Ballett „Giselle“ mit Olga Esina und Roman Lazik
Zum ersten Mal war die Erste Solotänzerin des Wiener Staatsballetts Olga Esina in Elena Tschernischovas Choreografie des Balletts „Giselle“ zu sehen. Ein Debüt für Wien in der Vorstellung vom 26. September und nach der Babypause vom Publikum dementsprechend freudig begrüßt. Mit Roman Lazik als Herzog Albrecht konnte „unsere Olga“ vor allem im zweiten Akt begeistern. Auch Tristan Ridel, der mit der quicklebendigen Rikako Shibamoto an seiner Seite, zum ersten Mal den männlichen Part im „Bauern Pas de deux“ getanzt hat, erhielt den verdient Applaus für seine blitzsauberen Sprünge.
Esina ist eine recht menschliche Giselle, keine tanzende Marionette, die Gefühle durch Perfektion ersetzt und nach Rekorden strebt. Im ersten Akt ein wenig zapplig, konnte sie ihre Fans dennoch durch Anmut und Wahrhaftigkeit begeistern. Schon in der Pause wird von ihrer Darstellung geschwärmt.
Roman Lazik, ein wahrer Herzog, selbstbewusst und zynisch, zeigt schon mit dem ersten Auftritt adelige Attitüde. Wenn er den eifersüchtigen Hilarion (Halbsolist Alexandru Tcacenco mit kräftigen Sprüngen) vom Dorfplatz weg weist, dann muss der wie ein geprügelter Hund hinausschleichen. Soviel Würde zeigt Herzog Albrecht selten. Lazik ist weniger verliebt tändelndes Jüngelchen als seines Erfolgs sicherer Verführer, der bei dem frischen Mädchen vom Land ein wenig Zerstreuung sucht. Der fürsorgliche Wilfried, sein treuer Freund (profiliert und engagiert: Marcin Dempc), hat es nicht leicht, ihn zur Raison zu bringen. Albrechts verachtungswürdige Einstellung wird klar, wenn Bathilde, die standesgemäß Verlobte, erscheint: Mit einer Handbewegung macht Lazik die ganze Cannaillerie sichtbar. „Ach was,“ sagte diese Geste, „die Kleine da kenn' ich gar nicht.“ Kein Wunder, dass Giselle den Verstand verliert und leblos zu Boden sinkt. Jetzt spielt Albrecht den Erschütterten und kann nur mit Gewalt von der Leiche weggezerrt werden. Dann aber enteilt er im Laufschritt.
Ketevan Papava ist eine schöne, doch etwas unruhige Myrtha. Wenn ich nicht irre, ist es auch ihr erster großer Auftritt nach der Karenzzeit, Nervosität wäre verständlich. Am 30. September und 3. Oktober wird sie Myrtha noch einmal tanzen und zeigen, dass diese die Königin der Wilis ist.
Der Lorbeerkranz (eigentlich die Lorbeerkränze) gehört jedoch dem Corps de Ballet, vor allem dem weiblichen Teil, weil die Damen als Winzerinnen, Bäuerinnen, und natürlich als Wilis im weißen, schwingenden Tutu, in beiden Akten viel zu tun haben. Elena Bottaro, Adele Fiocchi, Sveva Gargiulo, Anita Manolova, Fiona McGee sind die possierlichen und entsprechend erschrockenen Freundinnen Giselles, gelungen ist das Debüt der beiden Halbsolistinnen Madison Young und Eszter Ledán als Solo-Wilis. Über Eszter Ledáns Auftritt freue ich mich besonders, war sie doch durch eine Verletzung lange Zeit nicht zu sehen, Jetzt tanzt und springt sie wieder und erfreut als federleichte Wili Zulma. Die Amerikanerin Madison Young ist ein Glücksfall für das Staatsballett. Das Avancement zur Halbsolistin hat sie schon kurz nach ihrem Engagement (2017) geschafft und bewährt sich vor allem als zierliche klassische Tänzerin, im konkreten Abend als Wili Moyna.
Alle 24 Wilis (Halbsolistinnen und Corps-Tänzerinnen) aufzuzählen, ist nicht möglich, doch ist es jedes Mal beglückend, ihnen zuzusehen. Arme und Beine sind in einer Linie, es wird nicht gewackelt und gezappelt und wenn sich alle 24 samt Königin und Solo-Wilis auf einen geheimen Befehl hin auf die Spitze heben, wird mir vor Entzücken schwindlig. Da möchte ich dann doch auch die Ballettmeisterinnen und -meister vor den Vorhang rufen, ist es doch auch ihrer Arbeit zu verdanken, dass das Wiener Staatsballett ohne Fehl und Tadel ist – nahezu, irgendetwas auszusetzen finden gestrenge Beobachter*innen immer. Die Probenleitung für sämtliche Giselle-Aufführungen haben einander geteilt: Brigitte Stadler, Alice Necsea, Lukas Gaudernak, Jean Christophe Lesage und Albert Mirzoyan. Applaus, Applaus!
Nichts auszusetzen ist an der Arbeit des Dirigenten Ermanno Florio und des Staatsopernorchesters an diesem Abend. So herzzerreißend geklagt hat die Oboe schon lange nicht, Florio hat endlich zu seiner Form gefunden: Adolphe Adams Komposition ist zur Ballettmusik mutiert, fein im Piano, kräftig im richtigen Rhythmus im Forte.
„Giselle“, phantastisches Ballett in zwei Akten von Théophile Gautier, Jules-Henri Vernoy de Saint-Georges und Jean Coralli. Nach Heinrich Heine. Choreographie und Inszenierung: Elena Tschernischova nach Jean Coralli, Jules Perrot, Marius Petipa. Musik: Adolphe Adam; Dirigent: Ermanno Florio. 80. Aufführung, 26. September 2018, Wiener Staatsballett in der Staatsoper.
Alle Fotos von Ashley, dem Paradiesvogel. © Wiener Staatsballett / Ashley Taylor.