Philipp Blom: Bei Sturm am Meer
Philipp Blom ist vor allem als international tätiger Journalist und Autor kulturhistorischer Werke bekannt. Als solcher hat er auch zahlreiche Preise abgeräumt, auch als Moderator der Ö1-Nachmittagssendung „Von Tag zu Tag“ ist er mitunter zu hören. Mit seinem jüngsten Roman kann ich mich nicht anfreunden. Ein Mann um die Lebensmitte schreibt seinem Sohn einen endlosen Brief, in dem er von seinem bisherigen Leben erzählt. Übergag: Der Sohn darf diese Bekenntnisse erst lesen, wenn er so alt ist wie der Autor zum Zeitpunkt des Schreibens.
In seiner larmoyanten Suada erzählt Ben (Benedict), der Briefschreiber, so alt wie der reale Autor, vor allem von seiner Großmutter und deren Tochter, seiner Mutter, der Frauen bewegtem Leben und ihren zerplatzten Träumen. Über Bens Kindheit und Jugend schwebt der tote Vater, der, so erzählt die Mutter immer wieder, in Kolumbien von Rebellen entführt worden und seither verschwunden ist. Tot also. Völlig klar, dass die Wahrheit anders aussieht. Jetzt stürzt der heiliggesprochene Erzeuger vom Sockel.
Der Buchtitel bezieht sich auf ein Bild, das in der Wohnung von Mutter und Sohn hängt. Die Mutter hat das Meer geliebt, vor allem wenn sie am Strand gegen den Wind kämpfen musste. Mutter wie Großmutter, beide alleinerziehend, haben lange Zeit in der Nähe des Meeres gelebt, in Den Haag, Hamburg oder Amsterdam. Nach Amsterdam ist auch Ben gereist. Die Mutter ist gestorben, er will sie begraben, doch die Urne ist verschollen. Ben hat Zeit, seinem kleinen Sohn die Familiengeheimnisse zu berichten, die er nach dem endlich statt gefundenen Begräbnis der Mutter erforscht und ihn verwirrt und unglücklich machen.
Mit über 40 sollte der Vater endlich uninteressant sein und nicht die Macht haben, einem Mann den Boden unter den Füßen wegzuziehen. Ben badet gern in Selbstmitleid und weshalb er seinen Sohn damit belästigt, will ich überhaupt nicht verstehen. Doch mit seiner Frau spricht er kaum, es passt ihm nicht, dass sie nicht zu Hause auf ihn wartet, sondern ein eigenständiges Leben führt, erfolgreich im Beruf ist.
Im Brief wird die Vergangenheit wiederbelebt, Ben ist „Ich“. Aber es gibt auch einen Erzähler, der in der Gegenwart beobachtet, was Ben denkt und tut. Unter den spärlichen Trauergästen forscht er nach dem Schatten seines Vaters und geht im Regen spazieren. Zeit für romantische Betrachtungen der Natur.
Ben ist ein Kind der fetten Jahre, Nachkriegsgeneration, die Zeiten, da ungezählte Töchter und Söhne ohne Vater aufgewachsen, mit frommen Lügen abgespeist worden sind, kennt er nicht. Die Geschichten von Träumen, die Schäume bleiben, von weiblicher Emanzipation, dir nur an der Oberfläche glänzt und ledigen oder von den Männern verlassenen Müttern sind sonder Zahl. In der Literatur und noch mehr im täglichen Leben. Männer jammern halt gern. Das ist weder neu noch sonderlich aufregend.
Philip Bloom ist in Hamburg geboren, hat in Wien und Oxford studiert, wo er mit einer Dissertation über die Nietzsche‐Rezeption und das Rassendenken im Kulturzionismus promoviert hat. Er schreibt auf Deutsch und Englisch und lebt zur Zeit in Wien.
Philipp Blom: "Bei Sturm am Meer", Zsolnay, 2016, 224 S. € 20,60.