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Später Ruhm für geniale Frauen

Gorillas im Virunga Nationalpark, Kongo. © Cai Tjeenk Willink

Mutige Frauen, die Geschichte schrieben“, nennt der Verlag Lübbe eine neue Reihe. Zwei Titel sind in diesem Herbst erscheinen: Sienna David erzählt von der Mathematikerin Ada Lovelace, Susanna Leonard erzählt aus dem Leben der Gorillaforscherin Dian Fossey. Zwei Frauen, die zu unterschiedlichen Zeiten gelebt und Großes geleistet haben. So unterschiedlich das Leben der beiden Frauen verlaufen ist, so unterschiedlich sind auch die beiden historischen Romane.

Dian Fossey widmete ihr Leben den Berggorillas. © wikipediaZwar haben sowohl Ada Lovelace (1815–1852) als auch Dian Fossey (1932–1985) schon zu Lebzeiten einen gewissen Bekanntheitsgrad erreicht, doch kaum genossen. Auf die Boulevardpresse und schmeichelnde Verehrer:innen legten sie keinen Wert. Der Ihnen zustehende Respekt, die Würdigung ihrer Arbeit ist vor allem Lovelace, aber auch Fossey versagt geblieben, obwohl sie von Wissenschaftlern wie dem Paläontologen Louis Leakey oder dem britischen Verhaltensforscher Robert Hinde unterstützt worden ist. Doch ihre eigenwilligen Methoden sind wissenschaftlich umstritten, der Kampf gegen die Wilderer und ihr schroffes Benehmen gegenüber afrikanischen Regierungsvertretern und Geldgebern trugen weder zur allgemeinen Anerkennung noch zur Freundschaft bei. Dian Fossey wurde während der Weihnachtsfeiertage 1985 ermordet und auf eigenen Wunsch  im Gorilla Friedhof in Karisoke begraben.© wikipediaAuch von wohlmeinenden Menschen ist Dian Fossey als schwierige Person beschrieben worden. Sie hat jedoch aufopfernd für den Schutz der Berggorillas gekämpft und in ihrer Langzeitstudie im von ihr 1967 gegründeten Karisoke Research Center, Ruanda, wichtige Erkenntnisse über das Verhalten der Berggorillas gewonnen. In Filmen und Fotodokumentationen für die Zeitschrift National Geographic konnte sie beweisen, dass Gorillas keine gefährlichen schwarzen Bestien à la Godzilla sind, sondern „sanfte Riesen“, die sich im Lauf der Zeit an die Anwesenheit der Forscherin gewöhnt haben, sie in ihrer Mitte duldeten und mit ihr kommuniziert haben.
Susanna Leonard hält sich natürlich an Lebensdaten von Fossey und an die Rolle, die ihre Förderer und auch die Feinde, etwa die ruandisches Tourismusbehörde oder ausländische Naturschutzorganisationen, die für Fossey gesammelte Spenden zweckentfremdet verwendet haben, gespielt haben. Den Focus des Romans über die „Die Forscherin“ legt sie jedoch auf die emotionale Beziehung Fosseys zu den Berggorillas speziell und zu Tieren im Allgemeinen. Bob Campbell hat 1972 den Silberrücken Onkel Bert fotografiert. © https://ufsasc.domains.uflib.ufl.edu/
Fossey war nicht die Einzige, die auf Betreiben Leakeys, der besonders am Verhalten der Menschenaffen als nahe Verwandte der Menschen, interessiert war, die Primaten beobachtet und studiert hat. Die Engländerin Jane Goodall (geboren 1934) hat in Tansania das Verhalten von Schimpansen erforscht; die kanadische Forscherin Birutė Galdikas (geboren 1946) hat mit den Orang-Utans in Borneo gelebt.  Bewusst hat Leakey Frauen für die Aufgaben ausgesucht, eben wegen jener Eigenschaft, die auch die widerspenstige, unberechenbare Dian Fossey gezeigt hat: Empathie, Geduld, Zähigkeit und über das wissenschaftliche Interesse hinausgehende Tierliebe.
