Choreograf Pontus Lidberg lässt die Wölfe tanzen.
Der schwedische Choreograf und Filmemacher Pontus Lidberg studiert mit dem Wiener Staatsballett ein neues Ballett: „Between Dogs and Wolves“, ein. „Between Dogs and Wolves“, eine Uraufführung, umrahmt von Movements to Strawinsky” von András Lukács und Nacho Duatos „White Darkness”. Der Abend, schlicht „Lukács | Lidberg | Duato” benannt, ist die letzte Ballettpremiere der Ära Manuel Legris in der Staatsoper.
In der Dämmerung kann man die Wölfe nicht von den Hunden unterscheiden. Die französische Redewendung „Entre chiens et loups“ ist eine Metapher für die Zeit des sinkenden Lichts, nicht mehr hell, aber noch nicht wirklich dunkel. In dieser Grauzone hat der schwedische Choreograf Pontus Lidberg sein neues Ballett angesiedelt: „Between dogs and wolves“, also “Zwischen Hunden und Wölfen.” Das kurze Ballett ist der Mittelteil eines dreiteiligen Abends und wird zwischen “Movements to Strawinsky” von András Lukács und Nacho Duatos „White Darkness” vom Wiener Staatsballett uraufgeführt.
Dieser Abend, schlicht „Lukács | Lidberg | Duato” benannt, ist die letzte Ballettpremiere der Ära Manuel Legris in der Staatsoper.
Pontus Karl Johan Lidberg, geboren 1977, feiert mit dem Wolfsballett seinen Einstand an der Staatsoper. Spät, hat er doch sein Renommee bereits mit dem New York City Ballet, Les Ballets de Monte Carlo, dem Ballet de l’Opera in Paris und mit Arbeiten für eine lange Liste anderer Compagnien inklusive seiner eigenen, „Pontus Lidberg Dance“, erworben. Seit 2018 ist er Direktor des Danish Dance Theatre, was ihn nicht hindert, sich seiner zweiten Leidenschaft, der Filmkunst, zu widmen und in der Welt umherzuschweifen.
„Das ist anstrengend, aber auch sehr anregend. Weil ich mit so unterschiedlichen Compagnien arbeite, muss ich immer wieder umdenken und mich auf die Tänzer*innen neu einstellen. Erst wenn ich das Ensemble kenne, kann ich eine Idee entwickeln, denn meine Ballette sind genau auf die Ausführenden zugeschnitten.“ In Wien hatte er leichtes Spiel: „Legris hat mir Carte blanche gegeben, ich konnte machen, was ich will. Ich hatte zwar schon eine vage Idee, doch zuerst wollte ich die Compagnie kennenlernen. Das Staatsballett ist ein sehr klassisch orientiertes Ensemble, also musste ich klassisch denken.“ Von den Tänzerinnen ist Lidberg begeistert: „Die sind wirklich Spitze, alle haben internationales Niveau.“ Die Frage nach seiner Tanzsprache hat sich erübrigt, Lidberg spricht auch im Tanz viele Sprachen, „doch basiert mein Vokabular auf Logik und Kausalität. Eine Bewegung entsteht aus der anderen, es ist ein ständiger Fluss.“
Auch wenn sich die Tänzerinnen und Tänzer für eine Szene in Wölfe verwandeln, so geht es dem Choreografen doch mehr um die Wirkung des Dämmerlichts. Deshalb hat er den preisgekrönten amerikanischen Animationskünstler Jason Carpenter eingeladen, der mit einem Schattenspiel den bewegten Hintergrund der Bühne gestaltet. „Das Wechselspiel von Licht und Schatten, von den weißen Tutus der Tänzerinnen und den dunklen Anzügen der Herren, fasziniert mich. Ich wollte auch die Wölfe einbauen, weil mir schon längere Zeit ein Ballett mit Tieren im Kopf herumgeht. Und die Wölfe sind so interessante Tiere, wir wissen nie, sind sie lieb und zutraulich oder wild und böse.“ Die Idee, er probe in Wien gerade ein Märchen- oder Kinderballett, entrüstet den hochgewachsenen Schweden: „Nie und nimmer! Die Szene mit den Wölfen ist wie ein Spiel, mehr ein Augenzwinkern, ein surrealistischer Traum. Ich spiele nicht, ich erzähle auch keine Geschichte, das neue Ballett ist eher ein abstraktes Narrative. Es könnte so sein, oder auch nicht. Das wird das Publikum entscheiden.“ Stört die Filmanimation dabei nicht? „Im Gegenteil, es ist ein Dialog von Schwarz und Weiß, die beiden Medien ergänzen einander.“
Dass auch die Ballette von András Lukács, Mitglied des Staatsballetts, und Nacho Duato, die ein wenig älter sind (Lukács ist 2017 in der Volksoper vom Staatsballett uraufgeführt worden; Duatos „White Darkness“ stammt aus dem Jahr 2001 und ist bereits im Repertoire vieler Compagnien), mit dem Wechselspiel von Schwarz und Weiß arbeiten, wird kein Zufall sein, da darf man dem scheidenden Ballettchef Manuel Legris schon vertrauen. So schwingt der Abend von ungeahnter Schönheit in der Choreografie von Lukács zum Tanz mit den Wölfen und zu Trauer und Erschütterung in „White Darkness“. Duato beschäftigt sich mit der zerstörerischen Welt der weißen Droge Kokain, die in die Finsternis führt. Mit gleißendem Licht und dunklem Schatten spielt auch Duato.
