Aris Fioretos: „Mary“ ein Roman
Mit „Mary“ vollendet Aris Fioretos sein griechisches Triptychon. Es ist die Geschichte einer jungen Architekturstudentin, die gerade erfahren hat, dass sie schwanger ist und am selben Tag während eines Studentenaufstandes verhaftet wird. Griechenland i1973, m letzten Jahr der Militärregierung. Mary landet im Gefängnis, eine Anklage gibt es nicht. Sie erzählt selbst von ihrem Jahr der kaum vorstellbaren Qualen und ihrem mit Bedacht gefassten Entschluss, um nicht zum Tier, zur Ratte, zu werden.
Aris Fioretos, geboren 1960 in Göteborg, ist selbst halber Grieche. Sein Vater musste die griechische Heimat aus politischen Gründen verlassen. Die Mutter ist Österreicherin. Aufgewachsen ist Fioretos zwischen den Kulturen in Schweden.
Die Geschichte, die Mary zu erzählen hat, ist eine schier endlose Abfolge von Folter, Machtmissbrauch und Demütigung. Ohne Pause ist allein davon zu lesen kaum zu ertragen, würde nicht Fioretos durch seine Bilder, die Beschreibung der Natur und der Veränderung in Marys Körper, einen mildernden Schleier über das Grauen legen. Unter den Frauen entsteht eine sonderbare Gemeinschaft voll Hilfsbereitschaft, Tapferkeit und auch Freundschaft, von Nähe und Distanz, Wärme und stummer Widerstand.
Fioretos nennt das Land nicht beim Namen, Mary könnte überall leben, einen verliebten Freund haben, der nie erfährt, dass er Vater wird, sich mit anderen Frauen solidarisieren, zu kämpfen ihr Selbst aufrecht zu halten. Die Diktatur setzt ein Exempel, angeklagt ist Mary nicht, doch sie soll Namen preisgeben, zur Verräterin werden. Mary schweigt, sagt auch nicht, dass sie ein Kind erwartet. Das Geheimnis gehört ganz ihr selbst, doch die Schwestern merken es bald. Genau erzählt Fioretos vom Leben auf den berüchtigten Gefängnisinseln und von den unterschiedlichen Beziehungen der Frauen untereinander.
Wie auf dem Buchcover angedeutet, zieht sich das Motiv des Granatapfels durch den Roman. Die exotische Frucht spielt nicht nur in der griechischen Mythologie als Symbol von Hades und Persephone, den Gottheiten der Unterwelt, eine Rolle, ist wohl auch der „Apfel“ den Paris der Aphrodite überreicht und damit den Trojanischen Krieg heraufbeschwört. Auch in der Bibel und im Koran wird der Granatapfel, harte Schale, kernreiches weiches Innere, erwähnt. So versucht Mary während ihrer Gefangenschaft weiterzuleben: Außen ledern und hart, gefühlvoll, hoffend, liebend, sehnsüchtig innen drin. „… eine vage Form aus Herz und Kranium“ zitiert der Autor den Dichter Federico García Lorca, der ebenfalls Widerstand gegen den Terror leisten wollte und im Bürgerkrieg 1936 verhaftet und auf offener Landstraße erschossen und verscharrt wurde.
Fioretos erzählt in seinen unnachahmlich farbigen und poetischen Stil (auf Schwedisch geschrieben, obwohl Fioretos auch Deutsch spricht, von Paul Berf behutsam übersetz) keinesfalls einen Gefängnisschocker, sondern voll Einfühlungsvermögen von Frauen in der Gemeinschaft des Widerstandes, von Frauen, die überleben wollen, ohne sich selbst auszuliefern und zu Ratten zu mutieren.
Keine einfache Lektüre aber eine, die mich nicht loslässt. Mary kann ich nicht vergessen.
Aris Fioretos: „Mary“, aus dem Schwedischen von Paul Berf. Hanser, 2016. 352 S. € 24,70.