Die Erforschung und Rettung der Berggorillas war für Fossey Berufung und Mission. Die Liebe und Erotik konnten da nicht mithalten. Ihren Bräutigam, den aus Rhodesien stammenden Farmerssohn Alexis Forrester, musste sie ziehen lassen, weil sie sich weigerte, ihre Gorillas zu verlassen. Auf ihre Liebe zum Tierfotografen Bob Campbell, der in ihrer Abwesenheit die Familien der Primaten betreut hat und noch vor Fossey eine innige Beziehung zu den Gorillas aufgebaut hatte, musste sie verzichten. Campbell war verheiratet und wollte sich von seiner Familie nicht trennen. Louis Leakey und seine Frau Mary haben Dian gefördert und unterstützt. © Smithsonian Institution Flickr Commons
Susanna Leonard erzählt ohne Aufregung, ohne Schmalz und Honig, hält sich an die Eckdaten und gibt auch einen Einblick in das Verhalten der von Fossey geliebten Berggorillas.
 Wirkliche Bekanntheit hat Dian Fossey erst erlangt, als Michael Apted 1988 den Film „Gorillas im Nebel“ mit Sigourney Weaver als Dian Fossey und Bryan Brown als Bob Campbell in den Kinos zeigte. Die Kritiker waren damals nicht zufrieden, meinten, der Film sei ein „Märchen, aufgeladen mit malerischem Pomp und weiblicher Schönheit", mit einer Filmbiografie habe er wenig zu tun.“ Mag sein, ein Film fürs Kino ist so wenig der Wahrheit verpflichtet wie ein Roman, und sei er auch historisch. Die Ladung von „malerischem Pomp und weiblicher Schönheit“, kann man Leonard nicht vorwerfen. Im Gegenteil, sie erzählt von Fosseys schwacher Konstitution, von ihrer unverträglichen Art und ihrem Hang, sich zu vernachlässigen, weil ihr die Arbeit das Allerwichtigste war. Obwohl das grausige Ende der Forscherin bekannt ist, gelingt es Leonard, die Spannung zu halten und auch die negativen Momente nicht zu verschweigen. Filmplakat (DVD-Cover): "Gorillas im Nebel" mit Sigourney Weaver. © Universal Pictures / Warner Bros.Über die Todesursache zu spekulieren vermeidet sie, berichtet nur die bekannten Tatsache. In der englischen Ausgabe von Wikipedia steht lapidar: Todesursache: Mord. Dian Fosseys eigener Bericht, von dem der Film auch den Titel entlehnt hat, ist vergriffen. Das Buch von Nicholas Gordon: „Murders in the Mist. Who Killed Dian Fossey?“ (Trafalgar Square Publishing), worin der Autor versucht, Licht in den immer noch ungeklärten Mord zu bringen, ist nicht übersetzt.
Jetzt noch schnell Sienna David und die fiktive Liebesgeschichte der Mathematikerin Ada Lovelace angekündigt. Dem Rechen- und Organisationsgenie  gehört der zweite Band der neuen Lübbe-Reihe.
