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Erwin Riess: Herr Groll und die Wölfe von Salzburg

Erwin Riess, Schriftsteller und Behindertenaktivist. © Alexander Golser

Herr Groll und Josef sind wieder auf Tour. Die zwei, also Groll, vornamenlos, und sein Rollstuhl, mit Vornamen Josef, waren schon fast überall, wenn ich mich nicht irre, sogar in New York. Diesmal allerdings sind sie in Salzburg, wo es knapp vor Beginn der Festspiele turbulent zugeht. Wölfe zerfleischen geistliche Würdenträger, unheimliche Puppen hängen in Parks und auf Plätzen, und Groll soll den verschwundenen Freund einer liebeslustigen Festspielabonnentin suchen. Diese Suche soll den roten Faden von Erwin Riess Krimi „Herr Groll und die Wölfe von Salzburg“ bilden.

Ausblick vom Glockenspiel auf den eigenen Gastgarten. Drinnen sitzt Herr Groll mit seiner Jugendliebe Elfi.© www.felleis knittelfelder.atDer verschwundene Galan ist in jedem Festspielsommer Liebhaber der Mutter des Dozenten. Dieser, Sohn aus guter Hietzinger Villa, ist neben Josef, den er mitunter zu schieben hat, wenn es die Salzburger Stadtberge hinauf und hinunter (da muss er natürlich bremsen) geht, Freund und Begleiter von Groll. Er ist es nicht, der den roten Faden verwickelt, durchschneidet und mitunter neu knüpft, sondern Groll selbst, der von seinen Abenteuern mit mancherlei Ausritten in die Vergangenheit erzählen lässt.
Nicht von ungefähr sitzt Groll wie Riess im Rollstuhl und ist wie dieser mit allen Wassern gewaschen, solchen eines allumfassenden Wissens, einer Kenntnis aller Schichten der Gesellschaft und auch jenen eines Schelms und Wiener Hanswursts, der ja seinen Kunden und Kundinnen nicht nur den nackten Hintern, sondern auch den Spiegel zeigt. Dennoch ist zu vermerken, dass Herr Groll eine Fiktion ist, von Erwin Riess geschaffen, dem Autor ein wenig ähnelnd, mit allerlei akrobatischen Kunststücken (auf steilen Wegen, in tiefen Tälern und auch im Bett) ausgestattet, aber eben nicht der Autor. Auch vor dem berühmen Scharfrichterhaus wird eine Leiche gefunden. ©  stadtbekannt salzburg.at / Zohmann
Groll und der Dozent suchen zwar brav nach dem Bettgenossen der Mamà (sic, Grolls Schreibweise hat einen biedermeierlichen Duft) des Dozenten, wobei dieser sowieso nicht auftauchen soll, weil er ihn kennt, aber nichts von den ziemlich schlampigen Verhältnissen ahnt.
Egal, Groll ist ohnehin dauernd abgelenkt von seinem Auftrag, weil er seine Jugendliebe Elfi wieder findet und auch noch mit Goldrun Bekanntschaft schließt, die sich angenehm innig entwickelt. Doch nicht nur die Lebenden halten Groll von der geradlinigen Suche nach dem englischen Herren ab, sondern auch die Salzburger Bischöfe, die schon mehr als 200 Jahre im Ehrengrab ruhen. So mäandert er höchst unterhaltsam durch die Jahrhunderte und landet immer wieder in der Gegenwart, über die es ja auch genügend zu sagen gibt, und damit ist nicht nur die Salzburger Festspielgesellschaft gemeint.Wölfe bedrohen Uniformträger und Kleriker. Die Festspiele sind gefährdet. © Alexander Heinl dpa
