festivals. Mit Cecilia Bengolea hat er in der Dancehalle oder als Vaudeville-Engel getanzt, mit Nini Laisné hat er im Vorjahr das wunderbare Stück „Romances inciertos, un autre Orlando“ gesungen und getanzt. Nebenbei hält er immer wieder auch Workshops ab. Marie-Pierre Brébant hat ebenfalls Musik und Ballett studiert und widmet sich vor allem der Alten Musik. Sie tritt aber auch als Tänzerin auf.

François Chaignaud, Marie-Pierre Brébant: „Symphonia Harmoniae Caelestium Revelationum“. Konzept, Performance: Chaignaud, Brébant. Basierend auf musikalischen Werken von Hildegard von Bingen. Musikalische Adaption: Marie-Pierre Brébant. Bühne: Arthur Hoffner; Licht: Philippe Gladieux, Anthony Merlaud; Sound Design: Christoph Hauser. Durchgeführt vom Team Wiener Festwochen. Uraufführung: Mai 2019, Kunstenfestivaldesarts, Brüssel. Premiere bei den Wiener Festwochen: 20. Mai 2019, Gösserhallen, Halle 4.
Fotos: © Anna van Waeg / Wiener Festwochen.
Weitere Termine: 30., 31. Mai; 1. und 2. Juni 2019.