Sienna David: "Ada Lovelace", Buchcover.  © Lübbe VerlagSienna David wendet sich mit ihrem Roman über „Ada Lovelace“ an ein Publikum, das sich mit einem schmalzigen Liebesroman zufriedengibt, wie sie früher vor Jahrzehnten bei Lübbe üblich waren. Nicht ohne Grund verwendet die Autorin ein Pseudonym. Dahinter verbirgt sich die deutsche Journalistin Sonja Roos, die vor allem bei der Rhein-Zeitung arbeitet. Den Untertitel zum Epos hat vermutlich der Verlag zu verantworten: „Ada und die Gleichung des Glücks“. Und dann noch ein Zusatz. „Sie war ein Genie und träumte von Wahrheit und Liebe.“ Die Liebe steht auch im Mittelpunkt dieses Romans über Ada Lovelace, die schon als Kind eine Berühmtheit war, keineswegs wegen ihrer Rechenkünste, sondern wegen ihres Vaters. Ada Lovelace, geb. Hon. Ada Lovelace Byron, war die Tochter des angehimmelten und auch verfemten Dichters George Gordon Noel, 6. Baron Byron (1788–1824). Adas Mutter hat den Dandy verlassen und in der Familie durfte niemand über Adas Vater sprechen. KlaMargaret Sarah Carpenter: Portrtät von Ada Lovelace, 1836. © wikipedia r, dass sie zeitlebens auf der Suche nach ihm war. Der Geliebte, den sie auch nach ihrer Heirat nicht losließ, allerdings, ist ausgedacht. Die realen Liebesaffären der verheirateten Ada sind in einer Person, der großen Liebe der Romanfigur, zusammengefasst. Die fiktive Liebesgeschichte nimmt wesentlich mehr Raum ein als der rechnerische Durchbruch, der als Lovelaces Vermächtnis an die Computerwissenschaft gilt. Der Ehemann, Willliam King, und der Mathematiker Charles Babbage sind reale Figuren, angereichert durch die fantasie der Autorin. 
Ada, die nie studiert hat und bis zu ihrem Tod im Grunde Hausfrau und Mutter geblieben ist, hat als Assistentin Charles Babbages der Entwicklung seiner Rechenmaschine wesentliche Impulse gegeben. Über ihren Anteil an der Entwicklung des Computers gibt es unterschiedliche Meinungen. Doch im 19. Jh. war es Frauen noch nicht erlaubt, zu studieren, also wurde Ada zu Hause unterrichtet, auch in Mathematik. Ihre Artikel jedoch musste ihr Mann schreiben, beziehungsweise seinen Namen unter Adas Überlegungen setzen.Charles Babbage 1871 in der London Illustrated News .Das zugrunde liegendes Foto ist 1860 entstanden. © wikipediaWar sie bis zu ihrem Tod Gesprächsthema in den Salons, so wurde es danach still um die Erfinderin der ersten Programmiersprache. Erst gegen Ende des vergangenen Jahrhunderts, als die automatische Rechen- und Speichermaschine in die Büros und Haushalte eingezogen ist, erinnerte man sich wieder an Ada Lovelace. Sofort tauchten auch die Kritiker auf, die bezweifelten, dass Adas Aufzeichnungen, die „Notes“ und ihr gesamter Anteil an der Computerentwicklung von ihr seien. Eine Frau, die sich wissenschaftlich betätigt, ist auch heute noch suspekt. Inzwischen ist Ada Lovelace in der Populärkultur ebenso bekannt wie in der Wissenschaft. Sienna Davids Liebesroman könnte man zum Anlass nehmen, mehr über Ada Lovelace zu erfahren. Noch mehr als in der deutschen Wiki-Bibliothek findet sich in der englischenSienna David: „Ada Lovelace. Ada und die Gleichung des Glücks“, Buchcover. © Lübbe Verlag. Inzwischen mangelt es nicht an Ehrungen für Ada Lovelace. Eine Programmiersprache mit Namen Ada erinnert ebenso an sie wie eine Kryptowährung, Straßen sind nach ihr benannt, wie etwa im Stadterweiterungsareal Seestadt in Wien. Besonders wertvoll sind Fauenförderungsprogramme, die ihr zu Ehren eingeführt worden sind. Zum Beispiel das 1997 gegründete rheinland-pfälzische Ada-Lovelace-Projekt zur Förderung von Mädchen und jungen Frauen im MINT-Bereich (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik). Wenn man genug über Augusta Ada King-Noel, Countess of Lovelace weiß, kann "Ada und die Gleichung des Glücks" getrost im Zug liegengelassen werden. Es wird sich jemand über den Fund freuen.

Sienna David: „Ada Lovelace. Ada und die Gleichung des Glücks“, Lübbe 2022, Hörbuch: 19,99.
Susanna Leonard: „Dian Fossey. Die Forscherin“ Untertitel: „Sie rettete bedrohte Tiere und bezahlte einen hohen Preis“, Lübbe 2022. 448 Seiten. € 12,40 Hörbuch: € 11,90.