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Lesezeit: Spannung mit Atwood und Steinfest

Autor Heinrich Steinfest. © zVg /Die Oberbadische

Im November bleiben die Uhren stehen. Der goldene Herbst geht zu Ende, die geschäftige Adventzeit hat noch nicht begonnen. Was macht man, wenn die grauen Wolken tief hängen und sämtliche grauen Männer eindringlich darum bitten, in den vier Wänden zu bleiben? Man liest. Taschenbücher fordern auch keinen allzu schmerzlichen Griff in die Geldbörse. Zwei aus der unübersehbaren Flut habe ich mit Genuss gelesen.

Die preisgekrönte Autorin Margaret Atwood wird im November 81. © Jean MalekMargaret Atwood hat nach mehr als 30 Jahren eine Fortsetzung ihres Welterfolgs „Der Report der Magd“ geschrieben. 2019 als „The Testaments“ von Penguin Random House erschienen, war die deutsche Übersetzung nahezu zeitgleich unter dem Titel „Die Zeuginnen“ im Berlin Verlag (Piper Verlagsgesellschaft) in den Buchhandlungen. Nun steht der mehr als 570 Seiten starke Roman ungekürzt auch als Taschenbuch zur Verfügung.
Kompakter, aktionsreicher und dadurch spannender als „Der Report der Magd“ erzählt Atwood eine Geschichte von tapferen, schlauen und auch verblendeten Frauen. Männer spielen in diesem Roman nur eine Nebenrolle, sie genießen ihre Macht und verstehen gar nichts.  Elisabeth Moss in der amerikanischen Fernsehsehserie "Der Report der Magd". ©  MGM Hulu Erzählt wird die verschlungene Geschichte über den autoritären Staat Gilead von drei Frauen, den Zeuginnen. Zeugin 369 A ist Agnes, die in Gilead aufgewachsen ist und die Unterdrückung am eigenen Leib erfahren hat. Daisy lebt im neutralen Kanada und muss helfen, dem Regime in Gilead ein Ende zu bereiten. Eine Stimme gehört Lydia, die Leserinnen bereits aus dem „Report der Magd“ kennen. Jetzt leitet sie eine Art Kloster, das Haus Ardua, in dem die „Tanten“ leben, die jungen Mädchen das Leben, oder was so genannt wird, lehren sollen. Lydia ist nach außen hin ganz dem System ergeben, doch sie führt ein Tagebuch, in dem die Verbrechen der Gilead-Elite aufgezeichnet werden. Die erste Auflage von "Die Zeuginnen" wurde mit zwei Coverversionen angeboten. © Piper Dieses „Heft“, aussagekräftiger als jedes heimlich aufgenommene Video, soll hinaus geschmuggelt werden, um den Inhalt der Welt bekannt zu machen. Daisy, die vor 15 Jahren in Gilead geboren worden ist, wovon sie keine Ahnung hat, ist dazu ausersehen, Lydias Aufzeichnungen über die Grenze zu bringen. Wie eine russische Puppe ist Atwoods Spätwerk aufgebaut, in jeder der Puppen ist ein Geheimnis verborgen, bis die letzte Puppe die gesamte Geschichte preisgegeben hat. Tarnen und Täuschen, Intrigen und Lügen sorgen für Spannung, die Erzählungen der Zeuginnen verdichten sich zu einem außergewöhnlichen Krimi, in dem Menschen ebenso gemordet werden  wie deren Geist. Alltag in Gilead. Weil das Recht in Gilead bei den Mächtigen liegt, und die für Ordnung sorgen, ist kein Polizeiorgan notwendig. Einige denkende Frauen beschließen, dem Terror ein Ende zu bereiten. Cheng sieht den Hund und auch die beiden Männer auf der Eisscholle. Die Männer sehen den Hund nicht, die Leserinnen sehen die Männer nicht. Was das zu bedeuten hat, erfährt die geneigte Leserin im letzten Kapitel. © wetter.de Auch Heinrich Steinfest und sein Detektiv Markus Cheng sind reif für die Taschenbuchausgabe. In „Der schlaflose Cheng“ muss der einarmige Detektiv seinen 5. Fall lösen. Eine Zufallsbekanntschaft führt dazu, dass er sich mit dem Mord an einem berühmten britischen Filmschauspieler befassen muss. Als Schuldiger wird sein deutscher Synchronsprecher verurteilt und inhaftiert. Peter Polnitz war der letzte, der mit der Leinwandikone gesprochen hat. Cheng lässt sich von dessen Tochter breitschlagen, die Unschuld von Peter Polnitz nchzuweisen. Vor Jahresfristhat ihn Polnitz in einem Hotel in Mallorca angesprochen, weil er Cheng für einen ihm bekannten Chinesen gehalten hat. "Der schlaflose Cheng" von Heinrich Steinfest. Cover @ PiperWieder einmal muss Cheng betonen, dass er ein Wiener ist und nur ungern mit Stäbchen isst. Nolens volens befasst er sich mit der Affäre, was ihn verpflichtet, Wien zu verlassen und zu Wasser, zu Luft und Land bis nach Grönland zu reisen. Der Fall liegt ganz anders, als es den Anschein hat, der verurteilte Polnitz ist gar nicht Polnitz, und auch Wake, der Ermordete, hat eine andere Seite. Steinfest bleibt Steinfest, er erzählt verästelt und ausschweifend, vor- und rückblickend, mit Witz und Ironie, wie es nicht nur in Steinfests Cheng-Serie der Fall ist. Ein Lesevergnügen voller Überraschungen. Nebel und Nieselregen können kommen, der Lockdown ist schon da.

Margaret Atwood: „Die Zeuginnen“, Deutsch von Monika Baark, Piper, 2020. 576 S. TB: € 12,40. Hardcover: Berlin Verlag, 2019, 3. Auflage. € 25,70.
Heinrich Steinfest: „Der schlaflose Cheng“, Piper, 2020. 288 S. Softcover: € 11,40. Hardcover: Piper, 2019, 4. Auflage. € 16,50. E-Book: € 9,99.