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Daniel Aschwanden: „Goldberg 365“, Performance

Goldberg_45 am 1. Mai in China. © Daniel Aschwanden

Inspiriert durch Steve Paxton und seine Untersuchungen zu Variation und Improvisation, die der Tänzer und Choreograf in den 1980er Jahren zur Musik der „Goldbergvariationen“ von Johann Sebastian Bach gezeigt hat, hat der Tänzer und Choreograf Daniel Aschwanden die musikalische und inhaltliche Klammer der Bachschen „Clavier Übung“ übernommen, um ein Jahr lang im öffentlichen Raum aufzutreten. 24 Stunden dieser Performance Aschwandens werden im Oktober 2016 zu genau definierter Zeit und am festgelegten Ort, dem internationalen Busbahnhof neben der U3-Haltestelle Erdberg, gezeigt.

Aschwanden hat sich vorgenommen, nachdem ihm die Idee am Morgen bei der täglichen Körperarbeit eingeschossen ist, ein Jahr lang täglich in öffentlichen Räumen zu performen.

A part: An das Vokabel „performen“, so weh es mir tut, muss sich mich gewöhnen. Laut Duden ist es in der Finanzwelt sogar üblich, für den Rest – „darbieten, präsentieren; etwas vorführen; eine Performance bieten“ – meint die Redaktion des nachvollziehenden Wörterbuchs zwar: „Jargon“, doch seit sich die Untergruppe des Bewegungstheaters „Performance“ mit Künstler_innen, die sich „Performer“ nennen etabliert hat, gibt es eben auch das Verb „performen“. Ich füge mich und füge das Wort auch dem privaten Wörterbuch hinzu. Bitte nicht mehr unterwellen!“

Goldberg_202, Wien im September, am Huptbahnhof. © alleBilder Daniel AschwandenAschwanden performt also (meistens) täglich eine Stunde, spontan und ohne Ankündigung, dort wo er gerade ist, in Zürich oder Peking, in Chongqing oder in Wien. Jeden Tag eine Stunde – das ergibt 365 Stunden. 24 davon zeigt Aschwanden nun in Erdberg im Busbahnhof an 24 Tagen. Der Beginn wendet sich an Nachtschwärmer: Am 10. Oktober um 1 Uhr ist „Goldberg 365_207“ zu sehen. Am nächsten Tag zeigt der Performer seine Improvisation um eine (nächtliche) Stunde verschoben: „Goldberg 365_208“, 02 Uhr. Die letzte Vorstellung ist nach Adam Riese am 2. November um 00 Uhr. Den Stundenfresser kann sich jede selber basteln oder auf art-urban.org ansehen.

Motiviert ist dieser Ansatz „durch ein gewisses Bedauern über einen Verlust an tänzerischer Bewegung, der sich in meinem Leben in den letzten Jahren beinahe schleichend vollzogen hatte“. Andere Projekte, seine Aktivitäten mit „Bilderwerfer“, einem kollaborativem Projekt von behinderten und nichtbehinderten Performer_innen, wofür Daniel Aschwanden auch den Staatspreis für Kunst erhalten hat, nicht zu vergessen auch seine Lehr- Und Expertentätigkeit an der Universität für angewandte Kunst, mögen an diesem „Verlust“ ebenso beteiligt sein. Zugleich unterläuft Aschwanden mit seinem Projekt auch die üblichen Vermarktungsmuster von Performance und schafft es eine große Anzahl von Aufführungen zu realisieren. Goldberg_200: am 3. Okober in der Unterführung Hauptbahnhof, Wien

Mit dem Titel seiner Auftritte an 24 Tagen, jeweils eine Stunde von 1 Uhr bis 00 Uhr – „24 Stunden Stadt-Schamanismus beim Würstelstand“ – spielt der Performer „mit dem Bild des Künstler-Schamanen als einem Detektor, dessen Selbst-Wahrnehmung Basis einer Art non-linearer Vermessungsarbeit ist, die das Unsichtbare, Unausgesprochene auslotet und Verhältnisse des Un-Definierten in Kontrast zu den städtischen Prämissen der Umgebung setzt. Das kann diskret ablaufen aber auch schon einmal alltägliche Konventionen radikal infrage stellen.“

Goldberg_194, 27. Septmber, Donauinsel Wien Wie und wo es ihm gefällt. Ganz spontan funktioniert das Unterfangen dann doch nicht, der Performer braucht die Musik und ein Bühnenbild. Dieses sein Objekt der Bühnenbildnerin Stephanie Rauch, stattet natürlich keine Bühne aus, weil es eine solche nicht gibt. Rauchs transportables Objekt soll lediglich den Raum markieren in dem sich der (quasi ortsfremde) Körper bewegt. Ein „Raummarker“ damit der Performer Platz zum Performen hat. Die nötige Musik – nicht vergessen Ausgangspunkt und Titel beziehen sich auf J. S. Bachs „Goldbergvariationen“ – liefert J. S. Bach original oder der chinesische Experimentalmusiker und Noise-Komponist Liu Xinyu. Er hat eine eigene Fassung als Variation einer Interpretation des Pianisten Glenn Gould geschaffen.

Gestartet sind die 365 Variationen in China (Beijing) am 18. März 2016. Sie dauerte keine Stunde, weil Aschwanden abbrechen musste: Der Akku des Players von dem der Performer die Musik über Kopfhörer abspielte, war leer. Die 19 Minuten haben sich ein paar alte Frauen angesehen. Goldberg 365, Erste Variation am 18. März 2016 in China.

Ziemlich genau hält Aschwanden die Eckdaten jeder Performancevariation schriftlich fest. Fotos gibt es eher von den Orten der Aufführung, als vom Performer. Es soll ja auch der flüchtige Charakter einer Live-Performance betont werden. Zwar wird der Auftritt auch über Twitter /Periscope gestreamt, doch bleiben diese Daten nur 24 Stunden im Netz bevor sie wieder gelöscht werden. Einen plastischen Eindruck der Dokumentation bieten die Aufzeichnungen der 2-Minuten-Perofrmance, Goldberg 365_45, am 1. Mai 2016 im Kumming Artcentet in China. 

Daniel Aschwanden / Art urban: „Goldberg 365“ Part 207 bis 230, 10. Oktober – 2. November, Internationaler Busbahnhof Erdberg, U3 Station: Erdberg. Genau Termine: www. Art-urban.org/
Mehr Informationen und die dokumentierte Zeitlinie der Performancevariationen auf goldberg365.urban.org/

Am Dienstag, 18. Oktober findet wieder ein Hausbesuch im Space-Village statt. Dieser Performance-Parcours, ein antigalaktischer Tauchgang in die Raumkolonie aspern-Seestadt in die Psyche der noch jungen Kolonie. Daniel Aschwanden und Conny Zenk, die entwicklerin des Projekts, erweitert zum Kollektiv mit Joanna Zabielska, Matthias Hurtl, Florian Hofer und das Enseemble laden dazu ein.
Beginn 20 Uhr. Treffpunkt: "Fabrik", Sonnenallee, aspern Seestadt (U2). Ende 22 Uhr.