Die Wölfe werden nicht vergessen, denn sie tauchen immer wieder auf, lassen aber die Zivilbevölkerung unbehelligt in den diversen Kaffeehäusern sitzen, richten ihre Zähen vor allem gegen Uniformierte  und Geistliche. Groll ist nicht nur ein Detektiv aus Leidenschaft und ein heimlicher Privatgelehrter, obwohl er sich nicht „Dozent“ nennt, sondern auch mit einem Gedächtnis fürs Triviale ausgestattet. Salzburg ist für die meisten Österreicher:innen ein Ort voller Erinnerungen, echten und eingebildeten. Groll erinnert sich an Mozart sowieso, aber irgendwie kommt auch Schubert nach Salzburg und natürlich Oskar Werner und überraschend befindet sich Rosemarie Nitribitt auf der Damentoilette der Felsenreitschule. Dort ist auch Virginia Hill, doch wer das ist, weiß ich nicht. Die Nitribitt kenne ich aus dem Film „Das Mädchen Rosemarie“. Der ist ein Jahr nach dem Tod der Edelprostituierten mit der großartigen Nadja Tiller als Rosemarie über die Kinoleinwand geflimmert. Die gesamte Liste der Darsteller:innen glänzt durch illustre Namen, viele davon haben bereits ein † dahinter. Marko-Feingold-Steg über die Salzach. Im Frühjahr 2021 wurde der Makartsteg in Marko-Feingold-Steg umbenannt. Für den Salzburger Maler Hans Makart (1840–1884) mag der schmale Steg adäquat gewesen sein, dass die Erinnerung an den ältesten Zeitzeugen des Holocaust, zuletzt Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Salzburg, nicht mit einem bedeutenderen Platz, sondern nur mit diesem mickrigen Steg wach gehalten werden soll, kränkt die Witwe und empört Herrn Groll: "Einen Affront. Einen antisemitischen Affront.", nennt er den scheinheiligen Akt. © stadt-salzburg.at / Fabian_Kapo Framez Production  Autsch, jetzt habe ich mich von Riess und Groll verführen lassen und selbst meinen roten Faden durchgebissen. Bevor ich mich noch im Almkanal verirre oder in der Mönchsberggarage, knüpfe ich ihn wieder zusammen und kehre ins Labyrinth des Erwin Riess zurück, in dem man sich nicht immer nur amüsiert. Riess versteht es so nebenbei, geschichtliche aber vor allem auch gegenwärtige Ungeheuerlichkeiten einzufügen, gegen die die reißenden Wölfe, die ohnehin bald wieder das Stadtbild verlassen, harmlose Märchenfiguren sind.
Schutzumschlag / Cover. © Otto Müller VerlagDas Ende ist nicht so glücklich, auch wenn das Unglückliche laut Groll „auf den Fortgang der Geschichte keine Auswirkung“ hat. Die Expertise des Wolfsspezialisten, dass die Festspiele wegen drohender Gefahr abgesagt werden sollen, kennt nur das Direktionsgremium und lässt sie natürlich sofort verschwinden. Die Eröffnungsrede hielt ein bekannter Zukunftsforscher, der „zum Schluss kam, daß eine lichte Zukunft mit einer dunklen Vergangenheit nicht zu haben sei. Die Schlußfolgerung is daher klar: Die Zukunftssicherung erfordere“ jetzt zitiert Groll den Text der Rede „ein für allemal die Entsorgung der Vergangenheit auf dem Müllhaufen der Geschichte“. Doch Groll bekommt von Madame das ihm zustehende Honorar. Für ihn ist das Ende dieses Abenteuers ein glückliches. Seine Leser:innen hoffen, dass er bald einen neuen Auftrag erhält.

Erwin Riess: „Herr Groll und die Wölfe von Salzburg“, Otto Müller, 2021. 212 Seiten. € 22,00. E-Book: € 18,00
Am Samstag, 13. November 2021 Im Rahmen von Buch Wien liest Erwin Riess aus seinem jüngsten Roman. Samstag, 13. November 2021, 15:30 Uhr. Messe, Halle D, Bühne 2.