Elizabeth Ward & AC/Boy: „Everything is in Evereything“
Mit ihrer neuen Vorstellung, „everything is in everything“ zeigt die tanzende Choreografin Elizabeth Ward im brut was Ballett und Techno verbindet. Der Techno-Künstler AC/Boy (Marcos Rondon) versetzt sich zuerst selbst und allmählich auch die vier Tänzer_innen samt dem Publikum in eine Art Trance. Alle werden eins.
Elizabeth Ward (*Detroit, 1977) will ihre Ballettausbildung nicht vergessen und sucht die Verbindung zwischen der heutigen Tanzmusik, der Technoszene und dem „Vertiginous Thrill of Exactitude“ (Forsythe) im Ballett. Sie und ihre Mittänzer_innen (Anne Juren, Michael O’Connor, Alex Bailey, der sich durch eifriges Training den Beinamen „Ballet Alex“ verdient hat) finden die Gemeinsamkeiten.
Ein Zitat von Merce Cunningham beschreibt das Verbindende als Motto: „Unsere Ekstase beim Tanz kommt durch das Geschenk der Freiheit, den erhebenden Moment, den dieses Bloßlegen von purer Energie uns geben kann. … eine totale Wahrnehmung der Welt und im selben Moment ein Loslösen von ihr.“ (Frei übersetzt aus Cunninghams Essay „The Impermanent Art“, 1955.)
„Diesen flüchtigen Moment, in dem du dich lebendig fühlst“ (Cunningham) stellen die Tänzerinnen Ward und Juren, der Tänzer O’Connor mit dem Adepten Bailey, der gerade Mal die Füße in Position bringen und das Bein strecken kann, in Gemeinschaft mit dem Musiker her.
Der monotone Beat des Techno erzeugt einen Rausch, versetzt die Tänzerinnen in Ekstase, sodass Elizabeth Ward in unaufhörlicher Drehung über die Bühne tobt und das Publikum mitreißt. Techno gehört der Clubszene, ist gemeinschaftsbildend und tolerant. Alles ist möglich, alles ist in allem.
Ward hat akribisch recherchiert, vor allem am Beginn des 19. Jahrhundert als das romantische Ballet blanc von den Taglionis (Vater Filippo, Choreograf und Ballettmeister am Wiener Kärntnertortheater, Tochter Marie, gefeierte erste „Sylphide“ und Königin des Spitzentanzes) populär gemacht worden ist. In ihrer Choreografie erinnert Ward an einzelne Positionen aus „La Sylphide“ und der Balletteinlage für Giacomo Meyerbeers Oper „Robert le diable“ (1831) und, siehe da, das Heulen, Quäken und Hämmern des Techno stört nicht. Ich bin längst hineingefallen in die Soundwolke, die den kleinen Raum des brut ausfüllt und einhüllt. Nur sporadisch erhellen die Scheinwerfer aufflackernd den Raum, in dem oft nur die weißen Gliedmaßen der Tänzerinnen, wie die Männer ganz in Schwarz, schimmern.
Wenig techno-versiert, bin ich von den ekstatischen Bewegungen des Musikers etwas überrascht. Wenn er sich auf dem Boden windet und wälzt, bekomme ich Mitleid. Hat er Magenschmerzen? Nein, lasse ich mich aufklären: „Das gehört dazu“. Mir scheint es eher wie eine Parodie alter Rockmusik-Wucherungen. Dann aber kümmern sich die vier Performer_innen um den auf dem Boden Gekrümmten, umsorgen ihn, tragen ihn liebevoll wieder auf seinen Platz, wo er, wieder senkrecht, in sein Mikrophon hauchen darf. Jetzt sind alle fünf ein Ballettkörper, die Tänzer_innen schmiegen sich aneinander, bilden eine Einheit, fallen schließlich erschöpft zu Boden, wie unabsichtlich ragen Beine und Arme in die Höhe. Der „schwindelerregende Rausch“ weicht allmählich aus dem Publikums- und aus dem Ballettkörper. Sehr schön und gar nicht fad.
Elizabeth Ward & AC/Boy: „everything is in everything“, Corps de Ballet with Alex Baily, Anne Juren and Michael O’Connor. 4.11. 2016, brut.
Reprise mit anschließender Party mit DJ set von Posmrtny & AC/Boy: 5.11.2016.