Linn Ullmann: „Die Unruhigen“, Roman
Die erfolgreiche norwegische Autorin Linn Ullmann schreibt über ihre Eltern, nennt sie aber nicht beim Namen. „Der Vater“ oder „Papa“ und „die Mutter“ sind nicht nur die Schauspielerin Liv Ullmann und der Theater- und Filmregisseur Ingmar Bergman, Linns Eltern, sondern zwei Menschen mit denen „das Mädchen“ aufgewachsen ist, die der Autorin Gelegenheit geben, über das Leben, das Erinnern, das Altern und auch das Schreiben nachzudenken. Ullmann hat einen vielschichtigen Roman vorgelegt, in dem sie von ihrer Kindheit und den letzten Wochen des Vaters in eindrucksvollen Bildern erzählt.
Ingmar Bergman (1918–2007), dessen jüngstes Kind von neun Linn ist, lebte nach strengen Regeln, die er auch seiner Familie auferlegte. Er hätte sie gerne durchbrochen, schreibt Ullmann, doch er konnte nicht. Die Tochter hatte die Idee, mit ihm gemeinsam ein Buch zu schreiben und führte in seinem letzten Jahr, da war er nahezu 90, sechs Interviews mit ihm, die sich in Ausschnitten durch den gesamten Roman ziehen und diesen in sechs Kapitel teilen. Auch ein Bezug zum Musikliebhaber Bergman, der die 6 Cellosonaten Johann Sebastian Bachs besonders gern gehört hat.
Zu Beginn sehen wir ein etwa zehnjähriges Mädchen, Ullmann ist auf Distanz zu sich selbst, berichtet in der dritten Person. "Das Mädchen" erlebt die Sommerferien beim geliebten Vater in Dänemark, wo er auf einer Faröer Inseln ein Haus gebaut hat, das er ständig erweitert. Es wächst nicht in Höhe, sondern in die Länge. Später wechselt Ullmann in Ich-Form, das Mädchen wird erwachsen, löst sich von den Eltern. Auch die Mutter, als vielbeschäftigte Schauspielerin selten zu Hause, wird heiß geliebt. Auch wenn sie auf Reisen ist, muss sie täglich anrufen, schon Stunden vor dem Termin steht Linn neben dem Telefon, weint, wenn der Anruf nicht rechtzeitig kommt. Dieses Mädchen war ein geliebtes, aber einsames Kind.
Es wäre eine Fehlinterpretation, diesen Roman als Biographie zu lesen. Die Autorin sagt selbst: „Man muss wirkliche Personen fiktionalisieren, um ihnen Leben einzuhauchen.“ So sind diese Eltern, „die Mutter“, „Papa“ höchst lebendig, Romanfiguren, die tief beeindrucken. Wie auch das Mädchen, das langsam zur Frau wird. Ullmann arbeitet im Sinne des Vaters, mit langen Einstellungen und Schnappschüssen, beobachtet Details und fügt sie zu einer Erzählung, beleuchtet die Erinnerungen immer aus neuer Perspektive.
Ein schillernder Roman, so widersprüchlich wie die Personen, mit denen die längst erwachsene Frau, die selbst zwei Kinder geboren hat, gelebt hat, die sie geliebt hat und immer noch liebt. An diesen Erinnerungen, manchmal mit dem Fernglas ganz nahe herangezogen, dann wieder durch Verschiebung des Fokus unscharf gemacht, lässt Linn Ullmann die Leserinnen teilhaben.
Linn Ullmann: „Die Unruhigen“, Originaltitel „De Urolige“, aus dem Norwegischen übersetzt von Paul Berf, Luchterhand Literaturverlag 2018. 416 S. € 22,70.