Jefta van Dinther / Cullberg Ballet: „Protagonist“
Zum zweiten Mal hat der Choreograf und Tänzer Jefta van Dinther mit dem kleinen Ensemble des Cullberg Ballets aus Stockholm eine Performance einstudiert. Nach „Plateau Effect“ (2013) hat nun auch „Protagonist“ im Tanzquartier Station gemacht. Ein magischer Abend, der durch das flüssige Bewegungsrepertoire und das perfekte Zusammenspiel von Bühne, Licht, Musik und tanzenden Körpern in Bann zieht.
Der mit einem blutroten Teppich ausgelegte Bühnenraum ist durch das Lichtdesign in helle und dunkle Bereiche geteilt, scheint sich zu erweitern und wieder zu verengen, verschluckt mitunter die kaum jemals stillstehenden Körper, lässt nur die weißen Gliedmaßen aufleuchten. Die 13 Tänzer_innen des Cullberg Ballets, haben sich van Dinthers Bewegungsvokabular, weder Tanz- noch Alltagsbewegungen, ganz zu eigen gemacht, sprechen mit Händen, Armen und Beinen, sind in der Vertikalen dem Boden mehr verhaftet als dem Streben nach Höhe. Van Dinther folgt keinem Trend und keiner Mode, hat seine eigene, körperzentrierte Sprache gefunden, die durch Licht und Sound unterstützt wird. Unverkennbar.
Durch die monoton-rhythmische Musik, in deren Zentrum der Song „Revolution“ des schwedischen Hitparadenstürmers Elias steht, entsteht ein mesmerisierender Sog, der mich in Bann schlägt, auch wenn die Augen dem spannungsgeladenen Geschehen auf der Bühne kaum folgen können.
Das immer wieder sich auf die sich ständig bewegenden Körper senkende Dunkel macht die Bühne zu einem geheimnisvollen Ort, in dem Gestalten allein oder in Gruppen, laufen, umfallen, stillstehen, sich dehnen, strecken, umarmen, miteinander kommunizieren und einander bekämpfen. Fremdartige Wesen, weder Mensch noch Tier, die zu dumpfen Trommelschlägen einem seltsamen Ritual folgen; Herrscher sind und Beherrschte, Kriegerinnen und Bekriegte, sich umarmen und wieder von sich stoßen. Es wird gefoltert und getröstet, gewürgt und getötet. Sieger werden gekürt und Leichen abtransportiert. Eine Geschichte der Menschheit?
Was immer diese Wesen auch tun, sie kommen zu keinem Ziel. Schließlich ein Schrei, ratloses Erstarren. Stumm steht die Gruppe mit dem Blick ins Publikum, gibt auf. Die Zeit dreht sich rückwärts, die Protagonisten werden schwach und schwächer, wanken knieweich als bucklige Gnome durch das Areal. Zurückkatapultiert zu ihren Anfängen, turnen sie im den Hintergrund begrenzenden Gestänge. Der alte Adam wird abgeworfen, nackt und bloß bewegen sie sich im immer wieder gleißend aufblendenden Licht, das das blutige Rot des Teppichs wegsaugt. Wieder und wieder fallen sie in sich zusammen, verschwinden im Dunkel, kriechen wieder zurück in die Gemeinschaft. Licht aus! Ende!
Der Applaus ist verhalten, so schnell kann niemand aus der Dunkelheit der Hypnose erwachen.
Van Dinther, der in Stockholm und Berlin lebt, erzählt, dass er sich von der Berliner Club-Szene inspirieren ließ, weil „dort erleben die Menschen etwas gemeinsam, sind ganz im Hier und Jetzt.“ Er meint, dass wir zu sehr mit der Vergangenheit belastet sind und sich um die Zukunft Sorgen machen und dadurch nicht wirklich leben.
Mit dem aktuellen Stück denkt er über die Menschheit nach, über Gemeinschaft und Individualität, über die Helden und Herrscher wie die Mühseligen und Beladenen. Der Vorschlag, zu den Anfängen zurückzukehren, ergibt einen eindrucksvollen Schluss der energiegeladenen Performance. Jefta van Dinther ist Choreograf und predigt nicht von der Kanzel.
Jefta van Dinther / Cullberg Ballet: „Protagonist“, Musik / Sound Design: David Kiers; Vocals: Elias. Licht Design: Minna Tiikkainen, Set Design: SIMKA. 30. März 2017, Tanzquartier.
Weitere Vorstellungen: 31.3., 1.4. 2017, Tanzquartier.