Jane Gardam: „Letzte Freunde“
Mit dem Roman „Letzte Freunde“ hat Jane Gardam, Doyenne der britischen Literatur, ihre Trilogie über die Raj-Waisenkinder, die in den britischen Kolonien geboren wurden und später in England in die Schule gingen, beendet. Die Eltern hatten Leben und Arbeit weiterhin in Asien, die Kinder lebten bei Gasteltern und hatten meist schmerzhaftes Heimweh. Auch als Erwachsene, wenn sie längst in England lebten, blieben die Herzen in Asien.
In den ersten beiden Bänden („Ein untadeliger Mann“, „Eine treue Frau“) sind der Anwalt Edward Feathers, genannt „Old Filth“ (Failed in London try Hongkong“) und seine Frau Betty die Hauptpersonen. Jeder der beiden Romane ist aus einem anderen Blickwinkel geschrieben und, obwohl man die einzelnen Bände durchaus für sich lesen kann, erfährt man immer mehr über die Protagonist_innen.
Wenn eine Trilogie normalerweise auf der Zeitlinie voranschreitet, so geht Gardam nach innen. Auch im dritten Band hat sich die Zeit nur ein paar Jahre nach vorn bewegt, doch die beiden Zentralfiguren der ersten Bände sind bereits tot. Veneering, den Old Filth verbscheute, der aber ein Leben lang in Betty verliebt war und das keineswegs einseitig, ist eben verstorben. Nur noch zwei Überbleibsel geistern durch „Letzte Freunde“, Dulcie, Witwe eines Anwalts, die bei der Hochzeit der Feathers’ in Hongkong dabei war und bei einem Empfang einen Tag davor wohl auch die glühenden Blicke bemerkt hat, die (die gerade noch nicht verheiratete) Betty mit Veneering ausgetauscht hat. Es ist bei einer überraschenden Nacht geblieben. Hochzeitsgast war auch Fiscal-Smith, ebenfalls Anwalt, nicht so glänzend wie Old Filth und Veneering, aber immer dabei. Eigentlich wurde er, stets an Veneerings Seite von den anderen verachtet. Er kam aus der Unterschicht. Die letzten Freunde. Dulcie und Fiscal-Smith sind das Zentrum des letzten Bandes.
Wie das Leben von Fiscal-Smith, der bisher nicht sonderlich aufgefallen ist und Veneering zusammenhängt und viele andere Details aus dem Leben der bereits bekannten, ja mit mir befreundeten, Personen, erzählt Gardam quasi im Plauderton. Die Dramatik liegt nicht nur in der Vergangenheit, meist in der Kindheit der Männer und Frauen, sondern auch zwischen den Zeilen.
Jetzt, wo alle drei Bände beisammen sind und es nichts Weiteres zu erfahren gibt (schade!), könnte ich gleich nochmal von vorn beginnen, um all die zarten Andeutungen, die sich später als einschneidende Tatsachen erweisen, noch mehr zu genießen.
Jane Gardam, in England hochgeschätzt und mit Preisen ausgezeichnet, wird demnächst 90 Jahre alt und erzählt doch heiter, mit Witz und Ironie über die Einsamkeit der Raj-Waisen, die Kriegs- und Nachkriegszeit und Menschen, deren glatte Oberfläche keinerlei Hinweis auf die Risse und Wunden darunter gibt.
Kurz nachdem die alte Dulcie sich auf den Weg nach London gemacht hat, was ihr wohl niemand mehr zugetraut hätte, schon gar nicht ihre frustrierte Tochter, um sich für ihre abweisende Art Fiscal-Smith gegenüber zu entschuldigen, erfährt sie, dass er wieder nach Hong-Kong gegangen ist oder vielleicht schon gestorben ist.
Noch während Dulcie das hochnäsiges Verhalten, das dem Anwalt, der so gern dazugehört hätte, entgegengebracht worden ist, bereut, steht er mit all seinen Koffern wieder vor ihrer Tür. Er darf bleiben und geht am Ostersonntag Arm in Arm mit Dulcie zur Kirche.
So fein arbeitet die Autorin: Manche Personen nennt Gardam konsequent beim Vornamen, Feathers hat sogar seinen Spitznamen, nur (Fred) Fiscal-Smith und (Terry) Veneering, dessen Name „Furnier“ bedeutet, müssen mit dem Nachnamen auskommen, sie gehören eben nicht wirklich dazu.
Fred und Dulcie gehen also Armen in Amr zur Kirche, um Ostern zu feiern – "Und so gingen sie der Auferstehung entgegen.“
Ich muss mich endgültig verabschieden, von all den alten Freunden und Freundinnen. Das bringt es wohl mit sich, wenn man älter wird.
Jane Gardam: “Letzte Freunde“ aus dem Englischen von Isabel Bogdan, Hanser Berlin, 2016. 240A. € 22.70.
„Ein untadeliger Mann“ (10. Auflage, 2015) und „Eine treue Frau“ (4. Auflage, 2016) sind ebenfalls von Isabel Bogdan übersetzt und bei Hanser, Berlin erschienen.