Mette Edvardsen: „Penelope sleeps“, Festwochen
Mit ihrer jüngsten Kreation begibt sich die norwegische Tänzerin und Choreografin ins weite Feld der Literatur. Oder richtig: sie legt sich hinein. Denn die als „Oper in Essayform“ bezeichnete Performance wird vor allem im Liegen ausgeführt. „Penelope Sleeps“, eine Veranstaltung der Wiener Festwochen im Tanzquartier, ist ein Werk der Stille, in dem Edvardsen das Warten der Penelope auf ihren in das Kriegsabenteuer gezogenen Mann Odysseus als Anker benutzt. Penelope wartet auf nichts. Das Publikum ist gebannt, schafft das Nichtwarten aber doch nicht zur Gänze. In den letzten 10 der 90 Minuten wird es unruhig. Der Applaus ist herzlich und anhaltend, kommt, der erlernten Gelassenheit sei Dank, ohne das oft unpassende Gejohle aus.
Matteo Fargion liefert an einem Tischharmonium die einfache Musik, Angela Hicks singt, Mette Edvardsen spricht ihre eigenen Texte, alle drei liegen auf dem Rücken, bewegen sich nur wenig. Das Publikum ist gebannt.
Edvardsen ist eine Analytikerin, nicht nur die von Homer erstmals erzählte und auch heute immer wieder erzählte Geschichte von Penelope wird analysiert, sondern auch die Begriffe Oper und Essay, die sie als Bezeichnung für ihr aktuelles Werk gewählt hat. „Oper“ wird vom lateinischen Opus, das Werk abgeleitet; Essay ist Französisch und bedeutet Versuch. So ist also Edvardsens gesungene Aufführung, die weniger auf den raren Bewegungen der drei Mitwirkenden als auf den gesprochen und gesungenen Texten beruht, der „Versuch zu arbeiten“.
Mette Edvardsen lässt ihr Publikum nicht in Trauer und Resignation versinken, sie unterhält mit Anekdoten aus ihrem Leben und erzählt von der vergeblichen Jagd ihres Vaters nach der Spinne in ihrem ehemaligen Kinderzimmer, indem sie auch als Mutter wieder zum Kind wird. Ob ihr bewusst wird das der deutsche Begriff Spinne eine Assoziation zu Penelope ermöglicht, diese webt und spinnt ja, während sie wartet. Scheinbar geduldig, doch Edvardsen macht klar, sie wartet gar nicht, ihr Warten hat nämlich kein Ziel. In der Nacht trennt das Gespinst wieder auf, die Teppiche, die tagsüber entstehen dienen nur dazu, die lästigen Freier abzuwehren. Der Gesang von Angela Hicks (ihr klares Gesicht unter dem blonden Haar sieht man nur einmal, wenn beide Performerinnen, einander gegenüber kniend, gleichzeitig in unterschiedlicher Stimmlage eine Unterhaltung im Flugzeug mit einem Kind wiedergeben) ist hell und manchmal laut, die Texte, die ihr Edvardsen gegeben hat, mäandern assoziativ zwischen Begriffen umher. Singend philosophiert Hicks, auf dem Rücken liegend, über die Zeit, über das Schreiben, lässt Penelope sprechen („All my carpets are merely fragments, they have no beginning and no end), erzählt von Träumen und Albträumen und betont gegen Ende immer wieder: „I am not sorry“. Da summt dann auch Matteo Fargion mit, der zwar Komponist und Performer ist, aber seine Stimme nicht so oft ertönen lässt. Doch mit der Entspanntheit, die auch Mette Edvardsen mit ihrem Team vermittelt, kennt er sich aus. Schon 2002 hat er im ImPulsTanz Festival das „Both sitting duet“ mit dem ehemaligen Tänzer des Royal Ballet gezeigt. Das „Ballett des Gewöhnlichen“ (Kritik) zeigt auch Mette Edvardsen. In Alltagsgewändern liegt das Trio auf dem Boden, alltäglich sind die Geschichten, die Edvardsen erzählt, alltäglich der Stil der Texte. Wie Penelopes Warten hat auch Edvardsens feines Stück kein Ziel, vermittelt keine Botschaft, ist einfach da, hüllt mich in eine Kugel der Zeitlosigkeit. Nur meine Gedanken bewegen sich, die Zeit seht still. Agnes Hicks singt: „Es ist eine Frage von Hell und Dunkel, nicht von vergehender Zeit […] Haben wir endlich geschlafen? Alles sieht ganz anders aus, wenn man sich hinlegt. Liegen, hören, schauen. Sich sehnen.“ Oder auch an nichts denken, nichts erwarten. Das muss schön sein. Dann schaudert es mich: Es ist der lange Schlaf, der Tod.
Ich darf wieder aus der Zeitkugel rollen, neben mir werden Uhren und Handys studiert, das Leiden vieler Performer*innen, Choreograf*innen hat auch Mette Edvardsen befallen: Was ihr eingefallen ist, muss auf die Bühne, und so ist auch diese beruhigende und in sich ruhende Performance, deren Texte dankenswerter Weise als Übertitel perfekt übersetzt werden, um zehn Minuten zu lang. Da bekommt mein Warten dann doch ein Ziel.
Mette Edvardsen: „Penelope Sleeps“, Text: Mette Edvardsen, Musik: Matteo Fargion; Licht: Techniksupport: Bruno Pocheron, Kostüme: Anne-Catherine Kunz; Übersetzung: Almut Maria Mölk, Übertitel, Produktionssupport: Cillian O’Neill. Mit: Mette Edvardsen, Matteo Fargion, Angela Hicks. Uraufführung: 10. Mai 2019. Vorstellungen in Wien, Halle G: 17. und 18. Mai 2019 im Rahmen der Wiener Festwochen.