Dschungel: „Ikarus, Traum vom Fliegen“
Der international bekannte Choreograf Erik Kaiel hat mit dem Tanzensemble des Dschungel (Steffi Jöris, Maartje Pasman, Rino Indiono) ein Trio einstudiert, das ohne Worte die griechische Sage von Ikarus, der zu nahe an die Sonne geflogen ist, sehr frei nacherzählt. Fliegen und Fliehen sind die Themen mit denen Kaiel spielt.
Kennt man die Geschichte und ihr tragisches Ende, dann versteht man auch den Berg von orangenen Schwimmwesten, der sich am Bühnenrand erhebt. Nach und nach wird er abgetragen, die Rettungswesten werden Dekoration, Architektur, Objekt. Dazwischen und damit tanzt das Dschungelensemble in ungewohnter Bewegungssprache, eckig und ruckartig oft, dann wieder mit den Händen sprechend, als kennten die Drei eine geheime Gebärdensprache.
Wer aber weder vom Labyrinth des Königs Minos, in dem Ikarus und sein Vater Dädalus gefangen gehalten wurden, gehört (oder gelesen) hat, noch von der Erfindergabe des Dädalus, der für sich und seinen Sohn Flügel anfertigte, um aus dem Gefängnis zu fliehen, kann zwar den professionellen Tanz des Trios genießen, was damit ausgedrückt werden soll, bleibt ein Geheimnis.
Die Musik hilft da wenig: Im elektronisch verzerrten Klangteppich klingen Kinderlieder an, aber auch konturloses Klaviergeklimper. Zum Finale plätschert und gluckst Wasser in den Lautsprechern. Ein Hinweis auf das tragische Ende des ausgelassenen Ikarus, der höher und höher flog, bis die Sonne das Wachs, das die Federn zusammenhielt, schmolz und der ungehorsame Knabe ins Meer stürzte. Nicht gerade ein fröhliches Ende.
Doch um Fröhlichkeit geht es nicht in dieser Performance, die Tanz und Zirkusakrobatik, kindliche Flugübungen und bedeutsame Blickwechsel zeigt. Der fließende Szenenwechsel erklärt sich erst nach längerem Nachdenken. So beginnt Kaiel mit einem Hinweis auf Bootsflüchtlinge und Schlepper, später sehen wir Vater, Mutter und ein übermütiges Kind, kauernde, zu Stein erstarrte Gefangene und am Ende befreit kreisende Windmühlenflügel. Und dann gluckert das Wasser.
Der libanesisch-amerikanische Choreograf Erik Kaiel hat eine interessante Biografie. Geboren in Innsbruck, wuchs er in den USA (Oregon) auf, studierte in Kanada und promovierte in New York. Lange Zeit lebte er dort in Brooklyn, seit 12 Jahren aber in Den Haag. Seit 20 Jahren arbeitet er als Choreograf (nicht nur auf Theaterbühnen sondern gerne in unorthodoxen Orten, wie Schwimmbädern, Fußgängerzonen oder Parks), Performer und Lehrer. Die Dschungel-Tänzerin Steffi Jöris hat bereits in den Niederlanden, woher sie stammt, mit Kaiel gearbeitet.
Erik Kaiel: „Ikarus oder der Traum vom Fliegen“, mit Steffi Jöris, Maartje Pasman, Rino Indiono. Uraufführung am 21.1. 2015, Dschungel Wien. Weitere Vorstellung 22., 23., 24. Jänner.