Eszter Salamon zeigt "Valda & Gus" im Tanzquartier
Der Körper als Depot der Geschichte Eszter Salamon baut Monumente, die Choreografie und Tanz als Teil der historischen Entwicklung zeigen sollen. "Monumentum 0 - haunted by wars (1913-2013)" beschtigte sich mit Kriegstänzen von den Kriegen der vergangenen 100 Jahren betroffenenen indigenen Vökern. In einem düsteren, eindrucksvollen Szenarion bot die Choreografin einen Blick auf die unsichtbare Welt der Tanzgeschichte. Mit Tanzgeschichte ganz anderer Art, persönlich, intim, auch witzig kommt nun das Monument 0.1 auf die Bühne des Tanzquartier. "Valda & Gus" ist das Porträt zweier weltberühmter Tänzer, die nahezu ein ganzes Jahrhundert des Tanzes erlebt haben. Sie sind alt, können aber auf der Bühne immer noch faszinieren.
Aus dem Dunkel leuchtet ein Kopf auf, verglimmt wieder. Vollkommene Stille hält das Publikum gefangen. Ein Lichtfenster öffnet sich im Hintergrund, glitzernde Tropfen fallen, dann hüllt das Dunkel den Saal wieder ein. Erst allmählich erhellt sich die Bühne in sanfter Dämmerung, lässt eine alte Frau sichtbar werden, die zögernden Schrittes ihren Platz findet und tastend nach ihrer Vergangenheit sucht: „ich erinnere mich nicht wirklich genau…, warum…“ Das Gedächtnis des Körpers hilft dem Geist – Port de Bras, Füße auf die Spitze gestellt, seliges Lächeln. Die 82jährige Valda tanzt im Sitzen und zeigt, dass die Bewegung auch die Erinnerungen zum Fließen bringt.
„Valda & Gus“ heißt das Monument 0.1, das die Tänzerin und Choreografin Eszter Salamon gemeinsam mit ihrem Kollegen Christophe Wavelet konzipiert hat. In den als Serie geplanten Monumenten beschäftigt sich Salamon mit dem Verhältnis von Choreografie / Tanz und Geschichte. Für sie, die im kommunistischen Ungarn geboren ist und sich nach der Wende in Berlin und Paris niedergelassen hat, bewegt sich Tanz nicht außerhalb er gesellschaftlichen und politischen Entwicklung. Im Monument 0, „Haunted by wars (1913–2013)“, hat sie die globale Kriegsgeschichte der vergangenen 100 Jahre erforscht und Tänze der betroffenen Kulturen einstudiert. Sie erzählt mit sechs Tänzern und Tänzerinnen von Tänzen, die verschwunden und Kulturen die untergegangen sind. Eine düstere, aufwühlende Performance, gezeigt 2015 im Tanzquartier, der trotz allen Schreckens ein gewisser Unterhaltungswert nicht abzusprechen ist.
Ohne Schuldgefühle unterhalten darf man sich bei Monument 0.1, das sich mit persönlichen Erinnerungen an ein Leben für den Tanz beschäftigt. „Die Leute wissen viel zu wenig über das Leben einer Tänzerin. Wie eingezwängt diese Künstlerinnen in die Normen sind, wann sie von der Bühne abzutreten haben, wie lang eine Tänzerin aktiv sein darf… Das ist alles festgeschrieben. Emanzipation gibt es da nicht.“ Nicht nur deshalb hat Salamon „Valda & Gus“ choreografiert. Als Choreografin ist Salamon auch eine Forscherin. „Auch wenn die Choreografie auf anderen Gesetzen beruht als die politische Arena, beeinflusst sie politisches und gesellschaftliches Leben. Wie das geschieht interessiert mich.“
Valda & Gus sind zwei fiktive Personen und zugleich zwei reale. Valda Setterfield und Gus Solomons jr. Zwei geehrte und preisgekrönte Stars, Gallionsfiguren des Bühnentanzes und der Performance des 20. Jahrhunderts. Valda Setterfield, geboren 1934 in England, hat mit Woody Allen ebenso gearbeitet wie mit Mikhail Baryshnikov, war Tänzerin und Schauspielerin und hat zwei „Bessies“, den New York Tanz und Performance Preis, erhalten. Das zweite Mal 2006 für „die außergewöhnliche Art ihrer Karriere“. Noch 1994 hat sie in einer Choreografie von Gus Solomons jr. mit seiner Company Paradigm getanzt. Der Tänzer, Choreograf und Schauspieler Solomons jr., sechs Jahre jünger als seine Kollegin, ist eine Schlüsselfigur im amerikanischen postmodernen Tanz. Er ist mit den Compagnien von Martha Graham und Merce Cunningham, wo er als erster schwarzer Tänzer engagiert worden ist, aufgetreten und hat 1972 seine eigene Company gegründet. Der vielseitige Künstler hat überdies seinen Bachelor in Architektur gemacht und unterrichtet Kunstgeschichte an der New York University.
