Dschungel: „Lullaby – Augen zu“ von Jan Jakubal
Lullaby – Augen zu“ beruht, so sagt der Autor des Stückes, der Regisseur, Choreograf und Tänzer Jan Jakubal, auf E. T. A. Hoffmanns Erzählung „Der Sandmann“ (veröffentlicht als „Nachtstück“, 1816) und ist ein Tanztheater mit drei Performerinnen, 2 Performern und einer Videoinstallation, das im Dschungel seine Premiere gehabt hat. Das Publikum applaudierte nach 50 Minuten pflichtschuldig aber ratlos. Ich auch.
Hoffmanns Erzählung von Nathanael, der sich von einer bösen Macht verfolgt fühlt und Wahn und Wirklichkeit nicht mehr trennen kann, ist äußerst komplex, vielschichtig und voll schwarzer Romantik. Sicher nicht für 11jährige zu verstehen, für die das Stück im Dschungel empfohlen wird. Doch auch Erwachsene, die die Geschichte nicht präsent haben oder gar nie gelesen haben, können den silbernen Faden des düsteren Stückes nicht finden.
Der Theatersaal im Dschungel ist in eine Wohnung verwandelt. Auf der Bühne hat Andre Szakál mit Spitzenvorhängen ein zauberhaftes Schlafzimmer eingerichtet. In den Kostümen von Veronika Susanna Harb bewegen sich drei Performerinnen huschend und trippelnd mit sonderbaren Armbewegungen. Sie erinnern mich an die „zauberhaften Hexen“, Prue, Piper und Phoebe, aus der US-Fernsehserie „Charmed“ und etwas Ähnliches sind sie wohl auch. Sie erscheinen hinter den Fenstern, zaubern mit kleinen Lampen tanzende Schatten und benützen einen Spiegel und allerlei bunte Glasfläschchen, um ihre unverständliches Ritual auszuführen. Vielleicht habe ich aber auch diese Szene nicht so richtig verstanden, weil vor meinen (und vieler anderer) Augen ein Koffer mit aufgeklapptem Deckel stand, der was dahinter geschah total verborgen hat.
Die Zuschauer_nnen sitzen im Halbkreis um den Ort des Geschehens, der normale Zuschauerraum scheint zum Wohnzimmer umgewandelt, dort steht allerlei Gerümpel, das auch klirrt und scheppert, offenbar wirft es die junge Frau, die hier wohnt eine Vierte Frau, keine Fee oder Hexe, offenbar Clara, bei Hoffmann die realistische Freundin des verwirrten Nathanael. Ein Gitarrist (Patrick Trotter) sitzt auch da oben auf der Zuschauertribüne, die Finger auf den Saiten, starrt in Leere und rührt sich nicht. Die Frau spricht leise in einer fremden Sprache, auch die drei „Hexen“ haben ein paar Sätze zu sagen, auch in einer fremden Sprache und so leise, dass mir scheint, man soll ohnehin nichts verstehen. Im Hintergrund zeigt das schwarzweiße Video mitunter weiße Blitze, vorbei
zischende Schemen, vielleicht auch den bösen Zauberer Spalanzani, aus Hoffmanns Erzählung. Donnergrollen, krachende Balken, undefinierbare Laute sollen uns das Fürchten lehren.
Im Schlafzimmer verschlingen sich auch zwei Performer (András Déri, Jan Jakubal) auf dem Boden, kämpfen miteinander, einer sitzt dem anderen im Nacken. Vernunft und Fantasie? Wahnsinn und Realität? Vielleicht. Doch auf diese Idee kann nur jemand kommen, der wenigstens eine Ahnung von Hoffmann und seiner Geschichte, in der der Autor auch die Leserin verwirrt, weil die Frage was nun tastsächlich war und was die Hauptperson Nathanael sich eingebildet hat, niemals beantwortet wird.
Jan Jakubal hat etwas gewagt aber nicht vollendet. Ein Stück für Heranwachsende ab 11 ist die Performance keineswegs und mit einem Lullaby, einem Schlummerlied beschäftigt er sich auch nicht. Der Gitarrist zupft einmal, auf der Bühne stehend, kurz und atonal auf seinem Instrument, im „Wohnzimmer“ zirpt eine Geige zwei, drei Töne. Im Tanzquartier hat Jakubal vor Jahren sein Solo „Lullaby – Vol.1“im Rahmen des Projekts „StückWerk“ gezeigt. „Lullaby – Augen zu“ könnte man als Werkstückbezeichnen.
Jan Jakubal: „Lullaby – Augen zu“, mit Adriana Cubides, András Déri, Gat Goddovitch, Jan Jakubal, Kei Mimakriová, Leonie Wahl. Geräusche: Nicolás Spencer; Animation: Rebecca Akoun. Uraufführung am 13. Juni 2016, Dschungel.
Weitere Vorstellungen: 14., 15. Juni 2016