Superamas: „Chekhov Fast & Furious“, Festwochen
Das französisch / österreichische Kollektiv Superamas hat das bei den Wiener Festwochen im Museumsquartier uraufgeführte Stück „Chekhov Fast & Furious“ mit jungen Menschen aus Wien, Amiens und Maubeuge (Frankreich) und Reykjavik erarbeitet. Chekhov (Tschechov) und sein Drama „Onkel Wanja“ dienen dabei nur als Vehikel, um über das Theater und das persönliche Befinden zu plaudern. Ein Palaver mit Bewegung, von jungen Beteiligten für junge Zuschauer*innen gestaltet. Der passende Ort der Aufführung wäre der Dschungel Wien, Theaterhaus für Kinder und Jugendliche, gewesen. Ich fand mich im Museumsquartier deplatziert.
Analytisches Meckern ist nicht wirklich angebracht, sagt doch einer der drei Herren, die anfangs plappernd, nickend, lachend vor dem roten Vorhang sitzen, dass „Chekhov“ im Titel nur als Marketinggag diene. Die Rechnung geht auf: Klassik macht Kasse und zieht das Publikum an. Nur, dass mir dann nichts Neues geboten wird: die jungen, erfahrenen und ganz unbeleckten Performerinnen, die sich nach einem Aufruf gemeldet haben (diesmal logischerweise aus Wien), sprechen über die Liebe und die Einsamkeit, die Wärme der Gemeinschaf und die Kälte der Gesellschaft.
Das war schon in den 1990er Jahren üblich, da setzten sich Tänzer und Tänzerinnen, vor allem Tänzerinnen, auf einen Sessel, hielten das Mikrofon zu nah ans Gesicht und erzählten von ihren Erwartungen an das Leben und der misslungenen Suche nach Liebe. Doch die, die diese privaten Ergüsse damals ertragen mussten, gehören jetzt zum alten Eisen und dürfen nicht urteilen. Ein junges Publikum kann sich sicher identifizieren und fühlt sich angesprochen, und durch einige Hüpf-Einlagen und einschmeichelnde Musik samt Videoeinlagen auch gut unterhalten.
Sehr witzig, die vom männlichen Wanja-Personal geführte Diskussion über die Zukunft des Theaters. Wenn es um die 100-Prozent-Auslastung geht, dann müssen die Sesselreihen raus und Autos rein. Das Theater ist profitabel nur als Parkhaus. Doch dazu braucht es weder Iwan Petrowitsch (die Titelfigur von Anton Tschechows „Onkel Wanja“), noch den Dr. Astrow, und auch nicht Alexander Waldimirowitsch, den pensionierten Professor. Auch um die Sinnlosigkeit und Leere jeglichen Gesprächs darzustellen, hätte jedes andere Theaterstück von Tschechow dienen können, oder eine aktuelle Nicht-Kommunikation einer TV-Diskussion.
Das ambitionierte Stück ist durch aufwändige Recherche und viel Arbeit entstanden, ist jedoch mit dem ersten, erfolgreichen Versuch, eine Produktion mit Schülern zu diskutieren und zu erarbeiten – „Vive lArmée“ (Tanzquartier, 2016) – nicht gleichzusetzen. Der Fehler liegt vor allem bei den Programmmachern der Wiener Festwochen, weil sie falsche Erwartungen geweckt und vergessen haben, die Aufführung mit einer, bei Filmen üblichen, Freigabe zu versehen. „Nicht geeignet für Erwachsene über 35“, denen ist sowieso nicht zu trauen.
Die Festwochen sind beendet und meine Bilanz sieht fast ausgeglichen aus. Von den sieben gesehenen Produktionen reihe ich drei in die rechte Spalte, wo die Gewinne stehen: „The Song of Roland: Arabic Version“, „Crowd“, „L’Habitude“ und die anregende und auch unterhaltsame Installation „micro | macro / the planck universe“. Zwei kann ich gar nicht reihen, weil sie nichts geboten haben außer Leere und Langeweile: „Phobiarama“ „Deep Present“. Ein 00 ist fällig.
„10000“ hat sich selbst desavouiert und wird in die Soll-Spalte geschrieben. So recht besehen, eine ganz gute Bilanz für die Wiener Festwochen 2018, auf jeden Fall im Vergleich zu 2017. Ob es ein Fest war, wie das heurige Logo des Festivals vorgibt, mögen andere entscheiden. Ich meine, Club- und Partykultur gibt es ohnehin das ganze Jahr über.
Superamas: „Chekhov Fast & Furious“, Performance mit 12 Teilnehmer*Innen aus Wien, die auch an der Stückentwicklung teilgenommen haben. Uraufführung, 15. Juni 2018, Museumsquartier im Rahmen der Wiener Festwochen.
Weitere Aufführungen am 16. und 17. Juni 2018.