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Paul Wenninger: NIcht dem Wohlgefühl dienen

Paul Wenninger vor der Kamera von ARTE TV © Arte TV

Paul Wenninger bewegt sich vom Tanz zum Objekt und ist einstweilen beim Film und der Pixilation-Technik gelandet. Was ist Choreografie? Diese Frage steht für den Tänzer, Choreografen und Filmemacher Paul Wenninger in den letzten Jahren im Vordergrund. Längst beschäftigt sich der 50jährige nicht mehr nur mit dem Bewegen vom tanzenden Körper zur Musik auf der Bühne. Auch starren, stummen Körpern, Objekten, gibt er eine Choreografie.

„Für mich“, sagt Wenninger „ist Choreografie näher dem Objekt als dem Theater.“ Für den Abend „Calibrate“ im Tanzquartier, arbeitetet er dennoch mit den tanzenden Körpern. Postgraduierte aus Wien, Linz und Salzburg im Vakuum zwischen Schulabschluss und Berufseinstieg, erarbeiten mit Wenninger, Alix Eynaudi sowie Ian Kaler drei Choreografien für einen gemeinsamen Abend.

Ein schönes Beispiel für das Spiel mit Objekten und die „Trennung der Choreografie vom Körper“ hat Wenninger schon 2008 / 9 mit der Choreografie „Continent“ gezeigt. Ein Styroporboot, das mehrfach in Wien und Linz aufgetreten ist, ist endlich als temporäre Installation auf einem Metallgerüst am Donaukanal gelandet. „Der Körper, der ausschlaggebend für die Gestaltung war, war nicht mehr da, doch die Choreografie war noch vorhanden. Sie war dem Objekt eingeschrieben.“ Verstanden? Das Boot repräsentiert die Choreografie, sie steckt im Boot. Immerhin, aus all den komplizierten theoretischen Überlegungen entsteht ein sichtbares Werk. Auch wenn Wenninger mehr am Prozess denn als am Ergebnis interessiert ist, wird der Öffentlichkeit ein Werkstück, keineswegs Stückwerk, präsentiert. "Continent", ein Boot  entsteht als choreografischer Körper. © leo Schatzl

Natürlich will der Künstler auch verstanden werden und so erklärt Wenninger noch einmal den Unterschied, wie er ihn sieht, zwischen einem Objekt als Choreografie und der getanzten Choreografie,: „Die getanzte Choreografie braucht Zuschauer, wenn aber die Choreografie vom Körper getrennt ist, braucht sie keine Zuschauer mehr.“ Die Choreografie „Continent“ ist nach genauen choreografischen Abläufen in einer alten Fabrikhalle entstanden. „So wurde aus dem rohen Material Styropor ein choreografierter Raum.“ Während Tänzer mit Zeit und Raum vor einem Publikum arbeiten, zeigt das Boot, der choreografierte Körper, dass das Raum und Zeit der Choreografie für den Betrachter nicht mehr wahrnehmbar“. Alles klar: Tänze zeigen Choreografie in der Zeit; das choreografierte Objekt ist zeitlos. Die Choreografie braucht keine Zuschauerinnen mehr, sie ist im Körper, dem Boot, drinnen, quasi vom Objekt verschluckt.

imbue" mit Rottraut Kern, Tanzquartier 2007 © Pul Wenninger Zugegeben, leicht zu verstehen ist das nicht. Doch das muss auch niemand. Das unter dem Sommerhimmel schwebende weiße Boot, durch eine diffizile Soundinstallation sich selbst in Vibration versetzend und auch Töne von sich gebend, ist einfach schön. Darüber ob das nun ein choreografisches Werk oder eines der Bildenden Kunst (geschaffen im Team) oder ein materialisiertes Gedankenspiel ist, hat sich der Schöpfer selbst genügend Gedanken gemacht. Und davon, von den Gedanken, sprudelt Paul Wenninger förmlich über.

