Katrine Engberg: Die Tänzerin wird Krimikönigin
Mit einem Titel, der eher auf eine Komödie denn auf einen Krimi schließen lässt, hat die Dänin Katrine Engberg Kritiker*innen und Leser*innen gleichermaßen erobert: „Krokodillevogteren /Krokodilwächter“ ist 2016 in Kopenhagen erschienen, zwei Jahre später war die deutsche Übersetzung auf dem Markt. Da hatte sie schon die nächsten zwei Bände fertiggestellt. Inzwischen sorgt in Dänemark bereits der 5. Band für Spannung. Engbergs Romane erscheinen in 20 Ländern.
Zwar ist Katrine Engberg, geboren 1975, nicht gerade aus dem Nichts in die Bestsellerlisten gesprungen, schon 2007 hat sie mit einem „Reisetagebuch“ gezeigt, dass sie spannend zu erzählen weiß. Davor jedoch hat sie ihre Karriere mit den Beinen nach oben bewegt. Sie hat getanzt, später auch choreografiert. Weniger in den Spitzenschuhen, doch häufig in zierlichen Stepptanzschuhen. Ihre Ausbildung in Kopenhagen hat sie drei Jahre lang in München fortgesetzt, danach eroberte sie den Ballroom. Die junge Katrine war eine vielbeschäftigte Showtänzerin. Auch in Fernsehserien und Filmen hat sie als Schauspielerin reüssiert. Ebenso war sie als Choreografin erfolgreich, 2016 debütierte sie im Kopenhagener Bellevue Theater auch als Musicalregisseurin, bevor sie sich ganz auf das Schreiben konzentriert hat. Seit 2008 ist sie verheiratet und lebt mit Mann und Sohn im noblen Kopenhagener Bezirk Østerbro.
In einem Interview mit der erfolgreichen deutschen Krimiautorin Nele Neuhaus bei der Frankfurter Buchmesse erzählt Engberg, die dank ihres München-Aufenthalts perfekt Deutsch spricht, über ihre Schriftstellerkarriere: „Ich komme aus einem eher kultur-elitären Elternhaus, meine Eltern sind Akademiker und haben immer Krimis gelesen. Es gab bei uns zu Hause aber keinen Unterschied zwischen hoher Literatur und Unterhaltungsliteratur wie Krimis, sondern nur zwischen guter und schlechter Literatur. Und ich habe einfach immer davon geträumt, eines Tages einen Krimi zu schreiben.“ Und die sind in der Tat keineswegs schlechte Literatur. Im Gegenteil, anders als viele der spannungslosen 08/15 Romane mit einem vergrübelten Kommissar und einem bösen Serientäter. In Kopenhagen ermitteln Jesper (Jeppe) Kørner, der ein wenig unglücklich ist, weil ihn seine Frau verlassen hat, und Anette Werner, eine junge, betriebsame Frau, die ihren Mann oft alleine lässt, weil sie mit Leib und Seele Detektivin ist.
Rund um diese beiden gruppieren sich die anderen Mitarbeiter*innen des Kommissariats, die in jedem Band unterschiedlich wichtige Rollen spielen.
