Fräulein Susans anderes Gespür
Peter Høeg, 1957 in Kopenhagen geboren, ist mit dem Roman „Fräulein Smillas Gespür für Schnee“ bekannt und berühmt geworden. Ein Bestseller, der die anderen, wichtigen Romane Høegs in den Hintergrund gedrängt hat. Zu Unrecht. Mit seinem jüngsten Werk, „Der Susan Effekt“, landet er wieder auf der Krimicouch und auch der noble Hanser-Verlag kann sich den Hinweis „Pageturner“ nicht verkneifen. Doch das fiebrige Seitenumblättern, um endlich den Ausgang zu finden, macht schließlich noch kein lesenswertes Buch.
Nach einem Studium der vergleichenden Literaturwissenschaften und einer Ballettausbildung, „zum Ausgleich für die Kopfarbeit“, trifft den den 26jährigen auf dem Meer der Blitz und er weiß, dass er einen Roman schreiben muss. „Vorstellungen vom 20. Jahrhundert“ (Hanser 1992. 4.Aufl. als Rowohlt TB, 2008 ) heißt sein Debüt und ist auch nach mehr als 20 Jahren noch lesenswert. Ebenso kann ich „Der Plan von der Abschaffung des Dunkels“ (Hanser, 1995) nicht vergessen.
Jetzt also „Der Susan Effekt“ , ein hybrider Roman, Krimi und Dystopie (Antiutopie), philosophisch-wissenschaftliches Werk mit Gesellschaftskritik und Öko-Touch. Der Detailreichtum der Erklärungen – die Hauptperson, Susan, ist Experimentalphysikerin –, die Referenzen auf die Nobelpreisträger der Physik, die Menge der möglichen „Täter“ und der komplizierte, reichlich konstruiert wirkende Plot, machen es schwer, der verwirrenden Handlung zu folgen. Ein Rätsel folgt auf das andere, wobei kryptische Sätze keineswegs zu deren Lösung beitragen.
Beispiel. Susan, die Icherzählerin, besucht zum letzten Mal die greise Freundin, Lehrerin und eine der Schlüsselfiguren des Geschehens, die Wissenschaftlerin Andrea Fink, und sinniert:
Weißt du, was am tiefsten in einem drin ist, auch am tiefsten im Effekt? … Andere Menschen, Andrea. Am tiefsten in einem drin sind die anderen.<
Hmm. Die Moral von der Geschicht? „Tiefgründig“ sagt die dänische Zeitung Folkebladet.
Eine Krimihandlung zu erzählen ist unsinnig, der Effekt, den Susan auslöst, kann jedoch erklärt werden: Sie hat die Gabe ihr Gegenüber zu öffnen, sodass Menschen frei und absolut ehrlich Geheimnisse preisgeben. Natürlich nützt sie diese Gabe auch zum persönlichen Vorteil und dem ihrer 17jährigen Zwillinge, Harald und Thit, und auch des Ehemanns Laban, einer Künstlernatur. Nicht makellos die Dame, jedoch, wie Fräulein Smilla, ein Superweib: klug, tapfer, sportlich, niemals um einen Ausweg verlegen. Jeder Situation gewachsen, schlägt sie auch schon mal mit dem Hackbeil zu. Es gibt (zu) viele bösartige Menschen in diesem Roman, ungezählte Leichen, grausig übertriebene Prognosen vom Zustand des Erdballs, doch zu guter Letzt ein Happy End.
Høegs Fabulierkunst und sein präziser Stil sind die Pluspunkte. Die Zeichnung der Hauptfigur als Mischung aus Penthesilea, Jeanne d’Arc und Minerva, die Minuspunkte. Falls man das Spiel mit den Genres auf dem Krimiboden als legitimes Gleitmittel akzeptiert.
Fazit: Für pure Unterhaltung zu erschreckend, als Krimi zu gespickt mit wissenschaftlicher Information, als literarischer Genuss zu konstruiert.
Peter Høeg: „Der Susan Effekt“, übersetzt von Peter Urban-Halle, Hanser 2015. 400 S. € 22,60.
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