Stolz auf die Töchter. Wenn er sich aber vorstellt, dann tut er dies ordentlich wie ein Schüler: „Mein Name ist Paul Wenninger, ich bin Tänzer, Autor choreografischer Werke, Filmemacher und Vater von drei Töchtern.“ Das Attribut stolz ist mitzuhören. Vier Jahre hat er in den 1990ern in Rennes, in der Bretagne, wo Boris Charmatz jetzt das „Musée de la Dance“ leitet, in der Compagnie von Catherine Diverrès getanzt und auch in Brasilien studiert. Seit 1999 ist er künstlerischer Leiter von Kabinett & Co., einer Arbeitsplattform für Künstler und Künstlerinnen verschiedenster Kunstrichtungen, „um interdisziplinäre Projekte mit Fokus auf den Körper zu realisieren.“

Mit „Die Tränen des Eros“, einem Solo aus streng choreografierten Szenen und Improvisation, „um unmittelbares Erleben zu ermöglichen und nicht nur eine Reproduktion zu zeigen“, machte er 1998 zum in Wien auf sich aufmerksam und zählt heute längst zu einem auch international viel beachteten Künstler, einem Künstler, der sich nicht einordnen lässt, keinem Trend folgt und keiner Mode erliegt. „Natürlich wünscht man sich ein Publikum. Doch, ich verfolge meine Ziele, ob sie Zuschauer-kompatibel sind oder nicht. Oft ist das tatsächlich Selbstausbeutung – für wenig Geld und viel Befriedigung.“ Wenn Wenninger das Ziel erreicht hat, ist es für ihn nicht mehr interessant. „Ich brauche die Herausforderung. Kunst fesselt mich nur so lange, solange sie ein Experiment ist. Auch wenn die Menschen so gerne ihre Erwartungshaltung mit ‚more of the same’ erfüllt haben wollen. Ich will aus dem Kreis des immer Gleichen ausbrechen. Dem Wohlgefühl dient meine Arbeit nicht. Wenn das Publikum nicht mitzieht…,“ bleibt nur ein Achselzucken. Deshalb gefällt ihm auch die aktuelle Arbeit mit den jungen Tänzerinnen und Performern, eben die Ausbildung beende haben: „Das ist ein Experiment, ein Pilotprojekt, etwas Neues. “ In "Sehnen" tanzt Paul Wenninger  mit Adriana Cubides, Raul Maia, Rotraud Kern,t  © Tanzquartier

Film als choreografisches Werk. Ein neues reizvolles künstlerisches Feld hat der Tänzer und Autor choreografischer Werke (mit dieser Beschreibung kann sich Wenninger von der herkömmlichen Vorstellung des Begriffes Choreograf abgrenzen) als Filmemacher gefunden. „Ich mache keine Tanzfilme.“ Wieder eine Erwartung weggewischt. Sein Weg zum Filmchoreografen ist von den Objekten markiert. „Mein Umgang mit Objekten auf der Bühne, wenn ich sie physisch bewegt habe, war mir zu langsam. So bin ich auf die Pixilation gekommen: Stop Trick Animation mit lebendigen Menschen. Vor allem mit Tänzern ist der Umgang mit Zeit und Raum sehr angenehm. Es ist doch eine Riesenherausforderung den Körper über einen langen Zeitraum zu kontrollieren.“

Als Film-Choreograf versucht er, dem Körper eine andere Dimension zu geben als auf der Bühne. In seinem ersten, bereits preisgekrönten, Kurzfilm „Trespass“ schickt er eine Art Avatar seiner selbst, eine aus Realbildern animierte Figur, auf Weltreise in den eigenen vier Wänden. 2012 ist „Uncanny Valley“ entstanden, ein Film, indem er sich mit dem Ersten Weltkrieg auseinandersetzt. Altes Filmmaterial wird mit der Performance der Darsteller gemischt. Die Verbindung von Pixilation, der Einzelbildschaltung, und Performance stört und unterbricht den Fluss der Erzählung, von der Handlung bleiben isolierte Momentaufnahmen. "Uncany Valley", Filmversion © Paul Wenninger

Im Film und auf der Bühne. Von diesem „finsteren Tal“ hat Wenninger auch eine Bühnenversion erarbeitet, ebenso wie im Film spielt sich das nicht lineare Geschehen in einem großen Diorama, quasi im Museum, ab. Auf der Bühne wird eine Art Making off des Films gezeigt. Die Tänzer bewegen sich in Zeitlupe, das Film-Team tut seine Arbeit in Echtzeit. Leicht zu deuten: Den 1. Weltkrieg gibt es nur noch als Inszenierung.

Paul Wenninger,geboren 1966, ist Vater von drei Töchtern, freischaffender Tänzer und Autor choreogafischer Werke. Mitwirkung in internationalen Produktionen, arbeitet und lebte von 1994-1998 in Frankreich. Von 1994-1998 Tänzer der Cie. Catherine Diverrès am Centre Chorégraphique National de Rennes et Bretagne.

Paul Wenninger, Tänzer, Choreograf, Filmemacher. Ein Porträt.