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Mei Hong Lin: “Romeo + Julia“, ein Tanzstück

Im Sarg die Toten, davor die Kämpfenden. © Dieter Wuschanski

Im Musiktheater Linz zeigt Ballettdirektorin Mei Hong Lin ein starkes Tanzstück: „Romeo + Julia“. Mit ihrem ausgezeichneten Ensemble erzählt sie nicht die übliche Geschichte, die längst keine Emotionen mehr auslöst, sondern leuchtet ihren Figuren unter die Haut, zeigt ihre widersprüchlichen Gefühle und macht klar, dass diese Liebe, die durch sinnlosen Hass unmöglich wird, kein Märchen von gestern ist. Auf blutrotem Boden ist die Linzer Compagnie in vollem Einsatz.

Rome und Julia glauben noch an die ewige Liebe (Urko Fernandez Marzana, Rie Akiyama)Mit am Erfolg dieses 2011 in Darmstadt, Lins früheren Wirkungsort, uraufgeführten Dramas sind der Ausstatter Dirk Hofacker, von dem auch die eindrucksvollen, die Renaissancemode paraphrasierenden Kostüme stammen und der Komponist Serge Weber. In völligem Einvernehmen ist eine düstere Erzählung entstanden, in der Hass und Wut über die Liebe siegen. Lin spaltet die Hauptrollen auf, alle Tänzerinnen sind Julia, die Amme, ihre Mutter; alle Tänzer sind Romeo, Benvolio, Mercutio und Tybalt. Zwei symbolische Paare, die junge Liebe (Rie Akiyama, Urko Fernandez Marzana) und die Fehde (Yu-Teng Huang, Pavel Povraznik) helfen dem Publikum, sich zu orientieren.

Die Choreografin zeigt am Anfang das Ende. Statt am Grab von Romeo und Julia zu trauern, stehen die beiden Familien (Clane, Glaubensbrüder und -schwestern, Nationalitäten oder Kulturen) einander in Kampfstellung gegenüber. Auch die Gutwilligen können die Wut nicht bremsen. Gleich wird wieder Blut fließen. Noch weiß Julia nicht, wohin sie gehört. Zur Famlie? Zu Romeo? Die Brücke entzweit mehr, als sie verbindet. (Marzana, Akiyama)

Hofacker hat einen eindrucksvollen Dom gebaut, den das Licht (Design Johann Hofbauer) in die Grabkammer und die Kirche, den Palazzo und den Stadtplatz verwandelt. Der blutgetränkte Boden kann nicht mehr gewaschen werden.

Danach erst wird in aufwühlenden Ensembleszenen aufgeblendet, wie es dazu kommen konnte. Die elektronischen Klänge, durch Instrumente, wimmernde, schreiende Stimmen, Schrittgeräusche verstärkt und effektvoll verzerrt, peitschen die Emotionen der Tanzenden hoch, rar sind die sanften Töne einer Liebesszene. Hass und Fehde regieren. Hämmernder Beat, greller Funk, monotoner Technosound, Anklänge an bekannte Musik liefern eine reiche Palette an Gefühlen, auch die Musik erzählt vom Scheitern einer Liebe durch eine Feindschaft, deren Wurzeln in weiter Vergangenheit liegen.

Party! Party! Fröhlichkeit kommt bei diesem Mskenball nicht auf.Die Tänzer*innen können sich keineswegs auf eine starre Choreografie berufen, sie sind gefordert, sich selbst einzubringen, sich persönlich zu äußern und auf die jeweiligen Figuren einzulassen. Tanzschritte sind da wenig zu sehen, der ganze Körper arbeitet. Eine reife Leistung.

In plastischen Bildern und Gruppenszenen greift Lin zentrale Szenen aus Shakespeares Drama heraus und treibt durch die motionale Wucht auch das Publikum dem unvermeidlichen Ende entgegen: Erster Kuss der jungen Liebenden, ein Maskenball bei Capulets (eine skurrile, unheimliche, Party prächtiger Masken); während Julia und Romeo vor dem Altar stehen, bricht am Marktplatz der uralte Streit wieder aus, Leichen sind das Ergebnis. Erst im Tod ist das Paar auf immer vereint – alle sind Romeo, alle sind Julia, alle müssen sterben.. In der Musik lodert schon wieder unbarmherzige Feindseligkeit. Romeo hät Julia für tot, so will auch er sterben. (Marzana, Akiyama)
Der Vorhang fällt – keine Rettung, kein Trost.

Doch die Choreografin will ihr Publikum nicht mit schwerem Herzen, gramgebeugt entlassen. Das Verbeugungsritual ist nach angemessener Denkpause als neues, fröhliches Spiel inszeniert, bei dem die Tänzer*innen ihre Ausdruckskraft und Energie noch einmal zeigen können. Jetzt erst bricht der Applaus so richtig los. Wie blass scheint der alte Shakespeare gegen dieses Erlebnis.

„Romeo + Julia“, ein Tanzstück von Mei Hong Lin, Premiere 23. März 2019 im Musiktheater Linz mit dem Ballett des Landestheaters Linz. Musik: Serge Weber: Bühne und Kostüme: Dirk Hofacker; Lichtdesign: Johan Hofbauer; Einstudierung Christina Comtesse; Dramaturgie: Katharina John; Fotos: Dieter Wuschanski.
Weitere Vorstellungen in dieser Saison ab 26. März bis 13. Juni.