Licht ins Dunkel einer ungeschriebenen Biografie
Die argentinische Kunstkritikerin María Gainza, geboren 1975 in Buenos Aires, beherrscht die Kunst des perfekten Flunkerns. Wenn sie in ihrem Roman Schwarzlicht / La luz negra über Original und Fälschung, Fälscher, Künstler und Sammler erzählt, befindet man sich bald in einem Labyrinth, in dem Realität und Fantasie, Historisches und Erdachtes, Licht und Schatten verschmelzen. Statt „So war es“, bietet die Autorin unterhaltsamen Zweifel an: „So könnte es gewesen sein. oder doch ganz anders."
Die Erzählerin, sie nennt sich María Lydis, mietet sich im Hotel Étoile ein, um ungestört aus ihrer Vergangenheit zu berichten und die Biografie einer Malerin, die als „La Negra“ in Buenos Aires den Ruf einer Fälscherin genossen hat, zu schreiben. Ihre Recherchen enden allerdings immer wieder in einer Sackgasse. La Negra bleibt ein flüchtiger Schatten, ein Name nur, Erinnerungen und Vermutungen werden kolportiert, in einem Gerichtsverfahren tauchen Bilder auf, die von der Malerin Mariette Lydis stammen oder eine Fälschung von La Negra sind. Am Ende hat die Erzählerin, die von Paris bis Buenos Aires nach La Negra sucht, nichts als ein unscharfes Foto. Alles Konkrete bleibt unfassbar, zerrinnt zwischen den Fingern, wenn es die falsche María Lydis festhalten möchte. Sie gibt auf, kehrt wieder in ihre Arbeit bei der Zeitung und widmet sich wieder ihren „spröden Texten über die Kunst.“
Es gibt viel nachzudenken in diesem Roman mit dem kryptischen Titel Schwarzlicht oder, original, La luz negra. Im Originaltitel fallen der Begriff Schwarzlicht und der Name der Gesuchten La Negra zusammen. In der deutschen Übersetzung kann das nicht funktionieren. Das Schwarzlicht kennen Tatortfans aus dem Fernsehen, wenn die Spusi mit der blau schimmernden Lampe nach verborgenen Blutspuren sucht. Im Finstern macht dieses blauen UV-Licht die unsichtbaren Blutspritzer sichtbar. Was sehen wir alles nicht, wenn wir sogenannte Kunst betrachten, nach einer Lebensgeschichte suchen oder ein Geheimnis aufdecken wollen? Ist vielleicht die unsichtbare Kunst abseits jeglicher aufgeblasener Kunstkritik die wahre Kunst? Ist die beste Biografie die ungeschriebene?
Na gut, es gibt einige Anhaltspunkte, die bei intensiver Suche und entsprechender Neugier fassbar sind. Zum Beispiel Mariette Lydis, deren Geburtsort in Baden bei Wien liegt. Eine Freude für alle heimischen Leserinnen, der Roman erzählt auch von Wien, seinen Kaffeehäusern und deren Gästen. Also die Autodidaktin Marietta Ronsperger ist 1887 in Baden geboren, hat 1910 den Wiener Geschäftsmann Julius Koloman Pachoffer-Karny geheiratet, sich scheiden lassen und 1917 den griechischen Unternehmer Jean Lydis.geehelicht. Auch bei ihm ist sie nicht geblieben, lebte lieber fröhlich ihren zahlreichen Affären und einer dritten Ehe, die bis zum Tod des Ehemannes, Conte Govone, 1948 gedauert hat. 1926 hat sie sich in Paris niedergelassen, ist 1939 mit ihrer Verlegerin und Liebhaberin Erica Marx, einer Nichte von Karl Marx, nach England geflohen und von da nach Buenos Aires, wo sie als Mariette Lydis ihre künstlerische Karriere fortgesetzt hat. Mit 92 Jahren ist sie 1970 in Buenos Aires gestorben und im Friedhof La Recoleta begraben. Inö vielen Museen auch in der Albertina, im Wiener Jüdischen Museum oder im Britischen Museum in London und den Uffizien in Florenz sind einige ihrer Arbeiten zu sehen. Im ausführlichen Kapitel über die Lydis lernen wir auch den österreichisch-ungarischen Schriftsteller, Librettisten und Regisseur Béla Balázs (1884–,1949) kennen. Der als Herbert Bauer in Szeged gebürtige Dichter ist nicht nur für die Libretti zu Béla Bartóks Oper Herzog Blaubarts Burg und dem Ballett Der holzgeschnitzte Prinz bekannt, sondern auch durch den Märchenzyklus Der Mantel der Träume, wofür Marietta, damals noch Pachoffer-Karny, die Illustrationen geschaffen hat.
