Sascha Macht: „Spyderling“, Fantasy
Spyderling ist eine Figur, die es gar nicht gibt, oder der (die, das?) Spyderling versteckt sich einfach und falls er sich am Telefon meldet, so ist das nur ein Hirngespinst der erzählenden Person. Diese nennt sich Daytona Sepulveda und entwirft Brettspiele, was anscheinend in der Zeit, in der der Text des Jungautors Sascha Macht spielt, hoch in Mode ist. Der unsichtbare Spyderling hat die Elite der Spieleentwerfer und -entwerferinnen in sein riesiges Anwesen in Moldawien (im Buch Moldau genannt) eingeladen. Und dort hängen die Auserwählten nun herum und warten. Nicht auf Godot, aber auf Spyderling, der ebenso wenig erscheint wie der von Samuel Beckett erdachte Unsichtbare.
Der Name des unsichtbaren Wohltäters erinnert an eine Spinne, sie fängt ihre Opfer ein, um sie zu verzehren. Passt doch als Metapher, oder, wäre er gemalt, dann würde das Spinnenbild als Allegorie eingestuft. Jedenfalls, obwohl noch nie gesehen ist Spyderling widerlich. Eigentlich ist überhaupt niemand sympathisch in diesem wirren Roman, niemand mit der oder dem ich mich identifizieren oder wenigstens irgendein Gefühl für oder gegen aufbringen könnte. Bald bin ich ebenso gelangweilt wie diese Gästeschar. Dass Daytona erzählt, wie oft sie auf dem Klo sitzt, an Sex denkt, Gelegenheit findet, sich damit zu vergnügen, interessiert mich so wenig wie, dass sie dauernd schwitzt und im Kühlschrak nach Essen und Trinken sucht. Sie stammt übrigens aus Amerika, das erfahren die Leser:innen durch ihre Erinnerungen an ein Teenagerabenteuer, während dessen ihre beiden Freundinnen verschwunden sind, doch sie lebt jetzt in Leipzig, wo auch der Autor, Sascha Macht, 36, zuhause ist. Den Überblick habe ich bald verloren, manche kommen hinzu, andere verschwinden, um in einem andere Land wieder aufzutauchen. Auch die Rolle der Hausbewohner oder -angestellten wird nicht klar, sind Iona und dazu da, den Gästen das Leben angenehm zu machen oder es ihnen zu erschweren oder sollen sie alle drei mit dem Hausherrn in Verbindung stehen und ihm über das Verhalten der mitunter am Spielbrett klebenden Gruppe berichten? Ich kann mir kein Bild machen. Auch welche Rolle der ostukrainische Einsiedler Pawel spielt, wird nicht klar. Er ist, wie die Untote Taxi aus der Ukraine dazu da, die Geschichte über das Bettspiel, das das Leben sein soll, durcheinander zu bringen. In welchem Jahrzehnt dieser Sommerurlaub in Moldawien spielt, ist auch nicht klar, aber dass es heiß ist, erfahren die Leser:innen immer wieder von Daytona, nicht nur sie schwitzt andauernd. Den Pool allerdings nützt kaum jemand, doch wäre dieser doch wirklich geeignet, eine Leiche drinnen schwimmen zu lassen. Pardon, „Spyderling“ von Sascha Macht ist kein Tatort, sondern Literatur und die Leichen liegen nur auf dem Spielbrett. Die Spiele, die die Gäste, Daytona inbegriffen, entwickeln und entwickelt haben, gleichen weniger 2022 üblichen Gesellschaftsspielen mit Pappendeckelbrett, Plastikfigürchen und Befehls- oder Fragekarten als einem rasanten Computerspiel. In fast allen marschieren Soldaten auf, schießen wild auf alles, was sich bewegt, der Weltuntergang ist nahe. Die Spieler:innen haben immer wieder die Möglichkeit durch Entscheidungen das Spiel zu gewinnen, welchen Weg auch immer sie wählen, der Weltuntergang ist nahe. Doch die Welt geht so wenig unter wie das Spinnenwesen Spyderling auftaucht. Politische Anspielung aus der Gegenwart und der (Nazi-)Vergangenheit können aufmerksame Leser:innen zuhauf entdecken, denn
Die zweidimensionale Fläche des Spielbretts wird in der Vorstellungskraft der Spielenden zum dreidimensionalen Raum. Indem sich jeder Spieler auf diese Weise mit dem Spiel verbindet, wird er unwiderruflich Teil des Spiels. Die grundlegende Fähigkeit des Menschen, sich mit etwas einverstanden zu erklären, wird zur Voraussetzung dafür, einen neuen Aspekt des Lebens erfahren zu dürfen. Das Spiel verändert und erweitert die Welt – in uns und um uns herum. Vielleicht ist es das, was wir uns seit Tagen gegenseitig sagen wollten, ohne bisher die Worte dafür gefunden zu haben.
Meint Daytona Sepulveda, meint Autor Sascha Macht.
Nach 400 Seiten verschwindet Daytona in den Himalaya und hört dem Wind und Geiern zu. Vom Brettspielen hat sie offensichtlich genug. Den tieferen Sinn dieses nach „Der Krieg im Garten des Königs der Toten“ (DuMont, 2016) 2. Romans von Sascha Macht kann ich nicht erkennen, zumal die Figuren, Spieleerfinder:innen, Band-Mitglieder aus der Ukraine, und kaum noch lebendige Käuzchen Figuren bleiben, aus Pappendeckel ausgeschnitten, so sonderbar und originell aufgemotzt, dass sie eindimensional und platt auf den Spielbrettern liegen. Daytona, die Erzählerin, verliert sich in endlosen Substantiv-Reihen, ein Beispiel genügt ihr nicht, sie muss ungezählte Namen, Orte, Ereignisse aufzählen, sodass statt Klarheit Monotonie entsteht.
Sascha Macht zeigt mit den Anklängen an den kalten Krieg im 20. Jahrhundert und auch heutige Querelen im ehemaligen Sowjetstaat seine umfassende Bildung. So kann etwa der Ausflug der Spieler:innen den Dnister entlang, um die moldawische Hauptstadt Chișinău und später die Ukraine und noch später den nicht anerkannten Ministaat Transnistrien (innerhalb von Moldawien) zu besuchen, auf jeder Landkarte, oder, zeitgemäßer, im Internet nachvollzogen werden. Doch diese Mischung aus politischer Realität und fiktionaler Handlung macht das Eintauchen in die Welt des Brettspiels nicht gerade einfacher. Wie konstruiert dieser pseudooriginelle, pseudointellektuelle Text ist, zeigt schon der Name der zentralen Person: Daytona Sepulveda. Vorname: eine Motorsport-Rennstrecke in Florida; Nachname: ein lateinamerikanischer Nachname, den chilenische oder mexikanische Sportler tragen, aber auch Philosophen und Dichter. Der älteste lebte vor 500 Jahren in Spanien: Juan Ginés des Sepúlveda, 1490–1573. Warum Macht das, was er zu sagen hat, nicht im Klartext mitteilt, sondern verschleiert und mit Metaphern garniert, muss ich nicht verstehen. Geschwurbelt und geschwumpft wird ohnehin von Politker:innen und in den sozialen Medien genug.
Sascha Macht: „Spyderling“, DuMont 2022, 480 Seiten. € 25,70.
E-Book € 19,99.
Anmerkungen: Fotos mit dem © YouTube sind aus dem Interview-Video des Sächsischen Literaturrats mit Sascha Macht. Sie haben alle einen erkennbaren Bezug zu Inhalten seines Romans.