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Dominic Cooke / Ian McEwan: „Am Strand“

Florence gibt auf. Eddie geht. (Saoirse Ronan, Billy Howle) © Thimfilm

Viel kann nicht schiefgehen, wenn ein renommierter Autor seinen Roman zu einem Drehbuch verarbeitet und zugleich bei der Drehortsuche berät. Ian McEwan hat nicht immer Lust dazu, doch wenn er denken muss: „Wenn ich es nicht mache, dann macht es ein anderer“, dann setzt er sich an den Schreibtisch. Für den Roman „Am Strand“ („On Chesil Beach, 2007), der Momentaufnahme einer Hochzeitsnacht, entstand so ein kongeniales Drehbuch, das Regisseur Dominic Cooke feinfühlig in Szene gesetzt hat.

Liebe einen Sommer lang, (Saoirse Ronan, Billy Howle). © Thimfilm Kennen gelernt haben einander Florence und Edward Anfang der 60er Jahre. Beide haben eben ihre Bachelor-Prüfung mit Bestnote geschafft und es bedarf nur eines Augenblicks, bis sie ineinander verliebt sind. Die Eltern, vor allem die wohlhabenden von Florence, sind nicht gerade begeistert. Der soziale Hintergrund beider ist recht unterschiedlich. Edward erscheint dem Vater von Florence, einem erfolgreichen, selbstbezogenen Geschäftsmann, eher wie ein Bauerntölpel. Doch er hat eine liebevolle Familie, in der die Mutter, nach einem Unfall „gehirngeschädigt“, der umsorgte Mittelpunkt ist. Florences Mutter ist genau das Gegenteil, eine gefühlskalte Frau, ganz dem Ehemann untertan. Florence ist Geigerin, hat ein Quartett gegründet und will mit diesem bald in der berühmten Londoner Wigmore Hall vor Publikum spielen. Das wird ihr auch gelingen. Noch spielen Florence und Eddie  fröhlich wie Kinder. © Thimfilm
Auch wenn Edward lieber Chuck Berry hört und mit Mozart und Schubert nichts anzufangen weiß, hört er sich brav die neueste Schallplatte von Florence an und lässt sich von ihr hinter die Kulissen des Musikbetriebes führen. Sie verspricht, ihm bei ihrem ersten öffentlichen Auftritt das eben gehörte Mozart-Quartett zu widmen. Hingerissen schwört er, dabei dort, wo er gerade steht, in der dritten Reihe, Sitz c zu sitzen und danach „Bravo“ zu rufen.

Florence (Saoirse Donan), gespannt vor der Hochzeitsnacht. © Thimfilm All das erfährt man nur in den eingestreuten Rückblenden, denn der Film hält sich an die Regeln einer griechischen Tragödie: Einheit von Zeit, Raum und Handlung. Die Zeit, sehr schön definiert durch die Musik und die Kleider von Florence, liegt noch vor jeglicher sexueller Revolution in den frühen 1960ern. Sex war Tabu, auch gesprochen wurde nicht darüber, Heranwachsende informierten sich in Aufklärungsbüchern und erhielten einen völlig falschen Eindruck von dem, was sie in der aufgeregt ersehnten Hochzeitsnacht erwartete. Die roaring Sixties waren noch weit entfernt, und das ist Florence und Edward zum Verhängnis geworden. Am Ende der desaströsen Nacht im muffigen Hotel am Chesil Beach schreit er ihr ins Gesicht: „Du bist frigide, total frigide.“ Heutzutage ist dieser Begriff wohl kaum noch zu hören. Die Angst vor der körperlichen Nähe, die Frucht, die eigenen Gefühle offen zu legen, belastet die Teens und Twens im 21. Jahrhundert kaum noch. Florence und Edwards Ehe ist deshalb zu Ende bevor sie noch begonnen hat. Die Annäherung könnte zur Versehnung führen. © Thimfilm

Mit Saoirse Ronan, die bereits in der Verfilmung von McEwans Roman „Die Abbitte“ die Hauptrolle gespielt hat, und Billy Howle hat Cooke eine ideale Besetzung gefunden. Er, ein Raufbold und Zornbinkel, der sich aber von der noblen, keineswegs überheblichen Art Florences leiten lässt und sich auch dem despotischen künftigen Schwiegervater fügt. Sie, ein empfindsames, junges Mädchen mit der Liebe zur klassischen Musik und dem erklärten Ziel, auf dem Konzertpodium Erfolg zu haben. Florence fühlt sich schuldig am Desaster ihrer Hochzeitsnaht.  © Thimfim Doch für die Liebe ist sie bereit kilometerweit durch den Wald zu wandern, um ihn auf dem Goldplatz, wo er den Rasen zu pflegen hat, zu besuchen. Eine wunderbare, sommerfrische Szene, die so eine erste Liebe ohne viel Worte lebendig macht. Großartig spielen Howle und Ronan auch die zentrale Szene des versuchten ersten Beischlafs. Verstehen und mitfühlen werden da nur die Großeltern der jugendlichen Kinofans. Roman- und Drehbuchautor Ian McEwan. Quelle: © pa/dpa/epa Handout

Ein weiteres Plus neben den Originaldialogen aus dem Roman sind auch die gewählten Drehorte, Orte wie die Landzunge von Chesil Beach, von McEwan geliebt und titelgebend für seinen Roman. Der Strand besteht aus Kies, auf dem Florence in ihren feinen Schuhen kaum gehen kann, eine treffende Metapher.

Cover des Romans, in der 5. Auflage mit einem Bild aus dem gleichnamigen Film.  © Diogenes.Dem Kinopublikum zuliebe ist das Ende ein kleiner Ausritt in den Kitsch, den sich McEwan im Roman versagt hat. Notwendig ist diese demonstrierte Trauer um ein verspieltes Glück nicht. Wer genau zugehört und geschaut hat, weiß längst: Ein Wort, eine Geste nur hätten genügt, um diese echte Liebe zu retten.

Dominic Cooke hat McEwans Drehbuch in klaren Bildern inszeniert und rührt sicher in all jenen, Erinnerungen auf, die diese Zeit selbst erlebt haben.

„Am Strand / On Chesil Beach“, Romanverfilmung nach einem Drehbuch des Autors, Ian McEwan, von Dominic Cooke. Mit Saoirse Ronan, Billy Howle, Anne Marie-Duff, Adrian Scarborough, Emily Watson, Samuel West. Kamera: Sean Bobbitt; Musik: Dan Jones. Ab 26. Juni 2018 im Kino, Verleih Thimfilm.
Buchtipp:
Ian McEwan: „Am Strand“, übersetzt von Bernhard Robben, Diogenes detebe 2008, 5. Auflage. 208 S. € 10,30.