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Tania El Khoury: „Gardens Speak“, eine Einladung

Ein Grabstein von zehn im sprechenden Garten. © James Allan

Die interaktive Soundinstallation der libanesischen Künstlerin Tania El Khoury ist erlebte oral history. In eine der üblichen Schubladen passt die Inszenierung nicht, das Publikum wird zu Mitwirkenden, ist eingeladen, der Toten aus dem Bürgerkrieg in Syrien zu gedenken und die Realität eines Terrorregimes zu erleben. In der Galerie die Schöne zeigt brut El Khourys eindringliches Werk, „Gardens Speak“, vor jeweils zehn Trauergästen.

Die Gäste lauschen den einführenden Worten. ©  James Allan für http://thisistomorrow.info/Als sich in Syrien 2011 die Demonstrationen gegen das Regime zu einem mörderischen Bürgerkrieg ausgeweitet hat, der an die 500.000 Tote und mehr als fünf Millionen Flüchtlinge gekostet hat, hat El Khoury ein Bild von einer Mutter gesehen, die in ihrem Garten ein Grab für ihren toten Sohn grub. Um die Toten dem Zugriff der Häscher Asads zu entziehen, um Geschichtsverfälschung zu verhindern und um ihre Toten trauern zu können, haben die Hinterbliebenen die Leichen ihrer Söhne, Töchter und Väter in den eigenen Garten begraben. Drei Jahre später waren überall in Syrien Tote in privater Erde begraben worden, oft ohne Grabstein, um sie und ihre Familie zu schützen. Im Programmzettel zitiert El Khoury Walter Benjamin:

Auch die Toten werden vor dem Feind, wenn er siegt, nicht sicher sein.

In El Khourys Inszenierung sprechen die Toten unter der Erde zu den Gästen, bewegen sie zum Mittrauern. Bereit, um den Garten zu betreten. © James Allan für http://thisistomorrow.info/
Die Nachrichten leben vom alltäglichen Schrecken. Man hört Schreie, sieht die Tränen, lassen die Bilder an uns vorüberziehen, oft während fröhlich geplaudert oder genüsslich das Abendessen verzehrt wird. Prost. El Khoury führt uns direkt hin zu den Gräbern, lässt die Toten sprechen und verringert so die Distanz zwischen dem Geschehen im fremden Land und den Konsumenten, die vor dem Fernsehschirm hocken, die teilnahmslos mit wohligem Schauer Katastrophenbilder in sich hineinziehen.Sie zeigt nicht, mahnt nicht, predigt nicht, leise und sanft macht sie aus Zuschauer*innen Teilnehmer*innen. In die schützenden Mäntel gehüllt begeben sie sich in den Garten, legen sich vor den Grabstein und hören den Toten zu.

Der Raum unter dem Dach der Galerie die Schöne liegt im Dunklen, schweigend ziehen wir uns die weißen Plastikmäntel an und suchen mit dem Bild des Grabsteins, auf dem in arabischer Schrift ein Name steht, mit der Taschenlampe „unser“ Grab. Schnell ziehe ich noch die Socken aus und lege mich stumm auf die kalte, feuchte Erde, grabe mit den Fingern nach der darunter verborgenen Schrift und erfahre, dass ich vor dem Grab von Mustafa Karman liege. Aus der Erde dringt seine Stimme und berichtet von seinem Tod im Feuer. Zehn andere sind mit ihm verbrannt.
Im dunklen Garten vor einem Grabstein. © Jesse Hunniford El Khoury hat die Geschichte der zehn Männer und Frauen sorgfältig recherchiert, mit ihren Familien und anderen Zeitzeug*innen gesprochen und die Lebensgeschichten der Märtyrer*innen ins Englische übersetzen lassen, damit Menschen auf der ganzen Welt in ihrer Inszenierung den Preis des Terrorregimes, das Leid der Kämpfer*innen für Menschlichkeit und Freiheit und ihrer Familien direkt miterleben können.

Ich liege auf der feuchten Erde, mein Körper wird allmählich eiskalt, während ich der Geschichte von Mustafa zuhöre. Zehn Besucher*innen liegen auf den Gräbern und hören die Geschichten. ©  Rchard Termine für New York TimesJede(r) der zehn zur Gedenkfeier Gekommenen hört eine andere Geschichte, unterschiedlich lang, doch immer persönlich und wahrhaftig. Leise erklingt ein arabisches Totenlied, während die kleinen Laternen am Rand des Gartens aufglimmen und Blumen auf die Gräber rieseln. Ich knie in der fetten, feuchten Erde, bedecke die Grabinschrift drauf wieder damit und denke über mein Paradies, die Freiheit, die ich habe, und die Wärme zu Hause nach. Mit schmutzigen Füßen und Händen hole ich den Block, auf den ich eine Botschaft an den Toten und seine Familie hinterlassen soll. Ich grüße ihn ein wenig traurig und respektvoll.

Nach der Gedenkstunde dürfen alle Botschaften an die Toten und ihre HInterbliebenen schreiben. © James AllanDanach wartet Wasser in Becken, zum Waschen der Füße und Hände; heißer Tee, um den Durst zu löschen.
Ich wasche meine Füße nicht, nehme die Erde auf den Zehen mit nach Hause, damit ich mich erinnere.

Tania El Khoury hat eine ungemein ästhetische Inszenierung geschaffen, die auf einer konventionellen Bühne und ohne die stumme Teilnahme eines Publikums gar nicht möglich wäre. Eindringlich und sanft werden die Emotionen der Grabbesucher*innen geweckt, die mit dem Kopf auf dem kleinen Polster der Audiodatei liegen und durch die kalte schwarze Erde, die den Körper auskühlt und unter den Nägeln haftet, Trauer, Leid und Empörung auch physisch spüren.

Noch ein tröstliches Aperçu zur dieser knappen Stunde: Tania El Khoury konnte nicht nach Wien kommen, sie darf nicht mehr arbeiten, weil sie ein Kind erwartet. Neues Leben! Der Gedanke macht fröhlich.

Tania El Khoury: „Gardens Speak“, Interaktive Ton Installation.
Konzept: Tania El Khoury; Produktionsassistenz und Publikumsbetreuung: Naya Salame. Produktion: Jessica Harrington, Forschungsassistenz und Text (Arabisch)Keenana Issa; englische Übersetzung: Ziad Abu-Rish. Kalligraphie und Grabstein-Design: Dia Batal; Bühnenbild: Abir Saksouk; Audio-Aufnahmen und Schnitt: Khairy Eibesh (Stronghold Sound). Mitinitiiert von Fierce Festival (GB) und Next Wave Festival (AU). Österreichische Erstaufführung 28. November 2019, brut in der Galerie die Schöne, Kuffnergasse 7, 1160 Wien.
Weiter Aufführungen: 29. November ab 17 Uhr, je eine Stunde, letzter Beginn: 20 Uhr. 30. November ab 16 Uhr, letzter Beginn: 20 Uhr. 1. Dezember 2019, ab 14 Uhr, letzter Beginn: 18 Uhr.