Licht und Schatten spielen auch im Film eine Rolle, damit gelingt der Sprung zum konservierten und stets wiederholbaren Ereignis, dem Film. Die preisgekrönten Filme Lidbergs, „The Rain“ und „Labyrinth within“, sind Tanzfilme, die jedoch nicht Tanz abfilmen, sondern für den Film inszeniert sind. „Mein nächster Film wird ein Schauspiel, es wird zwar auch getanzt, aber der Schwerpunkt liegt bei der Darstellung und dem Wort“, sagt der Regisseur über „Written on Water“, was schon auch mit dem Tanz zu tun hat, ist doch auch die Kunst des Tanzes ins Wasser geschrieben, kaum gesehen, schon wieder entfleucht.
Für den Choreografen/ Filmregisseur haben beide Medien Gemeinsames und auch Trennendes: „ Ich liebe an Tanz und am Film, dass mir Welten zur Verfügung steht, die Körper, die Bühne, die Musik – im aktuellen Stück in Wien ist sie übrigens von Dimitrij Schostakowitsch (1906–1975, das Streichquartett Nr. 10 As-Dur op. 118 , vom russischen Bratschisten Rudolf Barschai (1924–2010) für Streichorchester bearbeitet –, ich kann als Regisseur wie als Choreograf alles tun, was mir einfällt. Allerdings gibt es auch Unterschiede, deshalb will ich sowohl choreografieren wie auch Filme drehen. Tanz und Musik funktionieren linear, entlang einer Zeitlinie. Im Film kann ich Gegenwart und Zukunft zugleich zeigen, schnell zwischen Zeitintervallen hin- und herspringen, die Zeit anhalten und vorantreiben. Der Film arbeitet mit der Relativität der Zeit. Doch er gibt den Blickwinkel vor, im Kino sieht man mit den Augen der Kamera, auf der Bühne kann jeder die eigene Perspektive einnehmen.“ Ob Tanz auf der Bühne oder für den Film, der Applaus ist ihm jedes Mal sicher.
Seine Liebe für gleich zwei Kunstsparten hat Pontus Lidberg schon als Kind erfahren: „Ich bin in einer kunstsinnigen Familie aufgewachsen. Der Vater, ein Wissenschaftler, interessierte sich mehr für Architektur und Bildende Kunst, meine Mutter, eine Psychologin, mehr für Tanz und Theater. Als ich das erste Mal im Ballett war, wusste ich: Das will ich machen und habe dann mit der Ausbildung begonnen.“ Als Magister of Fine Arts (MFA) hat er in Göteborg sein Studium abgeschlossen und sich in kurzer Zeit als Choreograf und Filmemacher einen Namen gemacht. Die Liste der Nominierungen und Preise für Tanz und Film wird jedes Jahr länger. So tanz Pontus Lidberg nicht nur von Ballettcompagnie zu Ballettcompagnie, sondern auch von Filmstudio zu Filmstudio: „Ich muss auch mit dem Gehirn schnell sein.“
Lukács | Lidberg | Duato: „Movements to Stravinsky“, András Lukács, „Between Dogs and Wolves“, Pontus Lidberg (Uraufführung), „White Darkness“, Nacho Duato. Premiere: 4. März 2020. Folgevorstellungen: 6., 8., 10., 11. März 2020. Wiener Staatsballett, Staatsoper.
Fotos: Aschley Taxlor. © Wiener Staatsballett / Ashley Taylor
Video-Interview: © Wiener Staatsballett