"Die Tanzgeschichte ist Teil der Geschichte und wird zu Untrecht vershwiegen", sagt ilEszter Salamon. Sie selbst, die mit dem Volkstanz aufgewachsen ist und danach auch eine Ballettausbildung absolviert hat, hat sich bald von den Zwängen und Normen gelöst. „Ich habe schnell gewusst, dass weder der Volkstanz noch das Ballett mein Leben sein wird. Doch Ungarn war ja als jung war, gar nicht an den zeitgenössischen Tanz angebunden. Ich musste in den Westen gehen.“ Den ungarischen Pass ha sie behalten und zeigt auch ihre Choreografien im Budapester Off-Theater Trafó. In ihrer Heimat leben will sie nicht. „Nicht jetzt!“ In Frankreich hat sie mit renommierten Choreografinnen wie Mathilde Monnier, der derzeitigen Direktorin des nationalen Tanzzentrums (CND) in Paris, gearbeitet. Nahezu pünktlich mit dem neuen Jahrtausend löste sie sich als Tänzerin auch von den Choreografien anderer: „Ich wollte auf der Bühne zeigen, was mich selbst beschäftigt. Ich komme aus einem Land, das am Rand von Westeuropa liegt, meine Prioritäten liegen in meinen Wurzeln, ich muss sie finden. Ich bin mit der Vergangenheit nicht wirklich verlinkt und habe einen anderen Zugang zur Geschichte, als eine problematische Art von Tabula rasa quasi.“
Als moderne Tänzerin will sie sich nicht bezeichnen: „Ich bin weniger an der Bewegung zur Musik im Raum interessiert, als an den Inhalten.“ Dennoch, Salamon ist eine Geschichten-Erzählerin. Mit leuchtenden Augen gesteht sie: „Ja, ich erzähle gerne Geschichten, sehr gern. ich liebe das Fiktionale.“ 2001 begann sie mit Solos und Gruppenstücken und war bald aus der internationalen Tanzszene nicht mehr wegzudenken. Ihr besonderer Umgang mit dem Körper, der für sie nicht nur Bedeutungsträger sondern immer auch fühlendes Subjekt ist, und die Wahl ihrer Themen, abseits vom gerade herrschenden Trend, faszinieren auch das Publikum. Jetzt also erzählen die Körper zweier alter Tänzer von einem Zeitabschnitt der Tanzgeschichte. „Es war nicht schwer die beiden zu finden und sie zum Mitmachen einzuladen. Wer einmal auf der Bühne gestanden ist, ist immer wieder dazu bereit.“
Keine persönliche Biografie. Doch aufgepasst „Valda & Gus“ ist keine Biografie der Künstlerin Valda Setterfield und des Künstlers Gus Solomons jr. Das Abenteuerliche an dieser Produktion ist, dass Setterfield und Solomons jr. zwar als Valda und Gus auf der Bühne agieren, aber nicht sich selbst sondern eine Rolle spielen. Gemeinsam mit der Choreografin (unterstützt vom ehemaligen Tänzer, Kunsthistoriker und Leiter der internationalen Forschungsabteilung des CND, Christophe Wavelet) haben sie in ihrem Gedächtnis gegraben, Erinnerungssplitter an ihre lange Bühnen- und Filmkarriere hervorgeholt und zusammengesetzt. „Ich wollte wissen, was sie um Tanz gebracht hat, was sie motiviert hat, immer weiter zu machen“, sagt die Choreografin. „Die beiden haben das Script geliefert, wir haben es neu geschrieben. An den Schnittpunkten haben wir fiktionale Räume geöffnet. So können wir mit den persönlichen Erfahrungen zeigen wie sehr die Höhepunkte ihrer Karriere mit dem Lauf der Geschichte verbunden sind.“ Pause. „… Und diesen so logischen Schluss, dass Alter gleich Erschöpfung ist, entkräften. Sowie zu zeigen, dass poetische Verdichtung ebenso eine bedeutende Quelle der Geschichte ist.“
„Valda & Gus“: Ein Dialog, eine Rückschau, ein Nachhall in der theatralen Black Box und ein Statement von Eszter Salamon: „Durch die Verknüpfung von Gesten und Wörtern beschwört ‚Valda & Gus’, was gestern geschrieben worden ist und zeigt wie uns das Gestern zurückgegeben werden kann.“ Angesiedelt ist das Monument 0.1 „irgendwo zwischen Dokumentation und autobiografischer Fiktion. Zwischen Geschichte und Gedächtnis, zwischen Beschreiben und Bearbeiten, zwischen Bezeugen und Erfinden, zwischen Erfüllung und Versprechen. Und auch das Thematisieren des Alters, diese unerwartete Ressource, die die Fantasie beflügelt und das Leben befeuert.“
Eszter Salamon / Christophe Wavelet: „Monument 0.1: Valda & Gus“, mit Valda Setterfield und Gus Solomons jr., 2., 3.12., Tanzquartier.