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Den eigenen Augen ist nicht zu trauen

Drei Mal Jan Machacek, fotografiert von Sophie Pölzl.

Unschärfe, wohin man schaut. Jan Machaceks Performance findet hinter drei Plastikvorhängen statt, die auch als Bildschirme funktionieren. Nicht nur Bilder, auch Texte sind darauf zu sehen. „Blind Spot Light“ nennt der Medienkünstler Machacek die spannende, auch verstörende Stunde im Projektraum des WuK. Die Frage, was unsere Augen wirklich sehen, ob wir genau schaue, oder uns mit den Schatten und der Unschärfe zufriedengeben, ist bei dieser sorgfältig erarbeiteten Vorstellung nicht zu verdrängen. Man ist fast gezwungen, hinzusehen.

„Blind Spot Light“: Der Gesichtssinn scheint getrübt, die Welt ist voller Schatten. Es ist die Autorin Ingeborg Bachmann (1926–1973), die Machacek mit einer Kurzgeschichte für diese ästhetisch ansprechende Schau inspiriert hat. Als Teenager hat er sich schon für ihre Gedichte begeistert, später hat er auch zu Bachmanns Prosatexten gefunden. In dem Sammelband „Simultan“ (Piper, 1972) mit Erzählungen hat es ihm die Kurzgeschichte „Ihr glücklichen Augen“, in der es auch um das Sehen, um Schärfe und Unschärfe geht, besonders angetan und ihn zur Umsetzung ins Visuelle animiert. Dabei hat er sich nicht auf die eigentliche Geschichte von Miranda und ihrer unglücklichen Liebe zu Josef konzentriert, sondern um den Aspekt, dass Miranda die Realität ausblendet, die notwendige Brille nicht trägt und die Welt lieber verschwommen sieht. Im trüben Licht huschen Postkartenbilder über den Schirm. Wer blättert im Album? Auch in „Blind Spot Light“ sieht das Publikum die Bühnenwelt nur verschwommen, darf sich ausdenken, was sich hinter den opaken Vorhängen abspielt. Ausgewählte Zitate Bachmanns erscheinen auf der frontalen Bühnenwand, scharfe Bilder blitzen kurz auf. Eine doppelte Wirklichkeit?
Ich muss dauernd an die Fledertiere denken, die einzigen Säugetiere, die aktiv fliegen können. Doch das Interessante an diese auch Flattertiere genannten Spezies ist, dass ihre Sinnesorgane außergewöhnlich funktionieren. Sie können zwar keine Farben, aber UV-Licht sehen und senden Schallwellen aus, deren Echo sie anschließend mit dem Körper aufnehmen, um sich im Raum zu orientieren. Daher können sie auch in der Dunkelheit fliegen, ohne sich zu verletzen. So nebenbei sei erwähnt, dass Fledermäuse und Flughunde nicht nur überaus sozial sind, sondern auch großartige Energiesparer. In den Ruhezeiten drängen sich die Fledermausfamilien eng aneinander, bilden richtige Cluster und erwärmen einander durch Körperkontakt. Das wäre doch großartig, wenn auch der Mensch mit den Ohren sehen könnte. So aber, wie Jan Machacek vorführt, können wir nicht einmal unseren Augen trauen. Wie Miranda in Bachmanns Erzählung malen wir uns die Welt zurecht, sehen, was wir sehen wollen, blenden aus, was nicht ins Konzept passt. Faszinierend ,wie Jan Machacek mit seinen Medien spielt. Hier wandert er in einem Loch umher, das er in seinen Bauch geschnitten hat. Gegen Ende des Bachmannschen Textes leidet Miranda unter dem Lärm der Stadt, doch sie wünscht sich nicht, auch noch schlecht zu hören. Machacek baut auch diese Szene ein, legt nicht nur Bilder übereinander, sondern auch Stimmen, ein akustisches und optisches Chaos entsteht. Im Gegensatz zu den Fledertieren hat der Mensch keine Ohrenklappen, um den Lärm abzuschalten.
Im Zentrum der Performance steht die Erfahrung von Schärfe und Unschärfe. Ein Zitat lautet: „Es genügen zwei Meter Entfernung und die Welt ist bereits undurchdringlich.“ Wann sieht man die Welt, wie sie wirklich ist? Oder einen Körper, eigentlich sollten wir Röntgenaugen haben, dann würden wir nicht nur die Oberfläche der Welt sehen. Machacek lässt sich selbst auf dem Kopf stehen. Oder irren sich unsere Sinne?Ob verschwommen oder scharf, weit fern oder ganz nah, hinter oder vor dem Vorhang, immer sieht man nur die äußerste Hülle, was darunter ist, bleibt verborgen. Nicht allerdings, wenn Jan Machacek seine Videokompositionen zeigt, da tanzt er in der eigenen Pupille und besucht das Loch in seinem Bauch. Die in Wien lebende mexikanische Komponistin Angélica Castelló steuert den Soundtrack bei, angenehme Musik, die auf dem Wechselspiel von Schärfe und Unschärfe beruht. Auch das Licht tanzt, leuchtet in vielen Farben oder in gleißender Helligkeit, flackert, als würde die Bühne brennen, um dann wieder gänzlich zu erlöschen.
Eine Performance aus einem Guss: Licht und Musik, Bewegung des Originals und die Bilder des virtuellen Doppelgängers, alles ist feinstens aufeinander abgestimmt. Für Machacek sind alle Elemente der Performance gleichwertig. Der Künstler löst sich auf, zurück bleibt das Gestell mit seiner Ausrüstung. Noch weiß das Publikum nicht, dass das eine Auge offen ist. Sein Tanz, sein Gesang, sein Spiel mit seinem Abbild und der Text sind ein ebenso wichtiger Teil des Kunstwerks wie das Licht-Design von Bartek Kubiak, die Kostüme von Hanna Hollmann und Costellós Komposition. Auch die Liste der an diesem Solo beteiligten Künstler:innen, Berater, Techniker mag als Beispiel dafür gelten, dass wir das Ganze gar nicht sehen, wenn wir auf den Schatten hinter dem Vorhang und die Bilder davor schauen. Am Ende muss sich das Publikum selbst in die Augen sehen. Machacek stellt einen Avatar auf, ein Gestell, dem er seinen Helm samt Minikamera und Mikro aufsetzt und verschwindet. Als unendliche Schleife ist eine Momentaufnahme des Premierenpublikums zu sehen. Dann schließt sich das Auge, sammelt keine Daten und schaut dem Auditorium nicht zu, wie es begeistert applaudiert.

„Blind Spot Light“, Konzept, Raum, Video, Performance: Jan Machacek.
Komposition, Klangregie: Angélica Castelló; Licht: Bartek Kubiak; Kostüm: Hanna Hollmann.
Dramaturgische Beratung: Gin Müller; Choreografische Beratung: Frans Poelstra. Bühnenbauten: Wallner Kopp, Chris Janka: Lichttechnik, Videosteuerung: Leo Kuraite. Tontechnik: Clemens Müller.
Premiere: 28.3. 2023. Weitere Vorstellungen: 29., 30., 31.3. 2023. WuK / performing arts.
Fotos: © Laurent Ziegler