Tayari Jones: „Das Jahr, in dem wir verschwanden“
Auch im deutschen Sprachraum hat Tayari Jones Roman "Das zweitbeste Leben" gute Rezensionen und viele interessierte Leserinnen gefunden. Nach diesem Erfolg veröffentlicht der Arche Literaturverlag auch Jones 2002 erschienen ersten Roman. „Leaving Atlanta“ / „Das Jahr, in dem wir verschwanden“ spiegelt die Welt halbwüchsiger Mädchen und Buben vor einem realen Hintergrund, den Kindermorden von Atlanta. Durch eine Serie von niemals richtig aufgeklärten Morden sind zwischen 1979 und 1981 etwa 30 afroamerikanische Kinder, vor allem Buben, verschwunden. Manche wurden tot gefunden, doch nicht alle.
Jones erzählt allerdings nicht von den Untaten und möglichen Tätern, sondern vom letzten Grundschuljahr der Kinder, worauf Monica und Roderick, Tasha und Olivia und die anderen sich am Ende der Sommerferien freuen. Durch die ersten Nachrichten, dass Kinder verschwinden, wird ihr Alltag eingeschränkt, die Eltern haben Angst, lassen ihre Sprösslinge nicht mehr draußen spielen.
Drei Teenager stehen im Mittelpunkt, mit ihren Augen wird der Alltag und die Bedrohung gesehen.
Doch im Grunde haben die Mädchen und Buben andere Sorgen: Was werden sie nach der Schule anfangen, zu Hause in Atlanta bleiben, fortgehen und studieren? Tasha muss ihrer kleinen Schwester erklären, warum Daddy eine andere Frau hat, die dunkelhäutige Olivia will ihre Stellung in der Klasse verbessern und auch eine Freundin oder einen Freund haben, und Roderick, der sich ihr ein wenig genähert hat, ist plötzlich nicht mehr da. Es geht auch in dieser Kindergruppe um Rassismus und die soziale Stellung in der Gruppe, die Wohlhabenden verachten die Armen, die Hellhäutigen die anders Aussehenden und die Alphatiere steuern die Gemeinschaft. Die Eltern versuchen den normalen Alltag weiterzuführen, doch die dunkle Wolke, die über Atlanta hängt, löst sich nicht auf. Octavia trauert um Roderick und beschließt, Atlanta zu verlassen.
Schon mit diesem ersten Roman entfaltet Tayari Jones, selbst in Atlanta geboren und ihrer Heimatstadt treu geblieben, ihr Talent. Als die Serie der Kindermorde begonnen hat, war sie neun Jahre alt und hat sich offenbar auch 20 Jahre danach noch intensiv in die Gedanken und Träume der verängstigten Kinder hineindenken können. Ein trotz der grässlichen Vorkommnisse, die das Leben dieser Kinder in der afroamerikanischen Gemeinschaft vergiftet haben, ein ruhiges, erfrischendes Buch, dem es auch nicht an leisem Humor fehlt.
Tayari Jones: „Das Jahr, in dem wir verschwanden“, „Leaving Atlanta“, aus dem Englischen von Britt Somann-Jung, Arche 2021. 269 Seiten. € 22,70.
„An American Marriage", Jones dritter Roman, ist 2020 bei Arche in der Übersetzung von Britt Somann-Jung unter dem Titel „In guten wie in schlechten Zeiten“ erschienen. 352 Seiten. € 12,70.