Was an Engbergs Krimiserie jedoch besonders anspricht, ist ihre Methode, an einen neuen Fall heranzugehen. Sie geht nicht von einem Täter oder einer Täterin aus, sondern von gesellschaftlichen oder politischen Problemen und gibt während der Suche nach möglichen Mördern und Mörderinnen ihren Protagonisten Gelegenheit, diese Themen den Leserinnen nahe zu bringen. Ein Thema, das immer wieder auftaucht, ist auch die Einsamkeit, nicht nur alter Menschen. Geht es in „Krokodilwächter“ um die Verführbarkeit junger Mädchen und auch um die Literatur, so sind im 2. Band, „Blutmond“, die Schönen und Reichen samt ihrer Gier an der Reihe, und in „Glasflügel“, dem 3. Band, geht es um das Gesundheitssystem und den Umgang mit psychisch Kranken. Eigentlich ist „Krimi“ nicht die passende Charakteristik für Engbergs Bücher, die alle Kriterien eines Romans erfüllen. Schließlich entwickeln sich auch ihre Personen im Laufe der Bände. Noch eine Besonderheit fällt in den sowohl überaus spannenden wie auch humorvollen Kriminalromanen auf: Die Autorin zieht nicht nur das Personal des Kriminalkommissariats mit sich, sondern auch einige Nebenfiguren, deshalb ist es nicht falsch, die Bände der Reihe nach zu lesen. Fängt man jedoch mit dem aktuellsten an, ist es auch kein Schaden, Engberg schafft es, auch Erstleserinnen nicht vor den Kopf zu stoßen, sie würden gar nicht bemerken, dass die pensionierte Universitätsprofessorin Esther de Laurenti mitsamt ihren beiden Möpsen im ersten Band eine Hauptrolle spielt oder, dass Jeppe immer wieder von neuem um seinen besten Freund Johannes bangen muss, der von einem Schlamassel ins andere rutscht. Die Ermittlungen dauern im Schnitt kaum eine Woche, und doch sind die 500 Seiten voll mit Lebensgeschichten und auch Verdächtigen. Kaum habe ich eine / einen als Täterin / Täter identifiziert, kommen sie schon wieder nicht in Frage, doch der / die nächste wartet schon. Am Ende – besonders in „Glasflügel“ ist es ein filmwürdiger Showdown – wird die Leserin mit der Lösung direkt überrumpelt. Immerhin geht es in diesem dritten Band der Reihe gleich um mehrere Tote, die während der Nacht in einem Lastenfahrrad transportiert und in Brunnen und Teiche geschubst werden. Keine angenehme Überraschung für jene, die die Leichen finden. Lange Zeit rennen die Ermittler*innen in diverse Sackgassen, dadurch bleibt Zeit genug, über ihre privaten Sorgen und Freuden, Lieben und Leiden zu berichten, und das ist ebenso aufregend wie die Suche nach möglichen Täter*innen. Katrine Engberg führt auch beim Erzählen wunderbar Regie, führt ihre Personen mit leichter Hand und bringt sie den Leserinnen nahe, als wohnten sie nebenan. Und sie schafft es auch, dass die auf der anderen Seite, die außerhalb der Gesellschaft leben, nicht als das abgrundtief Böse erscheinen, nicht hassenswert sind, weil auch sie im Grunde auf der Suche nach Liebe und Verständnis sind. Nur ihre Methoden sind verabscheuungswürdig und kriminell.
Dass Engbergs Romane auch für das deutschsprachige Publikum so angenehm zu lesen sind, ist zu einem guten Teil auch dem Übersetzer Ulrich Sonnenberg zu verdanken. Im oben zitierten Gespräch mit Nele Neuhaus, ebenfalls eine Krimi-Königin, sagt sie über ihren Übersetzer: „Ich bin sehr zufrieden. Sonnenberg macht nicht nur eine Übersetzung, er schreibt das Buch fast neu.“
Ein letztes Zitat: Uneingeschränktes Lob für Katrine Engberg in der Kopenhagener Tageszeitung Berlingske: „Lassen Sie es uns gleich sagen: Katrine Engberg ist Teil der Oberklasse des dänischen Kriminalschreibens. Sie weiß, wie man eine kluge Handlung konstruiert und glaubwürdige Charaktere und Szenen schafft, und darüber hinaus formuliert sie in einer reibungslosen und mühelosen Sprache. … Es ist gut durchdacht und überraschend."
Katrine Engberg, Kriminalromanreihe mit Jeppe Kørner und Anette Werner, aus dem Dänischen von Ulrich Sonnenberg, Diogenes Verlag.
„Krokodilwächter“, 2018, 6. Auflage, 512 S. € 22,70. Tb € 10,30.
„Blutmond“, 2019, 480 S. € 24,70. Tb € 12,40.
„Glasflügel“, 2020, 432 S., € 20,60. Tb € 12,40.
Alle Bände sind auch als E-Book erhältlich.
Auch für die beiden Folgebände, „Vådeskud“ und „Isola“, hat der Diogenes Verlag bereits die Rechte erworben.