Elio Gervasi: „What kind of animal is“
In seiner neuen Choreografie, "What kind of Animal is" lädt der Tänzer und Choreograf Elio Gervasi nicht zu einem Quiz in den Tiergarten ein, sondern beschäftigt sich mit einem urmenschlichen Problem: der Balance zwischen dem Bedürfnis, ein einmaliges Wesen, ein Individuum, zu sein und der Sehnsucht, dazu zu gehören, von der Gemeinschaft anerkannt zu werden. Mit den Tänzer_innen sucht er nach dem innersten Wesen des Menschen, differenziert zwischen Chaos und Ordnung, zwischen Freiheit und Bindung, dem Einzelnen und dem Ganzen. Die Uraufführung der choreografischen Reflexion findet Mitte Dezember im Tanzquartier statt.
Ich allein oder alle gemeinsam, Freiheit oder Geborgenheit, Solo und eigenverantwortlich oder beschützt als Teil der der Gruppe? Fragen auf die es keine eindeutigen Antworten gibt. Immer von Neuem muss sich jeder Mensch zwischen den beiden Polen entscheiden. What kind of animal is“ (Von welcher Art sind wir?).
Vier Tänzerinnen (Yukie Koji, Hannah Timbrell, Alessandra Ruggeri, Yun Yeh) und ein Tänzer (Dominik Feistmantel) machen den Balanceakt zwischen dem Wunsch nach Einzigartigkeit und dem Bestreben des „Zoon politikon“, unter Gleichartigen aufgehoben zu sein, sichtbar. „Das beginnt schon in der Familie, zwischen Mutter und Kind. Das ist eine enge Gemeinschaft, doch das Kind muss selbständig werden, entwickelt sich von der Mutter weg und bleibt ihr doch immer verbunden“, sagt Gervasi, der seine Familie im italienischen Cosenza schon in jungen Jahren verlassen hat, um sich dem Tanzen zu widmen. In Rom hat er klassischen Tanz studiert, dann bei Merce Cunningham, José Limon, Susanne Linke und anderen „modern“ trainiert. Vom Afro-Dance fasziniert, schloss er sich Bob Curtis an, tanzte sieben Jahre in dessen Company und arbeitete als sein choreografischer Assistent. Einen Tournee-Aufenthalt in Wien nahm er zum Anlass, den Koffer nicht wieder einzupacken: „In Italien hatte der Tanz damals in den 1980er Jahren wenig Chancen. Kein Geld! In Wien war zwar auch kein Geld da, aber ich habe mehr Möglichkeiten gesehen.“
Die Möglichkeiten musste sich Gervasi allerdings selbst schaffen. 1987 gründete er seine eigene Company – das „Tanztheater Wien“ hatte unter der Leitung von Liz King bereits den Boden aufbereitet. Die ersten beiden Stücke der jungen Company Gervasi finanzierte der tanzende Choreograf selbst. „Da sind wir im ehemaligen Schikaneder Kino aufgetreten, dann kam ein Angebot vom WuK …“ Elio Gervasi war bald aus Wien nicht mehr wegzudenken, erhielt Angebote von ausländischen Compganien für sie zu choreografieren, zeigte sein Talent mit dem Staatsopernballett (heute: Wiener Staatsballett) in beiden Opernhäusern und war auch immer wieder Spezial-Gast bei ImPulsTanz.
War Elio Gervasi einst ein draufgängerischer Heißsporn mit großen Ambitionen, so ist er nun nahezu abgeklärt, jedenfalls entspannt. Neben seiner eigenen Arbeit mit jungen Tänzer_innen, die er für jede seiner Choreografien neu aussucht – „Sonst wird mir langweilig“ –, widmet er sich auch der Nachwuchsförderung. Sein Studio in Favoriten steht als Proben- und Entwicklungsraum zur Verfügung, Auch Premieren werden von Solistinnen, Solisten und kleine Gruppen dort gefeiert. „Ich mische mich da aber nicht ein, die sollen sich frei entwickeln. Ich öffne den Wein und koche.“
Auch als Choreograf hat er sämtliche Machtgelüste abgelegt: „Der autoritäre Choreograf, der die Puppen tanzen lässt ist tot. Tänzer, die warten, was ich anschaffe und dann meine Schritte tanzen, interessieren mich nicht mehr. Ich erkläre meine Vorstellungen, gebe ein Grundgerüst, dann diskutieren wir und die Tänzer und Tänzerinnen arbeiten mit ihren eigenen Bewegungen.“ Schließlich haben (nicht nur in der aktuellen Company) alle eine andere, in jedem Fall fundierte, Ausbildung, unterschiedlichen kulturellen und individuellen Hintergrund. „Meine Company ist ganz gemischt. Dominik ist in Innsbruck geboren, Yukie ist Japanerin, Yun kommt aus Taiwan, Hannah aus Australien und Alessandra wie auch meine choreografische Assistentin, Nicoletta Cabassi, aus meiner Heimat, Italien.“ Gervasi betont, dass Dominik Feistmantl nicht wegen seines Geschlechts engagiert worden ist: „Um Mann / Frau geht es mir nicht, es geht um die Körper und die Menschen.“ Trotz der Unterschiede schafft es die Gruppe, auf der Bühne als Einheit zu wirken. Die Individualität der einzelnen Tanzenden wird durch Solos und Duos betont.
Das Stück ist fast fertig, im Probenraum wird von Anfang bis Ende getanzt. Gervasi unterbricht den Durchlauf kein einziges Mal. Konzentriert werkelt er im Hintergrund an den Reglern, um den von Albert Castello komponierten Geräuschen die richtige Lautstärke zu verpassen, startet das finale Video, das ebenso wie die filmische Ouvertüre, das Thema von „What kind of animal is“ ohne Worte zusammenfasst. Dann ruft er seine Company zur Nachbesprechung.
Tanz Company Elio Gervasi: „What kind of animal is“, Uraufführung 11.12., Tanzquartier, Halle G.
Weitere Aufführungen: 12. und 13. Dezember 2015.