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Laird Hunt: „Die Zweige der Esche“, Roman

Autor Laird Hunt, © Gary Isacs

Constanze zieht in den Krieg. Anstelle ihres Mannes, der zu schwach ist, Gewalt und Zerstörung zu ertragen. Als Mann verkleidet, unter dem erfundenen Namen Ash Thompson, erträgt sie alles, was der Krieg zu bieten hat, die Verwüstung des Landes, das Rauben, Vergewaltigen, Morden. Mit ein paar Äpfeln als Prvoviant zieht sie los und mischt sie sich unter jene, die den Tod vor Augen haben. Sie ist eine der Zähesten und Tapfersten und wird, nach einer alten Ballade, bald nur noch „Kavalier Ash“ genannt.

„Neverhome“ heißt Laird Hunts großartiger Roman im Original, was auch mit „Heimweh“ wiedergegeben werden könnte oder eben mit „nie (wieder) zuhause". Constance, die ihren Mann herzlich liebt und ihm den Horror des Kämpfens und Tötens ersparen will, erzählt selbst ihre Geschichte. Diese spielt um 1861 zu Beginn des blutigen Bürgerkriegs in Amerika. Kavalier Ash ist eine Erfindundung des mehrfach preisgekrönten beliebten amerikanischen Autors, doch gibt es zahlreiche Vorbilder für die Figur. Frauen die als Männer verkleidet in den Krieg ziehen gab es auch in der Realität immer wieder. Und natürlich auch in der Literatur, wie man in Conrad Ferdinand Meyers Novelle „Gustav Adolfs Page“ nachlesen kann.

Nach der Schlacht. Ausschnitt aus dem Film "Gone with the Wind" © Verleih MGMHunts Roman spielt während der Sezessionskriege in Amerika, als 1861–1865 die Nordstaaten gegen Südstaaten kämpften. Dabei ging es nur am Rande um die Abschaffung der Sklaverei. Leserinnen und auch Filmfreundinnen kennen die Zeit aus Margaret Mitchells genial verfilmten Roman „Vom Winde verweht“. Doch was Constanze vulgo Kavalier Ash zu erzählen hat, ist kein üblicher Abenteuerbericht und schon gar keine Geschichte des Krieges, und was er aus den Menschen macht. Von Helden keine Spur.
Gleich am Anfang sinniert Constance über den ausgefassten Vorderlader, eine  Springfield 1861, die sie ausgefasst hat und von der es heißt, man könnte damit einen Mann auf 400 Meter töten. So hatte sie sich das nicht vorgestellt – Strichmännchen am Horizont anstatt die Gesichter der Rebellen. Doch ihrem ersten Rebellen steht sie dann doch Aug in Aug gegenüber – und schießt, um selbst am Leben zu bleiben. In den langen Pausen zwischen den Kampfhandlungen und Märschen, dem Ausheben von Gräben, Bergen von Verwundeten und, falls auf dem Leichenfeld Freund von Feind zu unterscheiden ist, Begraben von Toten, schreibt Constanze Briefe an ihren Mann, redet mit ihrer toten Mutter, denkt über die Kindheit, das Leben auf der Farm und die Liebe nach. Hunt lässt Constanze ohne Pathos und Emotionen erzählen und dennoch die Leserinnen miterleben, wie ihr Innerstes allmählich zerstört wird, ihre Gefühle abstumpfen und sie keinerlei Mitleids mehr fähig ist, nur noch ans Überleben denkt. Zerstört wird auch die Natur. Unbebute Felder, umherirrende Haustiere, Kadaver.Hunt Springfield 1861, Constances Gewehr. https://www.rockislandauction.com/html/dev_cdn/54/3094.jpg

Constance überlebt den Horror und alle Torturen, auch Folter und Gefangenschaft und beschließt am Ende des Krieges, wieder Frauenkleider anzuziehen. Sie hat, ausgelaugt, verletzt und todmüde, nur noch eines im Sinn: Ihren geliebten Bartholomew wieder zu sehen, der sich um die Farm gekümmert hat. Sie hatten gemeinsam beschlossen, dass sie in den Krieg ziehen würde, „um die Republik zu verteidigen“ und er bleiben sollte: „Denn er war aus Wolle und ich aus Draht.“ Constance überlebt, erreicht nach einem langen Marsch auch die Farm. Doch der Krieg kennt kein Happy End.

Atlanta brennt. Filmbild aus "Gone with the wind". © Verleih MGMEin großartiges, wahrhaftiges Buch, realistisch und bewegend, auch wenn Constance sich in ihrer Erzählung nicht ganz an die Tatsachen hält. Aber so ist das mit den Erinnerungen, sie verändern sich während des Erzählens, entwickeln während des Schreibens ein Eigenleben. Autor Laird Hunt hat den Zauberstab in der Hand, verführt und begeistert ohne Anstrengung. Buchcover © btb / Random House
Im Gegensatz zum Originaltitel, der allein durch die Alliteration an Edgar Allan Poes schwarzes Gedicht "Der Rabe", der auf jede Frage "Nevermore / Nimmermehr" antwortet, denken lässt, ist die Assoziation zur Esche, die Constance in Erinnerungen zwar erwähnt, jedoch keineswegs eine zentrale Rolle spielt, nur mit Mühe nachzuvollziehen. Die Poesie, die in "Neverhome" enthalten ist, geht  im deutschen Titel wieder Mal verloren. Sogar der französische Verlag hat das verstanden, trotz der Franzosen Ab-Scheu vor fremdsprachlichen Wörtern, ist der Roman in Frankreich "Neverhome" betitelt.

Laird Hunt: „Die Zweige der Esche“ („Neverhome“), aus dem Amerikanischen von Kathrin Razum, btb, 2017. 288 S. € 18,50: E-Book € 13,99.