Alex Gottfarb: Von Gene Kelly inspiriert
Gene Kelly spannt den Schirm ab und tanzt im Regen, steppt zwischen den Tropfen und singt dazu. Genau: „Singin’ in the Rain.“ Ein Film, der nicht nur Großmütter bezaubert. Auch zwei schwedische Schulbuben ließen sich begeistern und beschlossen, es Kelly nachzutun. Sie wollten Tänzer werden. Einer, Alexander Gottfarb, hat durchgehalten, hat die harte Ausbildung an der schwedischen Ballettakademie überlebt, ist in Österreich dem freien Tanz begegnet, hat bei Esther Linley an der Bruckner-Universität in Linz studiert und ist bei Liz King im Burgenland (Cie.D. ID) als Artist in Residence aufgetreten. Nun will er mit der Company The Loose Collective das Alte Testament tanzen. Vielleicht auch singen. Wie viele Schweden hat er in der Jugend dem Chorsingen gefrönt.
Mehr noch als im Kino entzündete sich Alexanders Tanzbegeisterung gleichsam im Traum. Die Mutter war Chefgarderobiere an der Oper in Stockholm. Alexander ging im königlichen Haus am Ufer des Norrström ein und aus und hat „in vielen Ballettvorstellungen sehr gut geschlafen“. Wenig später hüpfte er selbst auf die Bühne, als Mowgli im „Dschungelbuch“ und in „Annie Get Your Gun“. Mit einem Musical konnte er auch den ersten Erfolg in der neuen Heimat feiern. Mit seinen Kollegen und Kolleginnen von The Loose Collective, begeisterte er mit der Paraphrase auf das erste Musical überhaupt, der 1866 auf dem Broadway uraufgeführten komischen Revue „Der schräge Vogel in Schwarz“ („The Black Crook“). Wie damals war das Publikum auch heute hingerissen. „Here Comes the Crook“, Uraufführung im Dezember 2010 im Rahmen der Burgenländischen Tanztage im OHO, bedient sich der Möglichkeiten des alten Feelgood-Genres, um über die Möglichkeiten des neuen Tanzes nachzudenken. Die Wiederaufführung beim ImPulsTanz-Festival heuer hat gezeigt, dass der neue „Crook“ bereits selbst zum Evergreen geworden ist. Jeder kann Chef sein.
Demokratie mit Humor. So lustig ist die Oberfläche der Arbeit von The Loose Collective allerdings nicht immer, auch wenn Humor selbst dann nicht fehlt, wenn sich die demokratisch organisierte Gruppe mit dem Alten Testament auseinandersetzt: „The Old Testament According to the Loose Collective” wurde 2013 im Tanzquartier uraufgeführt. Die flache Struktur des 2009 gegründeten Kollektivs ist dem überzeugten Demokraten Gottfarb besonders wichtig. „Wir haben keinen Chef, aber jeder kann der Chef sein. Ich bin nur ein Teil des Gesamten“, wird er nicht müde zu betonen und legt Wert darauf, dass auch die Namen der anderen Mitglieder genannt werden. Dann tun wir das mit dem gebotenen Respekt, der, wie Gottfarb sagt, ein Grundprinzip der gemeinsamen Arbeit sei. Dem Kernteam der Formation gehören an: Die Tänzer und Choreografen Alex Deutinger, Österreich, Michael Dolan, Irland, Thomas Kasebacher, Österreich, Marta Navaridas, Spanien, Anna Maria Nowak, Polen und die österreichischen Musiker Guenther Berger, Stephan Sperlich sowie die Wiener Malerin und Bühnenbildnerin Hanna Hollmann. Sie alle sind seit Monaten damit beschäftigt, das Alte Testament zu lesen. Nicht nur, weil es unmöglich ist, die Fülle der Geschichten einfach nachzuerzählen, geht es dem Kollektiv nicht um konkrete Inhalte. Das für viele heilige Buch wird als ein „herausragendes Beispiel für die menschliche Kreativität und Fantasie“ betrachtet und vorerst auf die Darstellungsmöglichkeiten der wörtlichen und metaphorischen Ebenen der Erzählungen untersucht.
Als Ziel haben sich Tänzer und Denker gesetzt, eine „lebendige Übersetzung des alten Textes in eine zeitgemäße Bewegungssprache“ zu erreichen. „Es geht nicht um Religion, wir arbeiten mit dem Text als Text.“ Verschreckt und belastet soll das Publikum nicht werden. „Wir stellen uns eine unmögliche Aufgabe und machen sie dann mit Freude.“ Schweden ist sozialer. Wie viele Kollegen ist der Schwede Gottfarb der Liebe wegen in Wien hängen geblieben. Allerdings damals weniger der Liebe zur Weiblichkeit wegen als der zum Tanz. Später hat das Herz doch auch sein Recht gefordert: Seit sieben Jahren ist er mit der aus Polen stammenden Tänzerin Anna Maria Nowak verheiratet. Bald nach dem ersten Auftritt des Mittdreißigers mit der Linzer Company X.ida hat sich die Elite heimischer Choreografinnen und Choreografen um die Bühnenpräsenz und Exaktheit des neuen Tänzers gerissen.
Außerhalb des Kollektivs arbeitet Gottfarb an seinen eigenen Projekten, vor allem an der Schnittstelle zwischen Denken, Sprechen und Bewegung. „Moved by Faith“ überzeugte 2011 durch beides, den durchdachten Inhalt und die präzisen tänzerischen Bewegungen der Gruppe. „Als ich herkam, war ich vom zeitgenössischen Tanz gänzlich unbeleckt. Erst in Österreich habe ich meine theoretische und praktische Erziehung erfahren.“
Seine tänzerische Heimat hat Alexander Gottfarb in Österreich auch aufgrund der „hervorragenden Arbeitsbedingungen hier“ gefunden. Was ihm weniger gefällt, ist die soziale Situation der Künstler. „Die ist in Schweden besser.“ Seine Träume von einer Europa-Gewerkschaft für Tänzer ließen ihn tatsächlich zwischen Kunst und Sozialpolitik schwanken. „Ich habe ernsthaft darüber nachgedacht, mich zu engagieren. In Schweden ist da ein anderes Bewusstsein, wir lernen früh, sozial zu denken, demokratisch zu handeln. Aber mir ist klar geworden, dass es zehn Jahre dauert, bis Veränderungen wirksam werden.“ Deshalb hat die Kunst gesiegt. „Man wurschtelt sich eben so durch. Das Schöne an Österreich ist, dass es trotz bürokratischer Hürden und sozialer Unterversorgung immer ein Hintertürl gibt.“ Auch Gottfarb hat gelernt, dieses zu öffnen.
Alexander Gottfarb, studierte Tanz an der Stockholmer Ballettakademie. Seit 2004 arbeitet er als freier Tänzer und Choreograf in Wien. Einige seiner Werke sind: "Baga-Basta" (mit Milan Tomasik), "Marvel at the World", "Political Movements", "Moved by Faith", "Chivalry is Dead" (mit Alexander Deutinger).
2009 gründeten Alexander Gottfarb, Alexander Deutinger, Marta Navaridas und Anna Maria Nowak das Kollektiv The Loose Collective