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Liquid Loft: „Church of Ignorance“, Donaufestival

"Church of Ignorance", Dominikanerkirche. © David Visnjic/Donaufestival

Mit „Church of Ignorance” setzt Liquid Loft / Chris Haring das Projekt „Foreign Tongues“ fort. Der erste Teil (Wiener Version) fand im Februar 2017 im Tanzquartier statt. Im August kommt im Rahmen von ImPulsTanz ein weiteres Forschungsergebnis zur Aufführung: „Babylon (Slang)“. Ausgangspunkt für die verschiedenen Aufführungen sind Sprachaufnahmen, die im Rahmen von persönlichen Interviews in verschiedenen Regionen Europas entstanden sind. Ziel ist eine Verschmelzung von vokaler und physischer Kommunikation mit Sound und Licht. Im Rahmen des Donaufestivals ist eine atemberaubend intensive und perfekte Performance in der seit langem profanen Dominikanerkirche in Krems gelungen.

Unter dem hohen  Rippengewölbe der ehemaligen Klosterkirche der Dominikanermönche in Krems, die von Kaiser Joseph II. säkularisiert worden ist und eine wechselvolle Geschichte, vom Feuerwehrdepot bis zum Kino, erlebt hat, dehnt sich der Ort der Aufführung, ein Erliebnisraum. Der Chor dient den acht Tänzer*innen ebenso als Bühne wie das gesamte riesige Kirchenschiff.

Einsam in der Kirche des Nichtwissens: Anna Maria Nowak. © David Visnjic/DonaufestivalDie Theorie zu dem Projekt „Foreign Tongues“ kann auf der Site von Liquid Loft nachgelesen werden. Im Grunde geht es Haring um ein Angebot von Möglichkeiten der Kommunikation, wenn die Menschheit am Ende ist, nichts mehr geht, vor allem nicht die Kommunikation. Neue Perspektiven müssen gefunden werden. Als Zuschauerin erlaube ich mir aber, die Theorie, den Gedanken an ein Ende dieser, unserer jetzigen, Welt, wegzuschieben und nur die Performance in der riesigen Kirche zu genießen, in der anfangs amorphe Wesen umherkriechen, die sich allmählich aus ihrer schwarzen Verhüllung lösen und zu plappern, schreien und murmeln beginnen. Miteinander und gegeneinander, die eigene Stimme verfremdend und zerhackend, einsam oben im Chor wimmernd. In dieser „Kirche der Unwissenheit“ huldigen die stets sich verändernden dunklen Gestalten eine seltsame Liturgie, die auch immer wieder auf christliche Bilder zurückgreift. Ein Säulenheiliger wird angebetet und wieder abgesetzt, eine hagere Christusfigur mit nacktem Oberkörper versucht, Zuhörer für seine Predigt zu finden, es wird gehandelt, wie einst im Tempel, eine Schlange windet sich, es kann auch die verführerische Lilith oben in der leeren Apsis sein. Die geflüsterten, gewimmerten, gebrüllten Wörter, Silben und Sätze sind zum Großteil unverständlich, auch werden fremde Sprachen und Dialekte benutzt, die nur wenigen vertraut sind. Verhüllte Gestalten, fremdartige Wesen versuchen zu kommunizieren. © David Visnjic/DonaufestivalDurch die elektronische ad hoc Bearbeitung – jede Tänzerin, jeder Tänzer arbeitet punktgenau mit den eigenen Soundfiles – scheinen die Stimmen nicht mehr aus Kehle und Mund zu kommen, sondern aus dem Körper, die, noch einmal sei es betont, im ständigen Wandel sind, Mensch und Tier, Alien und Prophet sein können.

Sprache, Sound (manchmal höllisch anschwellend, dann wieder monoton skandierend, in jedem Fall den Kirchenraum füllend), Bewegungen, minimal oder ausgreifend, kaum merklich oder rasant, und Mimik (so die Köpfe nicht verhüllt sind) verschmelzen zu einer Einheit.
Der Körper kommuniziert, nicht immer friedlich. © David Visnjic/DonaufestivalEine Utopie, eine positive Möglichkeit, wie die Kommunikation der Körper einmal funktionieren könnte, sehe ich nicht, immer wieder wälzen sich die Performer*innen wie in Verzweiflung auf dem harten Steinboden – eine Meisterleistung, eine Tortur für Gelenke, Knochen und Muskulatur, bewundernswert! Diese vermummten, verhüllten, entkleideten Gestalten, die durch die Kirche geistern, plötzlich verschwinden und wieder als andere auftauchen, sind keine Menschen von heute mehr, sind fremde Wesen die in fremder Sprache, die keiner bekannten ähnelt, mit anderen Mitteln kommunizieren. Einmal gegen Ende, stehen alle acht an der Rückwand des Chores, schwarze Gestalten, die die Arme zu Zeichen heben, die Beine zu Buchstaben formen. Eine Schrift an der Wand. Doch ich kann sie nicht entziffern.Körperbetont, das Ensemble von Liquid Loft. © David Visnjic/Donaufestival

Das Publikum muss mitspielen, den Darsteller*innen nachgehen, sich entscheiden, wem es folgt, wenn sich die Figuren im Raum verteilen, ausweichen, wenn sie wie blind durch die Menge rasen. Niemand kann sich der Magie dieses Spektakels entziehen. Wie exakt und ausdrucksstark das Ensemble arbeitet, wie harmonisch und unermüdlich energiegeladen die acht arbeiten, muss nicht eigens betont werden. Chris Haring weiß genau, was er will und die Tänzer*innen ebenso.
Der Applaus, wie der Sound durch Hall und Widerhall verdoppelt und verdreifacht, holt die Tänzer*innen und das Auditorium aus der Verzauberung.

Liquid Loft: „Church of Ignorance“, Künstlerische Leitung, Choreografie: Chris Haring, choreografische Assistenz: Stephanie Cumming. Tanz, Choreografie: Luke Baio, Dong Uk Kim, Katharina Meves, Dante Murillo, Anna Maria Novak, Arttu Palmio, Karin Pauer, Hannah Timbrell.
Komposition, Sound: Andreas Berger. Licht Design, Szenografie: Thomas Jelinek. Kostüme: Stefan Röhrle. 28. und 29 April 2018 in der Dominikanerkirche, Krems. Uraufführung im Rahmen des Donaufestival 2018.
Nächste Gelegenheit an einer Aufführung von „Foreign Tongues“ teilzunehmen: „Babylon (Slang)“ 4. und 6. August 2018, eine ortsspezifische Performance in den Hofstallungen / Museumsquartier im Rahmen des ImPulsTanz Festival 2018.