Wenn von Bilderfälschern die Rede ist, dann darf auch auf den Maler und Kunstfälscher Elmyr de Hory (eigentlich Elemér Hoffmann (1906–1976) nicht vergessen werden. Seine Fälschungen sind inzwischen gefragte Sammlerstücke, und es sind auch Fälschungen der Hory-Bilder im Umlauf. Als Regisseur und Drehbuchautor hat Orson Welles noch zu Horys Lebezeiten den Film F wie Fälschung (F for Fake) in die Kinos gebracht. Keine wirkliche Dokumentation, eher als Mockumentary gedacht. Also ein Film, ganz im Sinne von María Lydis (recte Maria Gainza). Das englische Kofferwort ist aus to mock, vortäuschen oder verhöhnen, und dokumentary / Dokumentarfilm zusammengesetzt. Zur Musik von Michel Legrand stellten Elmyr de Hory und seine Zeitgenossen sich selbst dar.
Und wo ist jetzt La Negra. Die hat natürlich auch gelebt, als Bohemienne und Ikone der Gegenkultur im Buenos Aires des frühen 20. Jahrhunderts. Ihr richtiger Name ist Renée Cuellar. Nicht nur in Europa machten die Vertreter:innen der Avantgarde Furore. „Eine schöne Künstlerin, deren Fähigkeit, Werke verschiedener Maler zu 'erschaffen', legendär war", hat sie der Schriftsteller und Psychoanalytiker Germán García einst in einem Artikel in der Zeitung Página 12 beschrieben. Renée verkehrte auch im legendären Hotel cólico von Buenos Aires und führt uns damit wieder zurück in den Roman von María Gainza. Dort nämlich, im Hotel Melancólico beginnt die Geschichte, die die Erzählerin, die sich María Lydis nennt, zu berichten hat. Als junge Frau und als schwarzes Schaf abgestempelt, ist sie von ihrem Onkel in die Taxierungsabteilung der städtischen Bank von Buenos Aires vermittelt worden. Dort lernt sie die Kunstexpertin Enriqueta Macedo kennen. Es dauert eine Weile, bis sie erkennt, dass Enriqueta, mit der sie sich blendend versteht, die sie als Freundin und Mentorin anerkennt, mit Kunstfälschern in enger Verbindung steht und sich ihr Gehalt mit den Provisionen für gefälschte, von ihr als echte taxierte, Kunstwerke aufbessert.
Vierzig Jahre lang hat te die aufrechte und unnahbare Enriqueta Macedo gefälschte Kunstwerke für echt erklärt. Das machte sie aber nicht des Geldes wegen, sie wurde vielmehr im Namen der Kunst ‚zum Straftäter‘. … Falsch waren ihrer Ansicht nach bloß Werke von zweifelhafter Qualität. … ‚Ist das Falsche in einem gewissen Punkt nicht wahrhaftiger als das Authentische? Und besteht der eigentliche Skandal im Grunde genommen nicht darin, dass mit Kunst gehandelt wird?’
Die Fälscherbande, mit der Enriqueta ihren Nebenjob bis zu ihrem Tod betrieben hat, residierte in besagtem Hotel Melancólico im Stadtteil Belgrano R. „Die Bande der melancholischen Fälscher“ heißt das Kapitel, in dem auch „die Negra“ zu Wort kommt. Damit beende ich aber jetzt die Suche nach lebenden oder toten Personen, die im Roman eine Rolle spielen, denn um Wahrheit und Lüge, echt und unecht, wirklich und fantastisch geht es gar nicht und der Zauber der Erzählung soll nicht durch haftelmacherisches Benehmen und Wiki-genährtes an Denunziation grenzendes Kluggeschwätz zerstört werden. Was María Gainza den Leserinnen mit La luz negra schenkt, ist ein kluger, amüsanter, der Kunstkritik gegenüber respektloser und schillernder Roman, der mit gutem Gewissen zweimal gelesen werden darf, um Gainzas Esprit und Intelligenz so richtig zu genießen. Die identifizierbaren Personen sind durch die Autorin zu Figuren ihrer Fantasie geworden. Der Roman ist eine Trouvaille.
María Gainza: Schwarzlicht / La Luz Negra, aus dem argentinischen Spanisch von Peter Kultzen. 150 Seiten, Wagenbach 2023. € 22,00. E-Pub € 17,99.